17.35.12

Bundesrat Gregor Hammerl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsidium! Meine geschätzten Damen und Herren! Heute ist ein großer Tag. Mit dem Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz, das wir heute beschließen, ist im Parlament ein Meilenstein in der Entwicklung der sozialen Verantwortung geglückt.

Wir sind das einzige Land in Europa, meine Damen und Herren, das ein Gesetz hat – das heute beschlossen wird, es ist großartig –, das es ermöglicht, Menschen, die hilfs­bedürftig sind, zu helfen. Es war eine Perspektivenänderung in Richtung der Men­schen, die Schutz brauchen, die zugleich aber die eigenen Fähigkeiten und Kräfte ent­wickeln können.

Der Mensch, der leider auch in sozialstaatlichen Zugängen oft als Mittel behandelt wird, rückt damit in den Mittelpunkt. Der Mensch droht im bürokratischen und betreue­rischen Umgang oft nur zu einer Nummer zu werden, zu einer Sache, die dann ver­waltet wird. In unserem Fall hieß es dann: Er wird besachwaltet, ist also eine Sache, ein Fall.

Dieser indirekte Zugang zum Menschen ist in manchen Punkten, meine Damen und Herren, in einem Sozialstaat aus Gerechtigkeitsgründen wichtig. Er bedarf aber unbe­dingt der Einbettung in eine direkte Begegnung. Die wenigsten wissen, dass es in Österreich knapp 400 000 Frauen und Männer mit der Diagnose Demenz gibt. Die Damen und Herren, die schon länger hier im Bundesrat sind, werden den Herrn kennen: Ich spreche von einem Bundesratskollegen, den ich seit zwei Jahren betreue, der überraschend in eine Anstalt hineingekommen ist. Wir versuchen seit zwei Jahren, ihn herauszuholen. Mit diesem Erwachsenenschutz-Gesetz, meine Damen und Herren, wird es uns gelingen, dass er wahrscheinlich nicht mehr bei seiner Familie, sondern wieder allein und selbstständig wohnen kann.

Meine Damen und Herren! Der Sozialstaat muss ja von der Hilfsbedürftigkeit der Menschen ausgehen, darf aber die Fähigkeiten der Menschen, sich selbst zu ent­wickeln, nicht übersehen. Wenn ich im anderen nur den Hilfsbedürftigen sehe, nicht aber auch seine Fähigkeiten im Auge behalte, kommt es nur zu leicht zur Sicht, den anderen als arm, behindert oder besachwaltet anzusehen.

Dadurch gerät der Mensch in Abhängigkeiten, er wird nicht als ganzer Mensch, mit in manchen Bereichen vielleicht größeren Fähigkeiten als sogenannte Mündige und Schwache, gesehen. Wir brauchen also, meine Damen und Herren, eine ganzheitliche Sicht auf Menschen, die des Schutzes bedürfen. Wir dürfen sie nicht wie unmündige Kinder betrachten. Die Hilfe, die geboten wird, muss als Hilfe zur Selbsthilfe im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ausgestattet werden. Es braucht also einen Blick auf den anderen, der die Schutzbedürftigkeit mit einem Blick auf den ganzen Menschen einordnet.

Ich würde Ihnen raten, dass Sie sich vielleicht einmal eine Demenzstation in dem Bundesland, in dem Sie zu Hause sind, ansehen und fragen, wie der Tagesablauf von morgens bis abends ist: Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Fragen Sie dann einmal selbst dort nach, was mit diesen Menschen sonst noch gemacht wird: etwas Geistiges, dazu auch etwas Körperliches und so weiter? Sie werden sich wundern, dass wir in diesem Bereich Probleme haben, wir haben in diesen Anstalten auch zu wenig Personal.

Diesem Anliegen dient die Tatsache, dass es nach dem Erwachsenenschutz-Gesetz nicht nur eine Kategorie von Vertretung gibt. Meine Damen und Herren, den Sach­walter im klassischen Sinne, der alle Bereiche der Vertretung innehat, gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es vier Kategorien der Vertretung, die den jeweiligen persönlichen Erfor­dernissen angepasst sind.

Das Erste ist die Vorsorgevollmacht. Jeder kann im Voraus bestimmen, wer bei Verlust oder wesentlicher Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit in bestimmten Bereichen die Vertretung übernimmt.

