16.25.16

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Staatssekretärin! Kollegen und Kolleginnen! „Es gibt kein Asylrecht, keine Freiheit, keine Sauberkeit für den Fremden. Er sitzt auf dem Pulverfass und darf war­ten, bis etwas knistert. Fliegt er in die Luft, so werden die Erben eingesperrt: wegen Abhaltens einer öffentlichen Lustbarkeit ohne behördliche Genehmigung.“ „Der Fremde ist in Europa rechtlos“, das schrieb Ignaz Wrobel 1926.

Seither hat sich einiges getan. Unsere Vorfahren haben, wie Sie wissen, für die Frei­heit, für die Menschlichkeit und für die Demokratie gekämpft und sind dafür gestorben, und wir dürfen uns heute stolz Europäer nennen. Aktuell wird aber die Idee dieses Eu­ropa immer finsterer, und ja, leider tragen Sie enorm dazu bei.

Österreich hat sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, Menschen, die aus ihrer Heimat aus bestimmten Gründen, die in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegt sind, flüch­ten, Asyl zu gewähren. Wird ein Mensch aus den darin beschriebenen Gründen ver­folgt, darf er in Österreich einen Asylantrag stellen. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet es auch, dass Flüchtlinge für den illegalen Grenzübertritt bestraft werden.

„Die Migrationskrise von 2015 hat in der Bevölkerung den Eindruck eines Kontrollver­lustes der politischen Eliten und EU-Institutionen ausgelöst [...]“, sagte Minister Kickl am 9. Juli 2018 im Innenausschuss des EU-Parlaments in Brüssel.

Die Frage ist berechtigt: Wer war denn damals zuständig für diese Kontrolle? Was hat der aktuelle Kanzler damals gemacht? 2016 wurden 42 073 Asylanträge eingebracht, das sind rund 52 Prozent weniger als im Jahr davor. 4 551 Asylanträge stammten in diesem Zeitraum von unbegleiteten Minderjährigen. (Ruf bei der FPÖ: Die ausschauen wie 25!) Das sind 46 Prozent weniger als im Vorjahr. Allein seit Jahresbeginn 2018 sind 1 412 Menschen im Mittelmeer ertrunken, und jetzt steht tatsächlich nichts Gerin­geres als unsere Menschlichkeit auf dem Spiel.

Wir sehen alle zu und Sie argumentieren mit der Fluchtbewegung von 2015. Strache, Seehofer, Salvini, die sind für mich aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie wollen die kurzfristigen Probleme auf die anderen abwälzen, und für die langfristigen Probleme haben sie keinerlei Lösungen. Das bedeutet, wir lassen die Menschen im Mittelmeer ertrinken, obwohl wir sie retten könnten. Und wer es nach Europa schafft, der wird in ein Lager gesteckt. Anträge sollen die Menschen in dem Land stellen, aus dem sie flüchten.

Konkret beschließen wir heute, wie wir gehört haben, die Möglichkeit, dass Flüchtlin­gen bis zu 840 Euro abgenommen werden. Die mitgeführten Datenträger können kon­trolliert werden. Es wird möglich sein, die vor einer Ausweisung stehenden Flüchtlinge bereits 72 Stunden vorher in Schubhaft festzuhalten. Krankenanstalten sind in Zukunft verpflichtet, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über deren bevorstehende Entlassung zu informieren, und wenn sie trotz eines rechtskräftigen Einreise- und Auf­enthaltsverbotes wieder nach Österreich kommen und sich hier aufhalten, droht künftig nicht nur wie bisher eine Geldstrafe, sondern sie können alternativ auch für bis zu sechs Wochen in Haft genommen werden.

Eine weitere Neuerung: Asylwerber können bereits im Zulassungsverfahren verpflichtet werden, Unterkunft in einer bestimmten Betreuungseinrichtung des Bundes zu bezie­hen.

Noch etwas: Bisher konnten Asylberechtigte, wenn alle Kriterien erfüllt waren, bereits nach sechs Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen. Diese Wartefrist wurde jetzt auf zehn Jahre erhöht.

Auch die Kosten wurden erhöht, obwohl Österreich bereits eine der teuersten Staats­bürgerschaften aller EU-Staaten hat. Für eine Familie ist diese jetzt schon sehr schwer leistbar. Mit diesem Beschluss wird sie zum Luxusgut. (Bundesrat Krusche: Wenn sie nichts kostet, ist sie nicht ...!)

