10.42

Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kollegen und Kolleginnen im Bundesrat! Sehr geehrte Zuseher hier auf der Galerie und zu Hause! Also ich war jetzt ein bisschen erschüttert über die Rede des Herrn Kollegen Rösch, das muss ich schon sagen, denn wir Sozial­demokraten sehen die Zwangsfusion der Gebietskrankenkassen wirklich als Milliar­dengrab: Fusionskosten in Milliardenhöhe anstatt der Patientenmilliarde an Einsparun­gen. Und die Frage wäre dann schon, wo die wirklich hinkommt, und diese würden wir schon gerne beantwortet haben.

Bei der Gesetzespräsentation hat die Regierung nämlich versprochen, aus einer Funk­tionärsmilliarde eine Patientenmilliarde zu machen, soll heißen – Frau Mühlwerth (in Richtung Bundesrätin Mühlwerth, die mit dem Rücken zur Rednerin mit Fraktions­kollegen in der zweiten Reihe redet), vielleicht interessiert Sie das nicht, aber es wäre nett, wenn auch Sie mir zuhören würden –, dass in den nächsten Jahren insgesamt 1 Milliarde Euro eingespart wird. Diese Zahl findet sich im Gesetzentwurf jedoch nicht wieder. Der Rechnungshof und Experten aus der Sozialversicherung und aus der Sozialpartnerschaft, mit denen wir ja zusammenarbeiten, können diese Zahl nicht nachvollziehen. Sollte wirklich 1 Milliarde Euro eingespart werden, dann müsste auch eine Leistungskürzung bei der neuen Österreichischen Gesundheitskasse erfolgen.

Die Zukunft ist trübe, denn es wird eine Dreiklassenmedizin geben. Die von der Regierung getätigte Aussage: gleiche Leistung vom Burgenland bis nach Vorarlberg, können wir leider nicht ernst nehmen, denn die Nivellierung – zu befürchten ist: nach unten – betrifft ausschließlich die Gebietskrankenkassen. Diese Vereinheitlichung haben die Krankenkassen aber bereits großteils durch Leistungsharmonisierung abge­schlossen, die echte und in Zukunft gesetzliche Ungleichheit zwischen Arbeitnehmern, Beamten und Selbstständigen wird aber zementiert.

Die Bundesregierung schafft künftig, wie gesagt, eine Dreiklassenmedizin: ganz oben die Beamten mit den besten Leistungen (Ruf bei der FPÖ: Da bist du aber auch drin! Aufpassen!), dann die Selbstständigen und schließlich die dritte und unterste Klasse, die große Mehrheit der sieben Millionen anderen. Die bei der Österreichischen Gesundheitskasse Versicherten sind die Einzigen, die nicht selbst über ihre Leistungen entscheiden dürfen. Auch Verschlechterungen wie etwa die Kostenabwälzung zur sogenannten Sanierung der AUVA muss die Österreichische Gesundheitskasse schlucken. Einsparungen im Bereich der gesetzlichen Versicherung treiben die Men­schen, die es sich leisten können, zu privaten Krankenversicherungen und zu Wahl­ärzten.

Zu einem weiteren Thema, zur Parität: Die Parität in der Selbstverwaltung bedeutet Machtungleichheit zugunsten der Wirtschaft. Die Dienstgeberseite bekommt enorme Macht in der Krankenkasse, obwohl sie selbst dort gar nicht versichert ist. Leistungs­kürzungen, Selbstbehalte, Privatisierungen drohen. Wenn Dienstgebermehrheiten und Wirtschaft das Sagen haben, wollen sie vor allem eigene Interessen wahren, wie zum Beispiel Kosten sparen bei den Leistungen der Arbeitnehmer, Beiträge der Dienstgeber senken und damit Lohnnebenkosten sparen, Selbstbehalte beim Arztbesuch einführen, mehr Krankenkontrollen und so weiter.

Zentralisierung heißt, dass Entscheidungen fern von den Menschen erfolgen. Die Län­derkassen verlieren ihre Entscheidungs- und Verhandlungskompetenz. Die Zwangs­fusion bedroht die Versorgung vor Ort, durch die künftigen bundesweiten Ärzteverträge sind regionale Projekte bedroht. Zu befürchten ist, dass das Versorgungsniveau, wie zum Beispiel die Ärztedichte, auf einen bundesweiten Schnitt hinunternivelliert wird – aufgrund der sehr hohen Versorgungsdichte bei Hausärzten wäre Niederösterreich ein Verlierer.

Wenn die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse aufgelöst und ein Teil der Zentralkrankenkasse in Wien wird, ist die künftige Landesstelle zur Gänze an Wei­sungen der Zentrale gebunden und verliert ihre Rechtspersönlichkeit, sie wird über keine Budget-, Personal- und Vertragshoheit mehr verfügen. Wir befürchten wirklich einschneidende Verschlechterungen für die niederösterreichischen Versicherten, die niederösterreichischen Gesundheitsanbieter und die niederösterreichische Wirtschaft.

Die Verschlechterungen für die niederösterreichischen Versicherten ergeben sich aus dem von der Bundesregierung gewünschten Personalabbau; rund ein Drittel der regionalen Außenstellen sind in den nächsten fünf Jahren von der Schließung bedroht. Durch den Verlust der Vertragsautonomie werden künftig regionale Versorgungslösun­gen wegfallen. Durch die Angleichung der gesundheitlichen Versorgung an den Bun­desdurchschnitt droht in vielen Regionen eine Schließungswelle. So müsste zum Beispiel im Waldviertel bei einer Angleichung an den Bundesdurchschnitt jede vierte Kassenpraxis für Allgemeinmedizin geschlossen werden.

Der Wegfall der Entscheidungshoheit der neun Landesstellen bedeutet für Nieder­öster­reich, dass Aufträge nicht mehr – wann immer es rechtlich möglich ist – an niederöster­reichische Betriebe vergeben werden können; darüber entscheidet künftig die Zentrale, meist nach EU-weiter Ausschreibung. Die Folge: Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Niederösterreich gehen verloren.

Aus all diesen Gründen können wir von der sozialdemokratischen Fraktion der von den Regierungsparteien vorgeschlagenen Sozialversicherungsreform leider nicht zustim­men. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.47

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.