Zweitens gibt es die gewählte Erwachsenenvertretung. Wenn der Bedarfsfall einer Ver­tretung eingetreten ist, kann man immer noch seine Vertretung wählen, auch bei geminderter Entscheidungsfähigkeit. Die gewählte Vertretung ist dann vor einem Notar, einem Rechtsanwalt oder bei einem Erwachsenenschutzverein festzulegen.

Drittens: Die gesetzliche Erwachsenenvertretung ist das, was bisher die Vertretung durch nächste Angehörige darstellte. Diese kann vor den schon genannten Stellen errichtet werden, sie unterliegt der richterlichen Kontrolle und endet spätestens nach drei Jahren.

Viertens: Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ersetzt mit 1. Juli dieses Jahres den früheren Sachwalter. Sie ist auf bestimmte Aufgaben beschränkt und stellt nicht mehr eine Vertretung in allen Angelegenheiten dar. Meine Damen und Herren, mit diesen verschiedenen Formen der Vertretung kann den Grundsätzen Unterstützen statt Ent­mündigen und Schluss mit der kompletten Entmündigung entsprochen werden. Es können damit nämlich die individuellen Bedürfnisse und Schutznotwendigkeiten Be­rück­­sichtigung finden. Mit dieser Veränderung der Perspektive und der Einführung verschiedener Typen von Vertretung ergibt sich nun die Notwendigkeit, in verschie­denen Bereichen des Rechts Anpassungen vorzunehmen, die mit der vorliegenden Beschlussfassung erfolgen.

Es geht dabei nicht nur um ein Austauschen von Wörtern und Finden von neuen Formulierungen. Es geht darum, dass diese neue Perspektive auf den Menschen, seine Schutzbedürftigkeit, aber auch seine unantastbare Würde im ganzen Recht ver­stärkt Platz finden kann.

Mit dem Inkrafttreten des neuen Erwachsenenschutz-Gesetzes gilt es, noch weitere Schritte zu setzen. In Österreich gibt es über 60 000 Menschen, die bis jetzt besach­waltet sind, deren Status nun aber überprüft werden muss. Das betrifft auch das, was ich vorhin erzählt habe, nämlich dieses große Pflegeheim für an Demenz Erkrankte in der Steiermark. Nach Überprüfung dieser 60 000 Fälle kommen Sie drauf, meine Damen und Herren, dass es viele Frauen und Männer gibt, die in diesen Pflegeheimen für an Demenz Erkrankte nichts zu suchen gehabt hätten. Da gibt es andere Möglich­keiten in der Familie da und dort, das hätte nicht so weit kommen müssen. Das Erwachsenenschutz-Gesetz wird diesbezüglich eine Hilfestellung sein.

Es stellt sich auch die Frage, welchen Kategorien der Vertretung sie jetzt zugeordnet werden. Meine Damen und Herren, beim Umgang mit den Betroffenen zeigt sich, wie der Geist des Gesetzes in die Umsetzung des Gesetzes münden kann. Da brauchen wir einen großen Einsatz und großes Einfühlungsvermögen der Behörden und der Vertreter der Schutzbedürftigen. Es gibt diesbezüglich viel Arbeit.

Wenn ich am Anfang erwähnt habe, dass es sich bei diesem Erwachsenenschutz-Gesetz um einen Meilenstein in der Entwicklung der sozialen Verantwortung handelt, so muss ich jetzt darauf hinweisen, dass dieses Gesetz, meine Damen und Herren, wesentlich von der früheren Nationalratsabgeordneten Mag. Gertrude Aubauer, Vize­präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes, mitinitiiert und mitgetragen worden ist, auch der Herr Minister hat es hier im Haus öfter erwähnt. – Ein großes Danke dafür!

Auch Ihnen, Herr Bundesminister, ein großes, großes Dankeschön! Wir wissen und Sie wissen, das Gesetz war nicht billig. Sie haben da und dort gerechnet, und Sie haben mit Freude zugestimmt. Wir wissen das. Es wird noch viel Kraft brauchen, dass wir diese 60 000 Fälle überprüfen. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen, es ist uns in Österreich ein Meilenstein gelungen, danke für die Mitarbeit. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und FPÖ, bei BundesrätInnen der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

17.42

Vizepräsident Ewald Lindinger|: Zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Elisabeth Grossmann. Ich erteile dieses.