15.19.37

Bundesrat Mag. Michael Lindner (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der FPÖ: Ganz ehrlich, wenn man nicht fähig ist, zu diesem Thema eine differenzierte Debatte zu führen, wäre es besser, entweder besser zuzuhören, weniger herauszuschreien oder gleich sitzen zu bleiben.

Niemand von uns stellt Freihandel infrage, niemand stellt unsere Exportorientierung infrage. Ich frage mich, ob die Kollegen Schuster und Steiner diese verbalen Eruptio­nen auch körperlich spüren – beim Zuhören tun sie auf jeden Fall weh, darf ich euch sagen. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen ohne Fraktionszugehörigkeit.)

Ganz offensichtlich haben Sie ein solch schlechtes Gewissen, weil Ihr Parteichef Strache da mit Anlauf umgefallen ist. Ich frage mich schon: Was ist denn das für ein Parteichef, der für das einfache Rauchen eure Volksabstimmung über Ceta verkauft hat?

Was ist denn der Dammbruch bei Ceta? – Natürlich nicht, dass wir grenzüber­schrei­tend handeln, auch nicht, dass wir Zollbeschränkungen abbauen, und auch nicht, dass wir den Marktzugang für bestimmte Waren erleichtern. All das macht Sinn, und dies­bezüglich ist das Abkommen – das haben heute schon mehrere RednerInnen gesagt – auch wirklich vergleichsweise gut. Der Dammbruch ist jedoch, dass Sie mit diesem Durchpeitschen der Sonderklagsrechte für Konzerne die Möglichkeiten, die wir als Politiker und als Parlament haben, beschneiden.

Es geht bei Ceta in Wirklichkeit auch nur zweitrangig um Kanada. Der Handel ist wichtig, das ist alles schön und gut, wir werden mit Kanada guten Handel treiben, das ist nicht die Frage, aber mit diesem Abkommen wird die Zukunft der europäischen Handelspolitik festgelegt und bestimmt, und das hat verheerende Folgen für unsere staatliche Handlungsfähigkeit.

Wir haben schon über die regulatorische Kooperation oder die Gemischten Ausschüs­se gesprochen, die selbständig Teile des Abkommens verändern können – ohne par­lamentarische Zustimmung. Und genau deshalb hat Christian Kern – damals war er, glaube ich, zwei Wochen Bundeskanzler – wochenlang intensiv auf europäischer Ebene dafür gekämpft (Bundesrat Rösch: Und zugestimmt!), dass wir hier im Parla­ment über diese Sonderklagsrechte und die Schiedsgerichte abstimmen können; die sind bislang nicht in Kraft. (Beifall bei der SPÖ.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von ÖVP und FPÖ, Sie machen das jetzt aus meiner Sicht, aus unserer Sicht vollkommen überhastet, in dem Wissen, dass es noch zu Ver­änderungen oder Nachverhandlungen zu Ceta kommen kann. Wir haben schon gehört: Ceta liegt vor dem EuGH, Ceta liegt vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht – und Sie riskieren jetzt, dass wir diese Chance von Verbesserungen nicht mehr bekom­men.

Es ist euer Beschluss, den ihr für Juni plant, der es erst ermöglicht, dass Konzerne gegen unsere hohen Standards klagen können. Diese Klagsrechte können hohe Standards aushebeln, das wisst ihr ganz genau. Und dass diese Klagen laufend erfolgen, wisst ihr auch ganz genau. Zwei Beispiele:

Beispiel eins: Deutschland hatte sich endlich dazu durchgerungen, aus der Atomkraft auszusteigen – und was war die erste Reaktion? – Der Energiekonzern Vattenfall hat die Bundesrepublik Deutschland geklagt und unglaubliche 4,7 Milliarden Euro ver­langt – für eine glasklare, gute politische Entscheidung. (Bundesrat Krusche: Da geht es aber nicht um Handelsabkommen!)

