14.40

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beschließen wir ein völlig unausgegorenes Gesetz zur Kompetenzverschiebung zwischen Bund und Län­dern. Ich sage Ihnen auch gerne, warum ich es unausgegoren finde: Ich halte es für unausgegoren, weil die bekanntermaßen großen Brocken gemäß Artikel 12 des Bundes-Verfassungsgesetzes, wie zum Beispiel das Elektrizitätswesen, das Krankenanstaltenwesen oder die Sozialhilfe, ausgespart worden sind.

Heute wird beschlossen, dass die Kompetenzen für Pflanzenschutz, Bodenreform, natürliche Heilvorkommen und Kuranstalten an die Länder übertragen werden sollen, und auch die Kompetenz für die Säuglings- und Jugendfürsorge soll den Ländern übertragen werden. Manche Kompetenzen werden an den Bund vergeben, aber die Übertragung der Säuglings- und Jugendfürsorge an die Länder ist genau der Grund dafür, dass wir Grüne heute dieses Gesetz kritisieren und es ablehnen werden.

Es gibt aktuell ein Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013. Dieses Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde über Jahrzehnte hinweg hart erkämpft. Im Jahr 2008 wurde durch den Mord am 17 Monate alten Luca eine Diskussion ausgelöst. Er starb nach einer qualvollen Misshandlung; dazumal lautete das Urteil: schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen mit Todesfolge. Danach gab es eine Novellierung des damaligen Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989. 2013 ist dann endlich – wieder aufgrund eines schwerwiegenden Falls – ein bundeseinheitliches Gesetz geschaffen worden.

2013 gab es auch wieder einen furchtbaren Anlass, damals kam durch Mängel in der behördlichen Kooperation über die Bundesländergrenzen hinweg ein Kind zu Tode. Dass so etwas aufgrund des Kirchturmdenkens der Behörden passiert, wollen wir alle hier herinnen nicht, diesbezüglich bin ich mir ganz sicher – ganz im Gegenteil: eigent­lich müsste unsere ganz vorrangige politische Aufmerksamkeit dem Schutz von Kin­dern und Jugendlichen gelten. Heute passiert aber genau das Gegenteil.

Wir gehen wieder ein paar Jahre zurück, wir installieren neun Landesgesetze. Damit ist es in Zukunft wieder möglich, dass ein Kind in Vorarlberg mehr wert ist, dass ihm andere Qualitätsansprüche zustehen als einem Kind zum Beispiel in Oberösterreich – oder umgekehrt. So etwas darf nicht sein. Für mich ist jedes Kind in Österreich gleich viel wert, egal ob es in Vorarlberg lebt, im Burgenland lebt oder sonst irgendwo. Man hat vonseiten der Bundesregierung von Anfang an die Fachexperten und -expertinnen, die tagtäglich da draußen stehen und sich um die Kinder und Familien kümmern, beinhart ignoriert; man hat sie nicht miteinbezogen. Die Verfassungsänderung wird durchgezogen, auch wenn sich noch so viele kritische Meldungen und Stellungnahmen im Postfach des Justizministers eingefunden haben.

Die Auflösung des Grundsatzgesetzes hat schwerwiegende Konsequenzen für die Kinder- und Jugendhilfe und für die Kinder und Jugendlichen da draußen, die eigentlich unsere Hilfe benötigen. Künftig kann jedes Bundesland selber definieren, was gut und richtig ist – je nachdem wie viel Geld man für die Kinder und Jugendlichen ausgeben möchte.

Es wird für die Kinder eine Frage des Zufalls sein – egal ob sie in Vorarlberg, in Oberösterreich oder eben irgendwo im Burgenland geboren werden –, wie der Lan­desgesetzgeber entscheidet und welche Landesregierung dort gerade an der Macht ist. Es ist Ländersache, ob es eine qualitativ hochwertige Unterstützung bis zum 21. Lebensjahr oder länger in kleinen Gruppen mit ausreichend Fachpersonal oder größere Gruppen und ein Ende der Maßnahmen mit 18 Jahren geben wird.

Eines muss Ihnen klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die später aufzeigen und diesem Gesetz zustimmen werden: Diese Vereinbarung widerspricht ganz klar und eindeutig den UN-Kinderrechten, die jedem Kind gleiche Chancen und Rechte zuge­stehen. Bedenken Sie das, wenn Sie dann zustimmen werden! Jenen, die heute ihr Gewissen beruhigen, indem sie sagen, dass es eh eine 15a-Vereinbarung gibt, muss klar sein, dass sich aus der 15a-Vereinbarung keine Rechtsfolgen für die Kinder und Jugendlichen ableiten lassen. Das bedeutet, die unterschiedlichen Standards können nicht eingeklagt werden, auch wenn diese unterschritten werden – es gibt keine Mög­lichkeit. Die einzige Möglichkeit bei einer 15a-Vereinbarung ist, dass ein Land ein anderes Land anzeigen kann, aber es gibt keine Rechtsfolge für die Kinder und die Jugendlichen. Eine 15a-Vereinbarung ist im Großen und Ganzen eine Willenserklärung ohne große rechtliche Relevanz.

