10.57.49

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegin­nen und liebe Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Galerie! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernsehgeräten! 8 Stunden Ar­beit, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf – diese Forderung wurde bei den ersten Ers­te-Mai-Demonstrationen aufgestellt und auch erkämpft. Seitdem gibt es eine Entwick­lung der Arbeitszeit, und vielleicht kann ich Ihnen einen kleinen Überblick über diese Entwicklung geben.

1945 wurde die 48-Stunden-Woche eingeführt, 1947 ein Kollektivvertragsgesetz, wo­nach sich Abschlüsse am 8-Stunden-Tag und an der 48-Stunden-Woche orientieren, 1948 ein Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz, wonach die Normalarbeitszeit für Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr 44 Stunden pro Woche beträgt; das ist der 8-Stun­den-Tag. 1956 wird der Urlaubsanspruch von 12 auf 18 Werktage verlängert. 1959 wird die Arbeitszeit von 48 auf 45 Stunden gekürzt. 1969: schriftliche Festlegung der Einfüh­rung der 40-Stunden-Woche, Generalkollektivvertrag und Beschluss eines Arbeitszeit­gesetzes, wodurch sich die Arbeitszeit verringert; 1970 erfolgte eine Arbeitszeitverkür­zung auf 43 Stunden.

1972: Arbeitszeitverkürzung auf 42 Stunden. 1975: Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stun­den. 1977: Der Urlaub wird auf 24 Werktage verlängert. 1983: Das Bundesgesetz über eine etappenweise Urlaubsverlängerung tritt in Kraft. Ab dem Urlaubsjahr, das im Jahr 1986 beginnt, beträgt das Urlaubsausmaß fünf Wochen, nach 25 Dienstjahren sechs Wochen. Ab 1985: weitere Verkürzung der Arbeitszeit von 38,5 auf 38 Stunden pro Woche durch Kollektivvertragsregelungen. 1988: Für 1 085 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt bereits eine Wochenarbeitszeit von weniger als 40 Stunden.

Sie haben jetzt einen Überblick über die Entwicklung der Arbeitszeit bekommen. (Bun­desrat Rösch: Wie ist es weitergegangen?) Das ist ja nicht stehen geblieben (Bun­desrat Rösch: Genau!), denn es gibt ja heute schon Kollektivvereinbarungen, gemäß denen die Wochenarbeitszeit verändert werden kann und je nach den Bedürfnissen der Unternehmen gestaltet werden kann. Nur: Diese Gestaltung setzt voraus, dass es kol­lektivvertragliche Vereinbarungen gibt, also eine Verhandlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, beziehungsweise eine Betriebsvereinbarung, das heißt ebenfalls eine Verhandlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Ich möchte Ihnen noch eine persönliche Geschichte erzählen: Ich habe 1963 eine Leh­re als Maschinenschlosser begonnen, habe in einem Betrieb gearbeitet, der heute Weltmarktführer bei Autokränen ist, und habe dort auch meine Lehre abgeschlossen. Ich habe in dieser Zeit – der Betrieb war nicht sehr groß – erfahren, wie es ist, wenn im Unternehmen mit Willkür gestaltet wird.

Die Willkür hat so ausgesehen, dass ich als Lehrling die Jause geholt habe, dass ich als Lehrling zusammengekehrt habe und vieles, vieles andere mehr. Gelernt habe ich meinen Beruf grundsätzlich einmal in der Berufsschule. Ich weiß, dass sich diesbezüg­lich vieles verändert hat, und ich weiß auch, dass es da viele Verdienste auch vonsei­ten der Arbeitgeber gibt (Bundesrätin Zwazl: Danke!), aber zum damaligen Zeitpunkt habe ich selbst erfahren, was es heißt, in einem Betrieb zu arbeiten, in dem es keine Arbeitnehmervertretung gegeben hat.

Wir haben uns zusammengeschlossen und haben dafür eine geschaffen: Ein Betriebs­rat wurde erkämpft – gegen den Widerstand des Unternehmers.

