10.18.01

Präsident Reinhard Todt (den Vorsitz übernehmend): Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ehrt mich sehr, heute als Präsident des österreichischen Bundesrates meine Schlussrede vor Ihnen und in Anwesenheit unseres Bürgermeisters und Landeshauptmannes von Wien Michael Ludwig halten zu dürfen und Bilanz über das letzte Halbjahr zu ziehen, bevor Wien – im Übrigen die lie­bens­werteste und lebenswerteste Stadt der Welt – den Vorsitz an das Burgenland übergibt. Ein herzliches Willkommen an dieser Stelle nochmals an dich, Herr Landes­hauptmann! (Allgemeiner Beifall.)

Der österreichische Bundesrat ist Schnittstelle zwischen Bund und Ländern, zwischen der Europäischen Union und den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich. Er nimmt aber nicht nur seine Pflicht als Länderkammer wahr, sondern setzt auch eigene The­meninitiativen. So ist der österreichische Bundesrat Vordenker im Bereich des digitalen Wandels und des Fortschritts der Technik. Bereits während der Präsidentschaften von Gottfried Kneifel, Mario Lindner und Edgar Mayer wurden Schwerpunkte zum Thema digitaler Wandel gesetzt.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass der Bundesrat und damit ein Teil der öster­reichischen Gesetzgebung die Auswirkungen der Digitalisierung auf die soziale Ge­rech­tigkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt beleuchtet. Ich habe daher das Motto „Digitale Zukunft sozial gerecht gestalten“ zum Leitsatz meiner Präsidentschaft gemacht.

Um die soziale Frage für die Zukunft zu beantworten, müssen wir den Fokus auf die digitale Dimension legen. Die digitale Transformation ist im Alltag nämlich bereits allge­genwärtig, für Jung und Alt, im Privatleben genauso wie am Arbeitsplatz. Eng verknüpft mit diesem tiefgreifenden Umbruch, dessen langfristige Auswirkungen wir heute und jetzt mitgestalten müssen, ist die Frage, wie wir unsere Gesellschaft auch weiterhin sozial gerecht gestalten können.

Die Herausforderung besteht dabei darin, einerseits einen Raum zuzulassen, in dem sich Innovationen und neue Technologien zu unserem Nutzen entfalten können, ande­rerseits müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, die die soziale Gerechtigkeit auch in einer digitalen Gesellschaft gewährleisten. Diesen Herausforderungen müssen wir uns als Gesetzgebung und als Gesellschaft stellen. Als Präsident des österreichischen Bundesrates stellte ich mich dieser Herausforderung, indem ich durch verschiedene Mittel, Maßnahmen und Veranstaltungen in Diskussion mit Expertinnen und Experten, Politikerinnen und Politikern, Bürgerinnen und Bürgern sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen den Iststand analysierte und Lösungsansätze erörterte.

Ich will Ihnen die Bilanz meiner Präsidentschaft anhand dieser Veranstaltungen kurz skizzieren. Wie eine rote Linie zieht sich die Zusammenarbeit mit Kovar & Partners durch das letzte halbe Jahr der Bundesratspräsidentschaft. Allem voran steht die Arena Analyse 2018 „Wir und die anderen“, diese Studie diente uns als Diskus­sionsgrundlage über den aktuellen Stand des gesellschaftlichen Zusammenhalts im digitalen Wandel. Aufbauend auf dieser Studie veranstaltete ich eine Onlinekon­sul­tation sowie ein World Café unter dem Titel „Digitale Zukunft sozial gerecht gestalten“ unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Die Ergebnisse stellten wir in Form des gestrigen Symposiums mit Expertinnen und Experten vor und hielten sie in einem Grünbuch, das Ihnen heute vorliegt, fest. Es hat sich gezeigt, dass die Bereiche Arbeit, Bildung, Datensicherheit und Demokratie zur Sicherstellung der sozialen Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter besonders wichtig sind.