Was mich massiv stört: Eigentlich wäre es höchste Zeit, die Standards des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes entsprechend der vom Parlament beauftragten Evaluierung und weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterzuentwickeln; dieser Weiterentwicklung wird aber mit dem heutigen Entschluss der Hahn abgedreht, sie wird verhindert.

Soviel ich weiß, hat die SPÖ auch im Nationalrat nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Evaluierung bis Ende des Jahres kommt. Heute um 10 oder 11 Uhr ist die Evaluierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes vom Ministerium plötzlich in mein Postfach gekommen. Das ist um 11 Uhr des letzten Sitzungstages des Bun­desrates in diesem Jahr zugestellt worden – an jenem Tag, an dem das Bundesgesetz durch den Bundesrat geschleust wird. Es sind 300, 400, 500 Seiten (die genannte Unterlage in die Höhe haltend), und damit ist es unmöglich, es heute noch irgendwie zu evaluieren. Fertig ist es laut Vorgabe schon im Oktober gewesen; man hätte es also eigentlich noch vor der Gesetzgebung dem Parlament zustellen können.

Ich werde Ihnen ein paar Sätze daraus vorlesen, weil ich schätze, dass es noch nicht alle von Ihnen gelesen haben: 

„Mit der Reform des B-KJHG“ – Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes – „wurde ein grundlegender Rahmen geschaffen, um Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt und anderen Gefährdungen zu schützen.“

„Der Präventionsgedanke in der Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe wurde durch die Reform“ – des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes – „deutlich gestärkt und kann als Leitgedanke der Gesetzesreform beschrieben werden.“

„Durch die Reform des Grundsatzgesetzes wurden Impulse und wegweisende Schritte zur Etablierung von Standards für die fachliche Arbeit gesetzt.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie stimmen heute zu, dass das abgeschafft wird. Sie stimmen heute über ein Bundesgesetz ab, das von Fachexpertinnen und -experten jahrzehntelang durch schwere Arbeit erarbeitet worden ist, weil Kinder da draußen gestorben sind.

Das ist an die SPÖ gerichtet: Lassen Sie sich bei diesen Sachen doch nicht auf der Nasenspitze herumtanzen! In der 15a-Vereinbarung stand noch im November, dass eine Evaluierung stattfinden wird. Jetzt im Dezember wurde das aus der Endfassung herausgestrichen; es findet sich dort nicht mehr. Die Kompetenzverschiebungen zu den Ländern ohne einen Mechanismus, der bundesweit hohe, moderne Standards garantiert, bedeutet einen Rückschritt um Jahrzehnte – das muss uns allen klar sein, werte Kolleginnen und Kollegen!

Der Hintergrund für diese Vorgehensweise – und das liegt auch ganz klar auf der Hand –, die wir hier erleben, ist ja wie so oft nichts Neues, nämlich die Auseinan­dersetzung um die Finanzierung; nur geschieht das dieses Mal auf dem Rücken der Kinder. Der Bund ist nur mehr dann zu zahlen bereit, wenn er die völlige gesetz­geberische Zuständigkeit hat. Die Länder sind nicht mehr bereit, vom Bund vorge­gebene Standards zu finanzieren. Was macht also der Bund? – Der Bund gibt seine Verantwortung für das Kindswohl an die Länder ab. Ich halte das für erschreckend.

Aufgrund der in der 15a-Vereinbarung nicht vorgesehenen Evaluierung – das ist auch der Hauptkritikpunkt – werden wir nicht einmal erfahren, welche Konsequenzen daraus resultieren werden. Wenn ich mir anschaue, dass es einen beschlossenen Ent­schließungs­antrag brauchte und wie lang wir warten mussten, bis wir endlich einmal die Evaluierung eines Bundesgesetzes bekommen haben, dann habe ich keine Hoffnung, dass zu dieser 15a-Vereinbarung jemals eine Evaluierung vorgelegt wird.

Wahrscheinlich muss es wieder traurige Schicksale von Kindern und Familien geben, bis auch diese Regierung kapiert, dass das Kirchturmdenken und Bundesdenken nicht sinnvoll sind, gerade wenn es um das Kinder- und Jugendwohl geht. Bei vielen anderen Sachen können wir gerne darüber diskutieren. Wir brauchen darüber nicht zu streiten, dass die Bundesländer mehr Kompetenzen brauchen. Für mich ist aber jedes Kind in Österreich gleich viel wert – Punkt, fertig, aus!

Ich bin diesbezüglich auch ganz ehrlich von der Jugendministerin enttäuscht, die sich da nicht für die Jugendlichen und für die Kinder, für den Schutz der Kinder einsetzt, sondern sich fast gänzlich aus der Steuerung und Weiterentwicklung des Kinderschut­zes nimmt. Man muss da wirklich auch die Kompetenzen einer Jugendministerin in­frage stellen.

