12.23.09

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich)|: Wertes Präsidium! Sehr geehr­te Ministerinnen! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser aufgeheizten Stimmung jetzt eine Rede zu halten, ist nicht leicht. (Bundesrat Rösch: Da redet jetzt der Spe­zialist!)

Vorletzten Samstag habe ich so wie weitere hunderttausend Menschen auf der Straße gegen dieses Gesetz demonstriert, das sage ich ganz offen. Das ist ein Recht, das wir in Österreich haben, nämlich gegen Gesetze zu demonstrieren. Und ich sage auch, und das sage ich ganz ehrlich, dass ich nicht dafür bin und es auch nicht gutgeheißen habe, dass man zum Sturz einer demokratisch gewählten Regierung aufruft. Das finde ich nicht in Ordnung. Wenn, dann wählen wir sie in Österreich ab, aber wir stürzen sie nicht. Das ist auch ganz wichtig und meine persönliche Meinung dazu. (Beifall bei Bun­desrätInnen der SPÖ sowie der Bundesrätin Dziedzic.)

Ich möchte Ihnen abseits aller Emotionen sagen, warum ich das gemacht habe, warum ich demonstriert habe und warum ich gerade als junger Mensch denke, dass dieses Gesetz ein Rückschritt ist. Bevor wieder das Argument kommt: Ach, dieser junge Bur­sche da vorne, was weiß der denn überhaupt, was arbeiten ist, was soll der schon wissen oder warum soll der überhaupt mitreden? , möchte ich sagen: Ich war selbst mehrmals auf Saison in Tirol und auch in der Schweiz, und ich weiß selbst, was Durchrechnungszeiträume in der Praxis draußen bedeuten. Ich habe mehr als acht Jahre lang hauptberuflich im Rettungsdienst gearbeitet, und das bedeutet Normarbeits­zeiten von 48 Stunden. Das war schon vereinbart, das heißt, 12 Stunden pro Tag, vier Mal die Woche. Wenn sich keine Freiwilligen gefunden haben, dann ist das halt locker auch einmal fünf Mal die Woche so gewesen, und das waren dann 60 Stunden.

Sie sehen, ich habe das sehr wohl erlebt. Ich habe die 60-Stunden-Woche, wie man die dann auch nennen will, sehr wohl gehabt. Eigentlich wären mit dem Betriebsrat ei­ne Ruhezeit von 4 Stunden am Tag und Dienstschluss um 19 Uhr vereinbart gewesen. Wie sich jeder vorstellen kann, kann man sich Notfälle nicht aussuchen, sie gesche­hen, und dann muss man halt einmal eine Stunde dranhängen, oder die 4-Stunden-Ru­hezeit wurde einfach nicht eingehalten.

Jetzt kann man sagen, da hätte der Betriebsrat einschreiten sollen. – Ja, klar! Eine lus­tige Anekdote dazu: Mein Betriebsrat war August Wöginger, der momentan mit seiner Sozialpolitik nicht gerade die positivsten Schlagzeilen macht. (Widerspruch bei der ÖVP.) Entschuldigung! Von meiner Seite aus gesehen keine positiven Schlagzeilen macht, oder keine positive Sozialpolitik, auch von meiner Seite aus bewertet.

Was ich zeigen möchte, ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexibel sind und gerne auch einmal mehr machen, als rechtlich vorgesehen ist. Die betriebliche Praxis zeigt, dass die Menschen aus Rücksicht auf die KollegInnen, aus Angst, beruf­lich nicht Schritt halten zu können oder sogar den Arbeitsplatz zu verlieren, schon jetzt – unter Anführungszeichen – „freiwillig“ viel in Kauf nehmen.