Der wesentliche Punkt bei dem heute vorliegenden Gesetzesbeschluss ist der, dass darüber mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht verhandelt worden ist (Ruf bei der FPÖ: Das stimmt ja gar nicht!), obwohl das ganz wichtig wäre, dass es kei­ne Begutachtung gegeben hat und vieles andere mehr. (Bundesrat Rösch: Jahrelan­ges Gerede!) – Ja, jahrelanges Gerede. – Es gibt sehr viele betriebliche Vereinbarun­gen, durch die die Arbeitszeit flexibel gestaltet wird. Arbeitnehmer haben das immer auch als notwendig erkannt und als wichtig erkannt, und ich glaube nicht, dass es Ar­beitnehmer gegeben hat, die sich verweigert haben, wenn Aufträge fertiggestellt wer­den mussten. (Bundesrätin Zwazl: Aber Gesetz ist das nicht!)

Ich glaube nicht, dass es Arbeitnehmer gegeben hat, die sich in Verhandlungen gewei­gert haben, auf Flexibilität einzugehen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Seeber: Die Arbeitnehmer nicht, aber die Gewerkschaft!)

Ich habe mich im letzten halben Jahr als Bundesratspräsident sehr stark mit der Digi­talisierung beschäftigt, und ich weiß auch, dass sich die Arbeitsverhältnisse gerade in diesem Bereich auch verändern, aber es braucht beide, um diesen Fortschritt, den technologischen und auch den digitalen Fortschritt, auch gemeinsam zu verarbeiten beziehungsweise auch gemeinsam zu gestalten. Es geht dabei also um das Gemein­same, und das ist nicht durchgeführt worden, nämlich darüber zu reden: Wie machen wir denn das? Das haben Sie nicht gemacht, sondern Sie haben überfallsartig einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es darum geht, die Arbeitnehmer ganz extrem zu be­nachteiligen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Sie alle wissen ganz genau, dass die Sozialpartnerschaft in Österreich ein Erfolgsmo­dell ist, dass sie das Erfolgsmodell überhaupt ist, dass sie das Erfolgsmodell ist, das in dieser Republik zu Wohlstand für alle geführt hat, dass sie das Erfolgsmodell ist, das dazu dient, den sozialen Frieden zu erhalten und den sozialen Zusammenhalt zu ge­stalten.

Es geht auch um den sozialen Zusammenhalt und es geht nicht ums Auseinanderdi­vidieren. (Ruf bei der FPÖ: Was macht ihr?) Es geht darum, dass die Menschen ge­meinsam miteinander leben, weil sie auch gemeinsam miteinander arbeiten. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Herr Abgeordneter Beppo Muchitsch und ich haben Ihnen einen offenen Brief geschrie­ben. (Ruf bei der FPÖ: Ungelesen!) – Herr Pisec, Sie brauchen ihn nicht zu lesen. (Bundesrat Samt – auf den neben ihm sitzenden Bundesrat Pisec weisend –: Er hat ja gar nichts gesagt!) Ich erzähle Ihnen jetzt, was in diesem offenen Brief steht, und ich kann Ihnen diesen auch gerne vorlesen. Ich teile Ihnen jetzt die wichtigsten Teile da­von mit. (Bundesrat Pisec: Herr Kollege, ich hab ja gar nichts gesagt! – Ruf bei der FPÖ: Weiter hinten war es!)

Wir haben Ihnen einen offenen Brief geschrieben, in dem wir noch einmal auf die Punkte aufmerksam gemacht haben, in dem wir noch einmal gesagt haben, worum es bei dieser ganzen Frage in Wirklichkeit geht. Sie haben dieses Gesetz in einer Ge­schwindigkeit durchgezogen, dass man nicht einmal mehr zum Schnaufen gekommen ist, und Herr Abgeordneter Muchitsch bietet hier Folgendes an – das hat er auch im Nationalrat sehr klar und sehr deutlich gesagt –: Er bietet an, dass das Gesetz, nach einer ordentlichen Begutachtung – und zwar noch im Sommer, damit es im September im Nationalrat beschlossen werden kann –, im Sozialausschuss noch einmal verhan­delt wird. (Ruf bei der FPÖ: Na großzügig!)

Sehr geehrte Bundesrätinnen und sehr geehrte Bundesräte! Sie haben hier die Mög­lichkeit, zu erwirken, dass der Bundesrat dieses Gesetz noch einmal an den National­rat zurückschickt. Nützen wir diese Möglichkeit! (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundes­rätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Nützen wir diese Möglichkeit und diese Chance für den Bundesrat, damit dieses Ge­setz auch so verhandelt wird, wie es verhandelt werden muss, nämlich mit ordentlichen Stellungnahmen, mit einer ordentlichen Diskussion im Sozialausschuss! Das ist, glau­be ich, einer der wichtigsten Punkte, und ich ersuche Sie, genau diese Frage noch ein­mal zu überdenken.