Die Jugendministerin und ihr Kabinett haben es nicht einmal geschafft, eine wirkungs­orientierte Folgenabschätzung in Bezug auf die Kinder- und Jugendhilfe zum Entwurf des Kompetenzbereinigungsgesetzes vorzulegen, wie es eigentlich laut § 6 Abs. 1 der WFA-Grundsatz-Verordnung vorgeschrieben wäre.

Das heißt, das fehlt auch noch. Wir wissen nicht einmal, welche Wirkungsfolgen es hat!

Heute ist also die Evaluierung vorgelegt worden, und wir wissen nichts, wir können noch nicht feststellen, ob das gut war oder nicht. Ab heute wird es dann eh egal sein, wenn alle hier zustimmen. Ganz bewusst wurde hier eine Evaluierung verheimlicht, versteckt und jetzt plötzlich aus der Tasche gezogen.

Auch ignoriert die Bundesregierung die gesamte Fachwelt. Keine einzige positive Stellungnahme kam zum Gesetzentwurf, dafür haufenweise kritische Stellungnahmen. Mit dem heutigen Gesetz verletzen Sie ganz bewusst die UN-Kinderrechtskonvention. Wir werden uns in Zukunft ausgesprochen schwertun, dass wir dann überhaupt noch Anpassungen der Kinder- und Jugendhilfe hinbekommen, wie zum Beispiel bei den sogenannten Care Leavern.

Wir vergrößern heute die Unterschiede zwischen den Bundesländern; damit ist in Zukunft ein Kind in Vorarlberg vielleicht mehr wert als ein Kind in Oberösterreich, oder umgekehrt. Schließlich geben Sie als Bundesregierung jegliche österreichweite Steue­rung und Koordinierung der Kinder- und Jugendhilfe aus der Hand, das ist de facto so. – Also wenn das, wenn ich nicht einmal mehr die Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe in der Hand habe, kein Totalversagen gerade vonseiten der Jugend­ministerin ist, dann weiß ich leider auch nicht.

Deshalb bringe ich in diesem Zusammenhang namens der Grünen folgenden Ent­schließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen David Stögmüller und Kollegin betreffend „qualitative Weiter­entwicklung und österreichweite hohe Standards in der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention sicherstellen“

Der Bundesrat möge beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Zuge der Verhandlungen zu einer 15a-Vereinbarung über die Kinder- und Jugendhilfe“ – (Zwischenruf) – bitte?; na, ich muss das vorlesen! – „dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder- und Jugendrechte voll um­fäng­lich garantiert sind. Dazu gehört es insbesondere darauf zu achten, dass alle Kinder ein Recht auf Schutz und Fürsorge und die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung haben. Kinder, die dauerhaft oder vorübergehend nicht bei ihren Familien leben können, haben einen besonderen Anspruch auf Schutz und Beistand durch den Staat.

Dies kann nur gewährleistet werden, wenn im Zuge der Streichung der Kinder- und Jugendhilfe aus Art. 12 B-VG“ – also Bundes-Verfassungsgesetz – „ein Mechanismus etabliert wird, der bundeseinheitliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe de­finiert, ihre Berücksichtigung in den Landesgesetzen monitort und im Sinne der Wah­rung des Kinderwohles und der Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention regelmäßig evaluiert.

Darüber hinaus ist eine Steuerung der regelmäßigen Weiterentwicklung der Standards der Kinder- und Jugendhilfe nach Vorlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und der entsprechenden Evaluierungsergebnisse sicher zu stellen.

Der Bundesrat fordert die Regierung auf, die Verantwortung für diese Quali­täts­ent­wicklung und Qualitätssicherung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in Zusam­menarbeit mit der Verbindungsstelle der Länder zu übernehmen.“

*****

Werte Kolleginnen und Kollegen! Überlegen Sie es sich heute gut, ob Sie auf der Seite der Landesfürsten sind oder auf der Seite der Kinder und Jugendlichen. Ich bin auf jeden Fall auf der Seite der Kinder, und deswegen werden wir diesem Gesetz heute nicht zustimmen. – Danke. (Beifall der Bundesrätin Dziedzic.)

14.52

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Der von den Bundesräten David Stögmüller und Kollegin gestellte Entschließungsantrag betreffend „qualitative Weiter­ent­wicklung und österreichweite hohe Standards in der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention sicherstellen“ trägt nur zwei Unterschriften und ist somit nicht genügend unterstützt.

Ich stelle daher die Unterstützungsfrage und bitte jene Bundesrätinnen und Bun­desräte, die diesen Antrag zusätzlich zu den beiden unterstützen wollen, um ein Hand­zeichen. – Die Unterstützung ist nicht ausreichend.

Wir gehen weiter in der Tagesordnung.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Dr. Josef Moser. – Bitte.