Der Knackpunkt ist also: Es ist eben nicht für die ArbeitnehmerInnen flexibel einteilbar, sondern für die Arbeitgeber. Angesichts der Übergehung des Betriebsrates bleiben nicht viele Möglichkeiten für die ArbeitnehmerInnen, sich dagegen irgendwie zu wehren oder etwas dagegen zu tun. Das wird in Zukunft das große Problem sein. In Zukunft können dann ArbeitgeberInnen einfach den 12-Stunden-Tag anordnen, ohne Zustim­mung oder Absprache mit dem Betriebsrat und de facto auch ohne Zustimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Es wird jetzt mit diesem Initiativantrag, der ohne Begutachtung – das wurde heute schon mehrmals angesprochen – und wirklich in einer Drüberfahrmentalität außerhalb der so­zialpartnerschaftlichen Konsensbemühungen heute im Bundesrat beschlossen wird, legal sein, bis zu 13 Wochen am Stück 60 Stunden lang zu arbeiten. Glauben Sie mir, Frau Ministerin, ich bin wirklich nicht per se gegen die Arbeitszeitflexibilisierung – wirk­lich nicht. Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass es wirklich sinnvoll wäre, die Arbeitszeit zu flexibilisieren, denn das ist einfach, wie Sie oft sagen, Teil der Realität der Jungen. Wenn aber wirklich eine Flexibilisierung kommen soll, dann für die Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer, und nicht für die ArbeitgeberInnen. Das ist genau der Punkt, denn bei einer ordentlichen Umsetzung könnte das tatsächlich den ArbeitnehmerInnen ein Mehr an Freiheit in der Gestaltung der Freizeit bringen, hätten wir das Gesetz nur wirk­lich gescheit und ordentlich ausgearbeitet. Das auf jeden Fall! Doch dafür hätte man die ArbeitnehmerInnen und auch deren VertreterInnen im Parlament in den Gesetzwer­dungsprozess einbinden sollen und nicht nur die Industriellenvereinigung und die Wirt­schaftskammer. Das wäre notwendig gewesen, das wäre ein ganz wichtiger Schritt auch im Sinne der Sozialpartnerschaft gewesen.

Das Gesetz wird Auswirkungen auf Familien haben; das haben wir heute schon gehört. In Zukunft müssen Familien schauen, wie sie gemeinsam den Alltag meistern können, denn diese Regierung macht es den Familien wirklich nicht gerade leicht – auch nicht jenen in den Ländern. Sie brauchen sich nur das Barcelona-Ziel anzuschauen. Schau­en Sie sich die faktischen Zahlen und das Barcelona-Ziel an! Wir sind, was die Kinder­betreuung angeht, noch weit weg von dem Punkt, den wir eigentlich erreichen wollen. In Österreich liegt der Schnitt bei 27,9 Prozent Kinderbetreuung. Der sollte seit Jahren bei 33 Prozent liegen, und wir entfernen uns eher weiter davon, als wir darauf zusteu­ern. Und wer ist das Schlusslicht? – Na no na ned – Überraschung! –: Das schwarz-blaue Musterland Oberösterreich mit einer Betreuungsquote von noch immer 17,4 Pro­zent! Der Österreichschnitt beträgt 27,9 Prozent. Oberösterreich ist also wirklich weit abgeschlagen. Es bräuchte einen Entwicklungsprozess, aber wir gehen genau den konträren Weg. Das schwarz-blaue Musterland Oberösterreich ist auch bei den Öff­nungszeiten das Schlusslicht. Nur jeder vierte Kindergarten hat länger geöffnet als 9 Stunden – jeder vierte Kindergarten!

Und jetzt möchte ich nur wissen, wie das überhaupt irgendwie machbar sein soll, wenn dann vom Arbeitgeber angeordnet werden wird, dass man freiwillig 12 Stunden arbei­ten soll. De facto wird es ein Riesenproblem, dem wir uns stellen müssen, wenn Eltern mehr arbeiten sollen, aber nicht wissen, wo sie ihre Kinder unterbringen können. Der 12-Stunden-Tag wird eine Zerreißprobe für berufstätige Eltern, das ist ein Faktum. – Ich will jetzt aber auch nicht direkt den Teufel an die Wand malen. Es wird nicht alle be­treffen, aber es wird trotzdem ein sehr großes Problem.