Ich bringe den Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates ein, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates mit der beigegebenen Begrün­dung Einspruch zu erheben, wobei dieser Antrag im Sinne des § 43 Abs. 4 der Ge­schäftsordnung von mir in seinen Kernpunkten wie folgt erläutert wird:

Ich habe Ihnen schon gesagt, dass vor über 100 Jahren der 12-Stunden-Tag abge­schafft wurde. Der 12-Stunden-Tag macht krank, der 12-Stunden-Tag ist gesamtge­sellschaftlich ein Rückschritt in frühindustrielle Zeiten. (Bundesrat Köck: Wieso habt ihr es dann für die ÖBB gemacht?) – Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es Verträge gibt, wo es mit Arbeitnehmern und Arbeitgebern vereinbart ist (Bundesrat Köck: Und dort macht es nicht krank?), um Flexibilität herzustellen. – Ich weiß nicht: Hören Sie ei­gentlich zu? Warum wollen Sie eine gesetzliche Regelung unbedingt durchsetzen? (Bundesrat Raml: Weil es unsere Aufgabe ist!)

Warum gibt es nicht Verhandlungen? Ich biete gerade Verhandlungen an – Sie haben die Möglichkeit, dieses Verhandlungsangebot anzunehmen. Sie haben die Möglichkeit, diese Verhandlungen anzuführen.

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Herr Bundesrat, könnten Sie dann bitte allmählich zum Schluss kommen?

Bundesrat Reinhard Todt (fortsetzend): Ich kann zum Schluss kommen, ich bin gleich fertig.

Wenn Sie den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche einführen, dann bedeutet das Lohnraub, Freizeitraub, Gesundheitsraub. (Bundesrat Köck: Das habt ihr alles bei den ÖBB gemacht!)

Und was bedeutet die Regelung ganz konkret? – Ich erzähle es Ihnen noch ganz kurz – wir haben eine freiwillige Redezeitbeschränkung, und ich überziehe jetzt ein bisschen –: Aufstehen um 4.30 Uhr; Toilette, Frühstück (Bundesrat Krusche: Ich will nicht wissen, wo du aufs Klo gehst!); 5 Uhr bis 6 Uhr: Fahrt zur Arbeitsstelle (Ruf bei der FPÖ: Redezeit, Herr Präsident!); 6 Uhr bis 18.45 Uhr: Arbeitszeit – dazwischen ei­ne Viertelstunde Jausenzeit, eine halbe Stunde Pause –; 18.45 Uhr bis 19.45 Uhr: Fahrt nach Hause; 19.45 Uhr bis 20.45 Uhr: Toilette, Abendessen, 20.45 Uhr bis 21.30 Uhr: eine Dreiviertelstunde für Familie/Kinder; 21.30 Uhr bis 4.30 Uhr: 7 Stunden Schlaf; 4.30 Uhr: Aufstehen. – Das ist der 12-Stunden-Tag (Bundesrat Rösch: Diens­tag, Mittwoch: fertig! – Heiterkeit bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ), und vieles, vieles andere mehr.

Sie können das ja gerne nachlesen. Der Antragt ist abgegeben, und ich fordere Sie daher noch einmal auf: Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch! Schicken wir dieses Gesetz in den Nationalrat zurück! (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dzie­dzic und Stögmüller.)

11.11

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Der von den Bundesräten Reinhard Todt, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Antrag gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsord­nung, gegen den Beschluss des Nationalrates vom 5. Juli 2018 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Allgemeine So­zialversicherungsgesetz geändert werden, mit der beigegebenen Begründung Ein­spruch zu erheben, wobei dieser Antrag im Sinne des § 43 Abs. 4 der Geschäftsord­nung in seinen Kernpunkten erläutert wurde, ist genügend unterstützt und steht dem­nach in Verhandlung.

Begrüßen darf ich zur Verhandlung dieses Tagesordnungspunktes jetzt auch Frau Bundesministerin Mag. Beate Hartinger-Klein. Herzlich willkommen! (Beifall bei ÖVP und FPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann. Ich ertei­le es ihm.