9.16.33

Bundesrätin Sandra Kern (ÖVP, Niederösterreich): Hohes Präsidium! Geschätzte Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Auch von unserer Seite ein Dankeschön dafür, dass wir heute die Möglichkeit haben, im Rahmen dieser Aktuellen Stunde die Strukturreform der Sozialversicherung zu diskutieren.

Wir diskutieren diese Reform seit über 20 Jahren. Jeder von uns weiß, diese Reform ist bisher aufgrund von Macht- und Interessenpolitik immer gescheitert, wir wissen, dass wir in Österreich ein qualitativ sehr hochwertiges Gesundheitssystem haben, und wir wissen auch, dass es nicht immer gerecht ist. Die aktuelle Regierung setzt jetzt die Reform um – wie im Wahlkampf angekündigt, wie im Regierungsprogramm vereinbart; das wird jetzt umgesetzt.

Was haben wir mit dieser Reform jetzt eigentlich geplant? – Wir haben derzeit 21 Ver­sicherungsträger (Zwischenruf des Bundesrates Pfister), und wir werden in Zukunft nur mehr fünf Versicherungsträger haben. Welche werden das sein? – Die Österreichi­sche Gesundheitskasse für Arbeiter und Angestellte, der Selbstständigenträger für die Selbstständigen und die Landwirte, die Versicherungsanstalt für den öffentlichen Dienst Neu mit den Sparten Schiene und Bergbau. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt österreichweit bestehen. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, die AUVA, wird bestehen bleiben, wenn sie die Möglichkeiten zur Strukturreform nutzt und Synergien hebt.

Warum ist diese Reform eigentlich notwendig geworden? – Weil wir Doppelgleisig­kei­ten beseitigen müssen, weil wir der Zweiklassenmedizin den Kampf ansagen müssen, weil wir dann frei gewordene Mittel in den niedergelassenen Bereich und in unsere Landärzte investieren können. Und natürlich ist es auch notwendig, mehr Fairness im Sozialversicherungssystem zu schaffen, damit es langfristig finanzierbar wird, auch für nachfolgende Generationen, und damit wir auch in Zukunft eine flächendeckende qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung garantieren können.

Was waren unsere Prinzipien bei dieser Reform? Was ist uns bei dieser Reform wichtig? – Es darf zu keinen Leistungskürzungen kommen, es dürfen keine Mitarbeiter entlassen werden, es wird keine Beitragserhöhungen geben. (Zwischenruf des Bun­desrates Weber.) Die Mehrfachversicherungen müssen vereinfacht werden. Das Prin­zip der Selbstverwaltung bleibt erhalten, und wir müssen unsere Kassenärzte und Landärzte stärken. Das Wichtigste bei dieser Reform wird sein: gleiche Leistungen für gleiche Beiträge.

Die Frage, die wir uns in Wahrheit alle stellen müssen, ist: Was bringt diese Reform den Patientinnen und Patienten? Ich möchte einige Punkte dazu anführen. Was be­deutet das überhaupt: gleiche Leistungen für gleiche Beiträge? Wie war es bisher? – Bisher hat es unterschiedliche Zuschüsse gegeben: für die Zahnspange, bei der Mund­hygiene, für den Rollstuhl, unterschiedliche Zuschüsse dahin gehend, ob die Schuhein­lagen einmal oder zweimal pro Jahr bezahlt werden.

Auch bei Medikamenten und bei Kuren gibt es wegen neun verschiedener Kassen von Bundesland zu Bundesland Unterschiede. Es ist keiner Arbeitnehmerin erklärbar, warum sie in Tirol andere Leistungen bekommt als in Wien. (Bundesrat Weber: Das ist schon Vergangenheit!) Da braucht es einfach mehr Fairness im System.

Was braucht es noch für unsere Patientinnen und Patienten? – Weniger Bürokratie: Durch die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger sind Zuständigkeiten für Versicherungsfälle, für Patientinnen und Patienten transparenter und es braucht weni­ger Bürokratie. Das Thema Mehrfachversicherungen war uns immer wichtig, auch diese müssen vereinfacht werden, dann gehören bürokratische Hürden und Probleme der Vergangenheit an. Die Regionalität muss erhalten bleiben, und das beste Beispiel dafür ist die PVA – über sie wird nie diskutiert –: Sie beweist täglich, dass die Inter­essen der regionalen Versorgung auch gut durch einen bundesweiten Träger erfüllt werden können. Die regionale Planung bleibt auf Landesebene.

Ein Thema – ich habe es schon angesprochen –, das gerade uns in Niederösterreich besonders wichtig ist, ist, dass mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der nieder­gelassene Bereich gestärkt werden muss. Die Honorarkataloge sollen überarbeitet werden. Es ist uns wichtig, dass es wieder positiv belegt ist, Landarzt oder Kassenarzt zu werden. Ziel muss es dabei auch sein, mehr Zeit für den Patienten zu haben. Auch die Experten stimmen uns bei diesen Veränderungen zu. (Ruf bei der SPÖ: Welche?)

Seit über 50 Jahren – das habe ich nachgelesen – kritisiert nicht irgendwer, sondern die WHO das System der 21 Versicherungsträger in Österreich. Gesundheits­ökono­men und Studien zeigen, dass unterschiedliche Träger immer unterschiedliche Leis­tungen bedeuten und Eigeninteresse Zusammenarbeit und Leistungsharmonisierung verhindert; das heißt, eine Kassenfusion ermöglicht es, das Gesundheitswesen straffer zu organisieren, um die Planung und in weiterer Folge die Versorgung zu verbessern.

Ich darf aus einem aktuellen Beitrag unseres niederösterreichischen Patientenanwalts, der immer das Wohl des Patienten im Auge hat, zitieren: Das aktuelle System kann nicht effizient und effektiv sein, und vor allem nicht im Sinne der Versicherten und Patienten. Durch die Strukturreform der Sozialversicherung kann mehr soziale Gerech­tigkeit erreicht werden. – Zitatende.

Trotz der großen Polemik und trotz der vielen Unwahrheiten, die verkündet werden, gibt es auch in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung zu dieser Reform, aktuelle Umfragen zeigen das. Laut einer Market-Umfrage befürworten 71 Prozent die geplante Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, 32 Prozent der Befragten sagen, dass das Thema Sozialversicherungszusammenlegung wichtig ist.

Zum Abschluss darf ich noch an alle Anwesenden appellieren: Konzentrieren wir uns auf eine sachliche Diskussion, starten wir diese Reform für mehr Gerechtigkeit in unserem Gesundheitssystem, für einheitliche Leistungen für Versicherte und Patienten, und haben wir für die zukünftigen Generationen den Mut zur Veränderung! – Danke. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

9.23

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat René Pfister. Ich erteile es ihm.