Was die Ausweitung der Arbeitszeit für die Pflege von Eltern oder Großeltern, für die Pflege von behinderten Menschen, für die Hausarbeit oder, und das ist mir persönlich wichtig, auch für das Ehrenamt bedeutet, wird sich in den nächsten Jahren noch mas­siv zeigen. Es wird immer enger! Gerade das Ehrenamt leidet jetzt schon unter dem massiven Druck, dem die Menschen in der Arbeit ausgesetzt sind. Es ist jetzt schon ein Riesenproblem, überhaupt noch Ehrenamtliche zu finden, und es wird nicht leichter werden, die freiwillige Feuerwehr, den Rettungsdienst und so weiter aufrechtzuerhal­ten. Es ist jetzt schon ein riesengroßes Problem, freiwillige MitarbeiterInnen hiefür zu finden. Das wird Folgekosten verursachen, mit denen wir genauso rechnen werden müssen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.

Viele von Ihnen sind in Landtagsklubs, in den Gemeinderäten oder Bürgermeister und wissen daher: Das wird in den Gemeinden ein großes Problem sein. Fragen Sie die Feuerwehren, wie es ist, Freiwillige für untertags zu finden! Wenn da noch mehr Druck aufgebaut wird, wird das ein riesengroßes Problem sein.

Ohne jetzt gleich den Weltuntergang heraufbeschwören zu wollen, möchte ich sagen, dass man diese Regierungsvorlage nicht nur zugunsten der Industrie hätte gestalten dürfen, sondern sehr wohl auch zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und das vermisse ich einfach. Das hat man leider nicht gemacht. Bedenken Sie immer, und das ist für mich persönlich ganz wichtig, es geht bei diesem Gesetz nicht um den 28-jährigen Jusstudenten, der gerade mit der Uni fertig geworden ist, der gern einmal 12 Stunden, 13 Stunden hackelt. Das ist überhaupt kein Problem als junger Mensch. Da gehe ich gerne arbeiten, da bin ich motiviert, da will ich Karriere machen. Das ist absolut gerechtfertigt. Mir geht es aber um die Personen, die von mir aus am Hochofen arbeiten, im Supermarkt, die dann an vier Sonntagen freiwillig arbeiten dürfen; zufällig werden die dann alle just im Dezember sein. Das wird ein großes Problem sein! Oder sie arbeiten bei KTM am Fließband. Die haben keinen Universitätsabschluss und sind nicht in einer privilegierten Situation, wie wir alle hier es sind.

Diese ArbeitnehmerInnen, diese MitarbeiterInnen an der Supermarktkassa oder bei KTM am Fließband werden genau beobachtet. Da wird mit einer Uhr gestoppt und mit­gezählt, ob sie das Soll erfüllt haben oder nicht. Da wird dann ganz freiwillig, ohne Druck auszuüben, mitgezählt, wie viele Motorräder man gebaut hat. Wenn man damit nicht zurande kommt, muss man danach halt noch ganz freiwillig und flexibel ein paar Stunden länger arbeiten. Das ist genau das große Problem, das ich sehe. Man hat sich der Industrie hingegeben und nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge­handelt.

Nein, Frau Ministerin: Durch dieses Gesetz wird Menschen Privat- und Familienleben genommen, die Gesundheit wird gefährdet, das Ehrenamt wird in Gefahr gebracht, und das ist ein großes Problem. Das müssen Sie und die Abgeordneten der Regierungs­parteien und der NEOS verantworten. Für uns Grüne ist das so nicht hinnehmbar, und wir werden das auch nicht so hinnehmen. – Vielen Dank. (Beifall der Bundesrätin Dzie­dzic sowie bei der SPÖ.)

12.32

Vizepräsident Ewald Lindinger: Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. Zu Wort ge­meldet ist Herr Bundesrat Josef Ofner. Ich erteile ihm dieses.