Das Herzstück meiner Präsidentschaft bildete mit Sicherheit die parlamentarische Enquete unter dem Titel „Älter, Jünger, Ärmer? Zukunftsstrategien gegen Armut in Kind­heit und Alter“. Obwohl Österreich eines der reichsten Länder der Welt ist, leben hier über eine halbe Million schutzbedürftiger Kinder und Pensionistinnen und Pen­sionisten an der Armutsgefährdungsschwelle oder darunter. Im Rahmen der Enquete haben sich dabei folgende Lösungsansätze herauskristallisiert:

Erstens, Kinderarmut: Es ist das Um und Auf, wenn wir Kinderarmut bekämpfen wollen, dass wir das Umfeld der Kinder betrachten: die Familien mit ihrer jeweiligen finanziellen und Wohnsituation, soziale und erzieherische öffentliche Infrastruktur wie Kindergarten, Bildungseinrichtungen, das Angebot an kostenfreier und sozial gestaf­felter Nachmittagsbetreuung und, und, und. Wenn wir also die Kinderarmut bekämpfen wollen, müssen insbesondere finanziell schlechter gestellte Familien gefördert werden und leistbare ganztätige Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen geschaffen werden. Wien stach dabei im Ländervergleich als positives Beispiel besonders hervor: Gratiskindergarten, kostenloses Schul- und Förderangebot, Beispiel Gratisnachhilfe. Die Mindestsicherung trägt zur Absicherung finanziell schwacher Familien bei und wirkt sich damit positiv auf Kinderarmut aus.

Zweitens, Altersarmut: Davon sind vor allen Dingen Frauen verstärkt betroffen, da sie aufgrund des aktuellen österreichischen Durchrechnungsmodells im Durchschnitt auf eine Pension von 850 Euro im Monat kommen. Das sind 550 Euro weniger, als wir Männer durchschnittlich an Pension ausbezahlt bekommen; das liegt daran, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten und auch nach der Karenz einen wesentlichen Teil der Kinderbetreuung, die Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen übernehmen. Wir stehen also vor der Herausforderung, unser Pensionssystem so umzugestalten, dass es keine Altersarmut mehr gibt. Ein Lösungsansatz, der mir persönlich sehr gut gefällt, ist, die schlechtesten zehn Jahre aus dem Durchrechnungszeitraum zu streichen. Zudem sollten Unternehmen, die durch Digitalisierung und technischen Fortschritt bei immer größerem Gewinn immer weniger Arbeitende beschäftigen müssen, einen entsprechend höheren Anteil als steuerliche Abgabe in unser Pensionssystem ein­zahlen. So profitieren am Ende des Tages Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Ich konnte bei der Enquete also feststellen, Armut und Arbeit sind gerade unter dem Einfluss des digitalen Wandels stark miteinander verknüpft. Ich habe mich daher dazu entschlossen, eine Podiumsdiskussion zum Thema digitale Arbeitswelt und eine Buchpräsentation unter dem Titel „Überall ist Zukunft: Die Gesellschaft im digitalen Zeitalter gestalten“ abzuhalten und diese Problemstellungen näher zu erörtern. Dabei wurde ersichtlich: Wie viele Stunden ein Mensch wann, wo und unter welchen Bedin­gungen gearbeitet hat, hat großen Einfluss auf seinen eigenen Wohlstand in der Gegenwart und auf die Pension. Der Wohlstand der Eltern hat wiederum Einfluss auf die Kinder, auf deren Zukunft, auf deren Bildungschancen und damit auf ihre zukünf­tigen Arbeitsverhältnisse.

Wir befinden uns also in einem Teufelskreis, und obwohl immer mehr Arbeit von Maschinen übernommen wird, geht die Tendenz klar in Richtung Selbstausbeutung. Zudem schaffen die Digitalisierung und die fortschreitende Technik neue Berufe, neue Arbeitsverhältnisse, denken wir an Crowdwork, Clickwork oder an Foodora und Uber. Da stimmen die Meinungen der Expertinnen und Experten überein: Es braucht neue arbeitsrechtliche Regelungen hinsichtlich dieser großen Veränderungen in der Arbeitswelt, die sichere Arbeitsverhältnisse und ausreichend Einkommen schaffen.