Beispiel zwei: Uruguay – ich glaube, das ist heute schon kurz angeklungen – hat sich entschieden, Warnhinweise auf Zigarettenpackungen zu drucken. Was ist passiert? – Philip Morris hat als Ausgleich 25 Millionen US-Dollar verlangt.

Für Großkonzerne kann es ein schönes und leichtes Spiel sein, sich hier auf einen Rechtsstreit einzulassen, aber wir als Staat hantieren mit Steuergeld, das man für solche Verfahren aufbringen muss. Die mittelständischen Unternehmen, die von der Frau Ministerin schon angesprochen wurden, werden sich diese langen Streitigkeiten auch nicht leisten können oder sich auf diese einlassen können.

Der noch viel schlimmere Effekt ist aber – und das muss uns Abgeordneten, Bun­des­rätInnen, PolitikerInnen doch wirklich Sorgen machen –, dass sich Staaten gar nicht mehr trauen, neue, wichtige, bessere Standards einzuführen, eben aus Angst vor diesen langen und teuren Verfahren. Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz, das ist nicht irgendjemand, bringt das auf den Punkt: Das Motiv hinter den Schiedsgerichten – wie auch immer sie jetzt heißen mögen oder ausschauen sollen, die Funktion ist dieselbe – ist der Wunsch, neue Finanzmarktregulierung, Umweltgesetze, ArbeitnehmerInnen­schutz, Nahrungs- und Gesundheitsstandards schwerer zu machen. – Zitatende.

Die Frau Ministerin hat es bestätigt: Selbst dann, wenn wir heuer kündigen würden, gehen diese Klagsrechte noch 20 Jahre weiter. – Sie tragen die Verantwortung dafür, dass wir uns hier als Politiker, dass wir unsere Politik Stück für Stück selbst abschaf­fen. Herzliche Gratulation, liebe FPÖ! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Sie tragen auch die Verantwortung für eine Zweiklassenjustiz, denn mit den Schieds­gerichten oder dem ICS verabschieden wir uns davon, dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Mit viel Geld kommt man dann schneller zu seinem Recht. Nichts anderes ist dieses ICS. Da kann man das Türschild des Schiedsgerichts noch dreimal austau­schen, es bleibt ein privates Gerichtssystem. Niemand kennt zum jetzigen Zeitpunkt die 15 Personen, aus denen auszuwählen ist. Es sollen Personen sein, die zum Richteramt befugt sind, wenn nicht, dann sollen sie vergleichbare Fähigkeiten haben. Transparent sind die Verfahren auch nur insoweit, als nicht Geschäftsgeheimnisse geschützt werden müssen. Die Argumentation bei einem Verfahren stelle ich mir dann spannend vor. Das ist maximal 19. Jahrhundert – das kann doch nicht euer Ernst sein!

Was ist so schlecht an unserem österreichischen, am kanadischen Rechtssystem, am EuGH, daran, dass wir uns auf die bestehenden staatlichen Gerichtssysteme verlas­sen? – Diese Frage hat mir heute von euch noch niemand beantworten können.

Liebe FPÖ! Die Giftzähne wurden nicht gezogen. Gar nichts habt ihr in diesem Bereich zustande gebracht. Ihr habt kapituliert, ihr lauft vor euren eigenen Versprechungen davon. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Ganz offen gesagt, es sitzen ja auch ein paar Burschenschafter herinnen: Was passiert denn bei der Mensur mit denen, die vor der Mensur davonlaufen? – Ich glaube, recht viel Respekt erhalten die Burschen in diesem Bereich nicht mehr. (Bundesrätin Mühlwerth: Nicht über Dinge reden, über die man gar nichts weiß! – Bundesrat Krusche: Schuster, bleib bei deinem Leisten!)

Eure Ankündigungen zu Ceta waren nichts wert. Sie waren nichts wert! Das ist blaue Schaumschlägerpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

15.26

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.