10.36

Bundesrat Mag. Reinhard Pisec, BA MA (FPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Zuseher vor den Bildschirmen! Der digitale Wandel in seiner Metaebene ist natürlich keine Momentaufnahme, wir befinden uns in einer Epoche permanenter Beschleu­nigung. Es wird schneller, es wird effizienter. Die Themenstellung, wenn man sie in dem Sinne interpretiert, wie ich es vorhabe, betrifft aber nicht die Netzwirtschaft, stellt nicht die Netzwirtschaft ins Zentrum, sondern die konstruktive Anwendung für Wirt­schaft und Gesellschaft, weil das ja letztlich von Bedeutung ist. Wir sollten uns nicht von den Technikfreaks einen Hype aufoktroyieren lassen, der letztlich am persönlichen und unternehmerischen Nutzen vorbeigeht.

Ein aktuelles Beispiel aus der Wirtschaft darf ich nennen: Ein großer Indikator in der Analyse des allgemeinen weltweiten Wirtschaftswachstums ist der Schiffsverkehr. Der Schiffsverkehr ist die Infrastruktur des weltweiten Handels und der Träger der Globalisierung der Lieferketten, der weltweiten Wertschöpfungsketten. Heute haben wir Containerschiffe mit einer Länge von beinahe 400 Metern mit 20 000 Containern pro Schiff. Bereits bei der Beladung in einem Hafen weiß der Container selbst, wo er später im Hafen entladen wird und vor allem, wo er steht. Das ist ein ganz besonderer Fortschritt des Automatismus. Das zeigt auch, wie mit einer digitalen Software konstruktiv – die Hafenanlagen haben ungefähr eine Größe wie der gesamte 1. Bezirk, die Hauptcontainerhäfen in Europa sind Hamburg, Rotterdam, Antwerpen und auch Amsterdam – für die Wirtschaft dieser digitale Automatismus im Sinne des Handels eingesetzt werden kann und eingesetzt werden muss. Das verkürzt die Lieferzeit, reduziert die Kosten und schafft Schnelligkeit und Effizienz, denn das ist für die Wirt­schaft im Sinne der Digitalisierung von Bedeutung.

Die Unterscheidung zwischen Erfindung und Massentauglichkeit ist aber ein wichtiger Kernfaktor für die Produktreife. Wann kommt ein Produkt zur Produktreife? – Ich möchte mit Marshall McLuhan, dem großen Kommunikationstheoretiker, beginnen, der bereits 1962 das Ende der Gutenberg-Galaxis prophezeite. Er hatte damit aber nur beinahe recht, denn das analoge und das digitale Buch gibt es heute parallel. Das Internet – und da muss ich auf die Erstrednerin eingehen – ist nicht sieben Jahre alt, das Internet wurde 1969 als Arpanet in den USA erfunden, infolge einer Kooperation in der Forschung von Universität und Militär. Die ersten Netze wurden für den Austausch von Daten verbunden. 30 Jahre später gelang dem Internet mit der Killerapplikation Mail der Durchbruch, es wurde massentauglich; das war so um den Millen­niums­wechsel.

Um auf diesen Timelag zwischen Erfindung und Massentauglichkeit zurückzukommen, darf ich kurz erinnern: Die Dampfmaschine wurde 1769 erfunden, patentiert, der Durchbruch gelang 50 Jahre später. Der Verbrennungsmotor, das Auto wurde Ende des 19. Jahrhunderts erfunden, Massentauglichkeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Fotoapparat: Das erste Foto gab es 1853 in den USA, 50 Jahre später die Mas­senfotografie. Der Computer ist auch schon eine Erfindung der Mitte des 20. Jahrhun­derts, 40 Jahre später erhielt er über den Personal Computer seine breite Anwendung.

Früh vermarktete Technikhypes können zu Fehlprognosen und teuren Fehlinves­titio­nen für Unternehmen führen. Wie wir wissen, ist am Beginn der Entwicklung jedes Produkt teurer, bevor es dann in die Massenproduktion geht und in Wirtschaft und Gesellschaft Anwendung findet.

Ein Beispiel – auch aus eigener Erfahrung – der Fehlprognose: 1995 wurde das berühmte – unter Anführungszeichen – „papierlose“ Büro prognostiziert. Die Techniker glaubten oder wollten uns einreden – und haben es uns auch in der Vermarktung eingeredet –, dass mit der Entwicklung des PCs nichts mehr ausgedruckt wird und der gesamte Papierbedarf zurückgeht. Beim Anwender in der Praxis war das Gegenteil der Fall: Der betrachtete den PC noch nicht als Speichermedium, sondern als Druck­maschine. Es wurde dreimal so viel Papier ausgedruckt, und im Endeffekt sind die Rohstoff- und Papierpreise innerhalb eines Jahres um beinahe 200 Prozent gestiegen, bevor sie dann in den folgenden Jahren wieder fielen.