Auch das Gedenkjahr 2018 prägte meine Präsidentschaft. Gedenkjahr bedeutet, dass wir unsere Verantwortung als offizielles Österreich, aber auch als Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen müssen, an die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus zu erin­nern und uns daran zu erinnern, wozu wir einmal fähig waren. Bei der Gedenk­veranstaltung des österreichischen Parlaments ist dies durch unterschiedliche Beiträge von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, durch Studierende und insbesondere durch die mahnenden Worte von Michael Köhlmeier gelungen. Mit einer Buchpräsentation legte ich einen zusätzlichen Schwerpunkt auf die Restitutionspolitik unseres Landes.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegt an uns, in unser aller Verantwortung, dass Abgrenzung und Ausgrenzung nicht noch einmal die Oberhand in unserer Ge­sellschaft gewinnen. Lassen Sie uns diese Botschaft über das Gedenkjahr hinaus mit­nehmen! (Allgemeiner Beifall.)

Die Erinnerungspolitik hat mich auch bei meinem Auslandsaufenthalt in Japan stark beschäftigt. Ich ergriff daher die Initiative, um in Hiroshima gemeinsam mit den Mit­gliedern der Delegation einen Kranz vor dem Denkmal für die Opfer des Atomangriffs niederzulegen und den dortigen Friedenspark und das Museum zu besuchen. Der Bürgermeister von Hiroshima leitet das Projekt Bürgermeister für den Frieden, an dem bereits über hundert österreichische Gemeinden beteiligt sind. Was mich besonders beeindruckte war, dass die Atombombe direkt über dem am dichtesten besiedelten Gebiet abgeworfen wurde. Da habe ich mich darauf besonnen, wie wichtig das Frie­densprojekt Europäische Union ist.

Durch meine Reisen nach Tallinn, Kairo und Bukarest zu den Konferenzen der Parla­ments- und Senatspräsidenten wurde mir verstärkt bewusst, welche Besonderheit die parteiübergreifende Zusammenarbeit im österreichischen Bundesrat zum Thema Digitalisierung ist. Keine andere Oberkammer berichtete von einer vergleichbaren Initiative. An dieser Stelle möchte ich Ihnen allen, werte Kolleginnen und Kollegen, meine besondere Wertschätzung und meinen Dank für die Zusammenarbeit für unser Land aussprechen. (Allgemeiner Beifall.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sie sehen, kann ich eine sehr lange und ertragreiche Bilanz über meine Präsidentschaft im Bundesrat ziehen. Es ist mir ab­schließend wichtig, einige Gedanken festzuhalten:

Erstens: Die Digitalisierung betrifft sämtliche Lebensbereiche und damit auch sämtliche politische Bereiche – über Arbeit, Bildung, Datensicherheit, Demokratie, Wirtschaft und sogar soziale Kontakte hinweg –, und ihre Auswirkungen werden unser Leben noch viel stärker bestimmen, als wir bisher wahrgenommen haben.

Zweitens: Der digitale Fortschritt wird Gewinner, aber auch Verlierer hervorbringen. Erinnern wir uns an die Großunternehmen, die immer weniger menschliches Personal zum Erreichen ihres Profits benötigen, an die neuen Arbeitsverhältnisse und Berufe, an die derzeit bestehende Kinder- und Altersarmut und an die Gefahr des unlauteren Wettbewerbs! Es liegt in unserer Verantwortung, dass Bürgerinnen und Bürger nicht zum Verlierer von Fortschritt und Innovation werden. Ich halte fest: Wir müssen den neu geschaffenen Raum, der durch die Digitalisierung entstanden ist, gesetzlich re­geln, um soziale Gerechtigkeit und Sicherheit in unserer Gesellschaft weiterhin zu garantieren.