Ich habe eine Frage: Glauben Sie tatsächlich, dass Sie mit diesen Änderungen, die hier vorgenommen werden, Menschen davon abhalten, zu flüchten? Ich glaube näm­lich nicht, ich glaube, dass diese Änderungen lediglich mehr Schikane ermöglichen. (Zwi­schenrufe bei der FPÖ.)

In der Flüchtlingspolitik braucht es Rationalität, aber auch Humanität (Bundesrätin Mühl­werth: Da werden wir sehen, wie weit wir kommen!), genauso wie es Klarheit darüber braucht, wie man im Rechtsstaat Österreich Asyl erhalten kann. Dafür haben Sie sich aber nie wirklich eingesetzt. Sie reden immer von kürzeren und qualitätsvollen Asylver­fahren und wissen gleichzeitig, dass 42 Prozent der negativen Asylbescheide der ers­ten Instanz aufgehoben werden. (Ruf bei der FPÖ: Das wird schon seinen Grund ha­ben!) Darauf haben Sie keine Antwort.

Sie nehmen sich die ungarischen und polnischen Nationalisten zum Vorbild und ma­chen gemeinsame Sache mit italienischen Rechtsextremen, und damit spalten Sie Eu­ropa. (Rufe bei der FPÖ: Geh bitte!)

Die einzigen Antworten auf all die Herausforderungen, die Sie haben, sind plumpe, rechte Populismen, die das Niedrige im Menschen wachrütteln und kaum zu einer Ver­besserung der globalen Lage beitragen – und das wissen Sie auch! (Bundesrätin Mühlwerth: ... Linksextremismus!) Sie sagen auch selbst immer wieder, dass es sich hier um reine Abschreckung handelt. Den Menschen, die auf der Flucht sind, werden Sie aber mit genau diesen kleinen Änderungen womöglich das Leben tatsächlich zur Hölle machen. (Vizepräsident Lindinger übernimmt den Vorsitz.)

Tatsache ist nämlich, dass Europa die Rechnung für seine früheren Raubzüge nie be­zahlt hat. (Bundesrätin Mühlwerth: Ah, jetzt sag mir bitte ...!) Wenn wir weiterhin – das ist aktuell – Waffen verkaufen und uns am Elend der Länder des globalen Südens oder in Kriegsgebieten bereichern, dann dürfen wir uns nicht darüber wundern, dass Krieg, Ressourcenknappheit und Hunger Menschen zur Flucht zwingen.

Ich wiederhole es nochmals und gerne: Flucht ist noch immer kein Verbrechen. Was hier fehlt, ist die Verantwortung. Ich hoffe, Sie werden einmal Ihren Kindern erklären müssen, wieso Sie diese Verantwortung nicht übernommen haben, als es noch mög­lich war, eine gemeinsame europäische Lösung zu finden, anstatt sich so wie heute in Innsbruck in gehässigem Nationalismus zu erschöpfen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ge­hässig sind nur Sie!)

Treten Sie nicht so großspurig auf! (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ), hat EU-Kom-missionspräsident Juncker ja vor Kurzem zu Kanzler Kurz sinngemäß gesagt. Ja, ich weiß, dieses Video war nur kurz online.

Jedenfalls sage ich Ihnen, dass keine EU-Ratspräsidentschaft das Recht hat, die Gen­fer Konvention außer Kraft zu setzen, und dass ich in einem Europa leben möchte, das weltoffen, solidarisch und den Menschenrechten verpflichtet ist. Stattdessen werden dort, wo 1989, als meine Familie nach Österreich kam, die Zäune aufgeschnitten wur­den, heute Mauern gebaut und Grenzkontrollen wieder eingeführt.

Da wir heute schon bei Zitaten zu Hass waren, habe ich auch eines von Martin Luther King: „Ich habe zu viel Hass gesehen, als dass ich selber hassen möchte [...].“ (Bun­desrat Pisec: Das ist wieder falsch!) Ich ergänze: So viele Mauern, wie es weltweit Elend gibt, werden Sie nicht bauen können, ohne die Weitsichtigkeit bei Ihrer Kurz­sichtigkeit zu verlieren. – Vielen Dank. (Beifall des Bundesrates Stögmüller sowie bei der SPÖ.)

16.34

Vizepräsident Ewald Lindinger: Zu Wort gelangt Herr Bundesrat Georg Schuster. Ich erteile es ihm.