Die Digitalität ist auch eine neue Ordnung des Wissens, sie ist heute die größte Veränderung des Informationswesens seit Erfindung des Buchdrucks und, wie bereits erwähnt, das Ende der Gutenberg-Galaxis. Sie ist eine Neuordnung des Wissens und der Kulturtechnik, auch die Ordnung wissenschaftlichen Wissens vollzieht sich heute über das gesamte Medium Internet. Es gibt den berühmte Zettelkasten vom großen Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann, der das, was heute die Hypertextualität kann, in seiner Linearität in einem Zettelkasten 40 Jahre lang gesammelt hat. Die analoge Hypertextualität – es sind 90 000 Notizen – befindet sich heute im literarischen Museum, weil sie heute mit der Digitalität überholt ist.

Digitalität, der digitale Wandel ist natürlich die große Chance für Wirtschaft und In­dustrie in der Zukunft und bereits in der Gegenwart. Warum in der Gegenwart; warum muss man das nicht nur in die Zukunft transferieren? – Die Transaktionskosten verbil­ligen sich. Zum Beispiel benötigte man früher, um einen Wechselkurs, um die Spesen­abwicklung, um die Finanzierung in einem Betrieb zu gewährleisten und sicherzu­stellen, eine Bank. Die benötigt man heute natürlich auch, aber es ist die digitale Bank. Es ist alles viel transparenter geworden, man kann Vergleiche anstellen, man kann sehen, wie der Wettbewerb gehandhabt wird. Früher hätte man dafür ein Reuters-System mit einem Abonnementpreis von circa 3 000 Euro pro Monat haben müssen, um die Banken zu kontrollieren. Heute ist das auf onvista.de, wallstreet-online.de und so weiter, und so fort, wie allgemein bekannt ist. In der Wirtschaft ist alles gratis und derart transparent, man kann sich, vereinfacht gesagt, von der Banken- und Finanzwelt nicht mehr so leicht übers Ohr hauen lassen.

Die Automatisierung von Abläufen, wie bereits bei dem Schiffsvergleich erwähnt, ist auch für die Arbeitswelt selbst eine große Erleichterung: das mobile Büro, standort­unab­hängiges Arbeiten, mehr individuelle Effizienz, weniger Massenfertigung und höherwertige, weil maßgefertigte Produkte. Das ist nicht unbedingt die künstliche Intell­igenz, es ist einfach der Automatismus als solcher, weil es schneller geht und die Ent­scheidungsprozesse reduziert werden. Es kommt zur Rückholung bereits ausgela­gerter Betriebe: mehr made in Austria und weniger made in China.

Vielen Dank für die Investitionen in diese qualitativ verbesserte Ausbildung, die Sie, sehr geehrte Frau Ministerin Schramböck, in Kombination mit Minister Norbert Hofer hervorragend vorbereiten, denn die Digitalität bedarf natürlich auch einer entsprechen­den Fachkräftequalifikation, damit dem Mangel entgegengesteuert wird und für die Zukunft auch der Wirtschaft die digitalen Arbeitskräfte vermehrt und besser ausgebildet zur Verfügung gestellt werden können. Das schnelle Internet ist natürlich die Basis, damit man damit arbeiten kann.

Für die Unternehmen selbst bedeutet es Investitionen, keine Frage. Investitionen kos­ten, wie wir alle wissen, Geld; nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Daher ist für die Wirtschaft, aber natürlich auch für die Gesellschaft, die ja mit dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern einbezogen ist, die Steuerreform 2020 ein wichtiger Punkt. Es geht um eine radikale Senkung der Lohnzusatzkosten, kürzere Abschreibungszeiten und eine radikale Vereinfachung des viel zu komplexen Steuersystems. Das Einkom­mensteuergesetz hat ein bisschen mehr als 100 Paragrafen, aber allein der Rechts­kommentar umfasst über 3 000 Seiten. Das ist eigentlich nicht einmal mehr für Steuer­berater zu handhaben. Wir brauchen die Halbierung der nicht entnommenen Gewinne der Körperschaftsteuer, die Stärkung der Wiener Börse für junge und neue Unter­nehmen, natürlich auch im digitalen Bereich, und wir müssen weg von der fossilen Politik der SPÖ, denn die Wirtschaft hat genug gelitten. (Beifall bei FPÖ und ÖVP. – Bundesrätin Grimling: Ja, ja!)

Vor wenigen Tagen wurde der Nobelpreis vergeben, natürlich wieder an einen Ame­rikaner. Das ist ja auch ein Zeichen, dass Erfindungen, Entwicklungen und Wissen immer von den USA ausgehen. Es ist also manchmal nicht so schlecht, ein bisschen über den Atlantik zu sehen, wie dort Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren. Ich möchte zum Abschluss kurz erwähnen, dass der soeben nobilitierte Paul Romer – der vor wenigen Tagen den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat – mit seinem Aufsatz über den endogenen technischen Wandel als Basis für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sicherlich auch ein gutes Beispiel für den digitalen Wandel beschreibt und dies damit auch bestätigt. Die Digitalität ist eine große Chance für Mensch und Wirtschaft, sofern die Praxistauglichkeit und der konstruktive Nutzen gegeben sind. – Danke. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

10.46

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Für eine erste Stellungnahme zu Wort gelangt Frau Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort. Ich erteile es ihr und ersuche auch sie, die Redezeit von 10 Minuten einzuhalten. – Bitte.