Drittens: Die österreichische Sozialpartnerschaft wird angesichts der bereits beste­henden und der zukünftigen Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeit stark gefragt sein. Die Sozialpartnerschaft muss einen Beitrag dazu leisten, den Diskurs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu führen und nicht abzukürzen. Das ist gerade im Hinblick auf die digitale Zukunft unumgänglich, wenn wir einen sozialen Ausgleich her­stellen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen des Bundes­rates! Es war mir stets die größte Ehre, als Präsident des österreichischen Bundes­rates unser offizielles Österreich zu repräsentieren und mitgestalten zu dürfen. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Zusammenarbeit, für die Diskussionen und für die Einigung zugunsten unserer Republik.

Zum Schluss möchte ich mich noch bedanken: bei dem Klubvorsitzenden der ÖVP Edgar Mayer, bei der Klubvorsitzenden der FPÖ Monika Mühlwerth, bei der Klubvor­sitzenden der Grünen, die leider nicht mehr im Bundesrat ist, Nicole Schreyer, bei Vizepräsident Magnus Brunner, bei Vizepräsidentin Sonja Ledl-Rossmann, bei Vize­präsident Ewald Lindinger, bei dir, Susanne Bachmann – danke herzlich und gib’ das bitte auch deinem Büro weiter –, bei Frau Dr. Alice Alsch-Harant, bei meinem Sekre­tariat Monika Schweitzer-Wünsch und Bianca Dreno, bei meinen Fahrern Wolfgang Magyar und Renat Kojic, beim SPÖ-Klub, bei Dr. Peter Pointner, bei Nicole Garfias und bei Claudia Peska, beim Internationalen Dienst, Dr. Brigitte Brenner und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei der Veranstaltungsabteilung für die vielen Ver­anstaltungen und ihr Verständnis, wenn ich wieder eine spontane Idee gehabt habe, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parlamentsdirektion.

Ich möchte mich auch beim Präsidenten des Nationalrates Wolfgang Sobotka für die Zusammenarbeit mit mir, für die Gespräche, die wir geführt haben, und für das Ver­ständnis, sowie bei Parlamentsdirektor Harald Dossi für sein Verständnis herzlich be­danken. Abschließend bedanke ich mich noch bei meiner Pressemitarbeiterin Lucia Grabetz, die mir oft und oft wieder aufgeholfen hat, wenn ich leicht verzweifelt war.

Ich möchte der künftigen Präsidentin, die aus dem Burgenland kommt, Inge Posch-Gruska alles Gute für ihre Präsidentschaft wünschen. Soweit ich es kann, werde ich  die Vorhaben tatkräftig unterstützen. – Danke für die Aufmerksamkeit und danke euch allen! (Allgemeiner, von BundesrätInnen der SPÖ stehend dargebrachter Beifall.)

10.36

Präsident Reinhard Todt: Ich begrüße nochmals Herrn Landeshauptmann und Bür­ger­meister von Wien Dr. Michael Ludwig sehr herzlich bei uns im Bundesrat. (Allge­meiner Beifall.)

Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Wien gemäß § 38 Abs. 3 GO-BR

Präsident Reinhard Todt: Ich gebe bekannt, dass Herr Landeshauptmann Dr. Ludwig seine Absicht bekundet hat, eine Erklärung gemäß § 38 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Thema „Digitalisierung, Föderalismus und Sozialpartnerschaft“ abzugeben.

Es liegt mir ein schriftliches Verlangen im Sinne des § 38 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Bundesrates vor, im Anschluss an die vom Herrn Landeshauptmann abgegebene Erklärung eine Debatte durchzuführen. Da das Verlangen ausreichend unterstützt ist, werde ich diesem ohne Weiteres stattgeben.

Ich erteile nun dem Herrn Landeshauptmann zur Abgabe seiner Erklärung das Wort.