17.43
Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Debatte jetzt wieder zurück zum PädagogInnenpaket, vom dunklen Tag im Fußball sozusagen zu einem traurigen Tag für die Bildungspolitik – vielleicht schaffen wir so den Übergang. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Ui! – Bundesrat Samt: Wunderbar, gut gelungen! – Heiterkeit bei BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ.) – Danke, dass Sie das auch so sehen, freut mich. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Samt.)
Im Duden wird das Wort Pädagogik als „Wissenschaft von der Erziehung und Bildung“ definiert. Ganz ehrlich, wenn ich mir das anschaue, frage ich mich, wo die Pädagogik im PädagogInnenpaket 2018 überhaupt steckt. Was hat dieses Paket mit Wissenschaft zu tun, wenn sich keinerlei wissenschaftlicher Ansatz darin wiederfindet? Es geht ja nicht um eine evidenzbasierte Bildungspolitik, sondern um reine bildungsideologische Entscheidungen. Das ist traurig, und das haben Sie ja selber schon einmal im „Standard“ gesagt, Herr Minister.
Genau vor einem Jahr haben alle österreichischen VolksschuldirektorInnen bei einer verpflichtenden Umfrage des Bifie online insgesamt 76 Fragen beantwortet. Die Ergebnisse sind bis heute geheim. Der Minister gibt sie nicht nach außen. Wir kennen die Antworten nicht, wahrscheinlich stehen sie im Widerspruch zu dem heutigen Gesetz. Man kann es nur vermuten.
Wir haben heute erst beim Kinder- und Jugendhilfegesetz das Gleiche erlebt. Eigentlich sagt die Studie etwas anderes, die Regierung beschließt genau das Gegenteil, nämlich Rückwärtspolitik.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Minister, es ist schon eigenartig, denn im Dezember 2017 wurde diese Umfrage zur Resonanz auf die Grundschulreform 2016 aus der Sicht der betroffenen Volksschulen erstellt. Eigentlich geht es bei dieser Umfrage um genau diese Punkte, die wir heute beschließen, insbesondere darum, dass die beabsichtigte Einschränkung der schulautonomen Möglichkeit alternativer Beurteilung von bisher erster bis dritter Volksschulklasse künftig nur noch bis zum ersten Semester der Schulstufe möglich sein soll.
Ich habe vor ein paar Wochen dazu auch eine parlamentarische Anfrage eingebracht. Ich bin auf die Antworten, was in dieser Evaluierung passieren soll, wirklich gespannt. Antworten auf parlamentarische Anfragen – das muss man auch ehrlich sagen, das muss man auch lobend an das Bildungsministerium weitergeben – werden immer sehr gut von Ihrem Ministerium gegeben, und ich hoffe, Sie enttäuschen mich auch da nicht. Sie haben im Unterrichtsausschuss des Nationalrates versprochen, endlich die Umfrageergebnisse zu veröffentlichen, sie in die Öffentlichkeit zu bringen. Meine Frage an Sie: Wann ist es denn endlich so weit? Wann präsentieren Sie uns die? – Wahrscheinlich, wenn es heute durchgerutscht ist, werden wir sie morgen auf der Homepage finden, genauso wie es auch das Jugendministerium macht.
Sie haben anscheinend die Daten, die genau diese Gesetze betreffen, geben sie aber nicht an die Öffentlichkeit. Da kann man spekulieren, ob Kalkül hinter der Geheimhaltung steckt und die Daten ganz bewusst nicht freigegeben werden. – Ich bin gespannt.
Auch das Sitzenbleiben der Kinder ist für mich heute ein Grund, dieses Gesetz abzulehnen. Damit verursachen wir wieder einen langfristigen Schaden für den Bildungsweg dieser jungen Menschen. Wer ein Schuljahr wiederholt, lernt aufgrund dessen langsamer, bringt schlechtere Leistungen und fühlt sich in der Schule unwohl. Das wissen wir. Es kommt Druck auf das Kind und auf die ganze Familie zu, damit das Kind ja weiterkommt – Förderunterricht, Stress für die Eltern, damit der Lernerfolg irgendwann kommt.
Für mich ist die Intention ganz klar, nämlich den Kindern von Anfang an den ökonomischen Druck, den Leistungsgedanken – wodurch so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann irgendwann im Burn-out landen werden – einzutrichtern. Es geht nur um eines: Leistung, ansonsten bleibst du auf der Strecke!
Ganz ehrlich, ich finde das fatal, auch für die Gesellschaft, und es zeigt, wer sich in den Bildungsfragen durchsetzt, nämlich die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung, und das ist wirklich, wirklich traurig.
Sie betreiben mit diesem Paket keine Bildungspolitik, sondern eher eine Separierungspolitik im Bildungsbereich, Herr Minister. Das wissen Sie, es ist Ihnen anscheinend bewusst. Das ist wirklich sehr, sehr schade, eine leider bewusst betriebene soziale Selektion. Man beginnt schon früh mit dem Aussortieren der Kinder. Diese dürfen aber nicht für die sozialen und kulturellen Defizite ihrer Herkunftsmilieus bestraft werden, das darf nicht passieren. Chancengleichheit sieht anders aus, Herr Minister.
Wir Grüne vertreten nach wie vor die Meinung, dass Bildung die wichtigste Ressource für die Entwicklung unserer Gesellschaft ist, und ich denke, das können Sie sicherlich bestätigen, aber wenn es so weitergeht, entwickelt sich eine gespaltene, leistungsorientierte und sozial ausgrenzende Gesellschaft – eine Gesellschaft, die gar nicht daran interessiert ist, unsere Jüngsten bestmöglich zu unterstützen und auf ihren weiteren Lebens- und auch Ausbildungsweg vorzubereiten.
Stattdessen kann man ab der zweiten Schulstufe durchfallen und immer mehr stehen der Druck und die Angst wieder im Mittelpunkt des Schulalltages. Wir werden diesem Retrobildungspaket oder PädagogInnenpaket, wie Sie es sagen, nicht zustimmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, ja, ist ja gut!) Ich erwarte mir von Ihnen als Wissenschafter, dass Sie für diese Bundesregierung nicht nur politische Entscheidungen treffen und durchsetzen wollen, sondern auch evidenzbasierte. Das braucht das Bildungssystem.
Gehen wir endlich die großen Brocken im Bildungsbereich an! Setzen wir endlich eine wirkliche Schulautonomie um, und nicht wieder: Nur ein bisschen da, und dafür nehme ich da wieder einiges weg von der Autonomie, dafür gebe ich da ein bisschen Autonomie dazu, und da nehme ich wieder die großen Brocken weg. Das wäre notwendig, und deswegen werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen. – Vielen Dank. (Beifall der Bundesrätin Dziedzic.)
17.49
Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile es ihr.