9.36
Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Dr. Josef Moser: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Bundesrätinnen und Bundesräte! Meine sehr geehrte Frau Präsidentin des Burgenländischen Landtages, Mitglieder des Burgenländischen Landtages und der Landesregierung, es ist mir eine besondere Freude, dass Sie heute da sind, da mich auch mit dem Burgenland sehr viel verbindet! Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch den neuen Bundesräten alles Gute für ihre weitere Tätigkeit wünschen. (Allgemeiner Beifall.)
Ich möchte mich auch für die Möglichkeit bedanken, dass ich heute über die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens in Europa sprechen kann. Gerade vor den europäischen Wahlen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es speziell im Justizbereich notwendig ist, ein leistungsfähiges und gleichzeitig wettbewerbsfähiges Europa zu haben. Das Vertrauen, dass Europa funktioniert, ist dafür eine wesentliche Grundlage.
Gerade die Entwicklungen, die in den letzten Jahren auch innerhalb Europas stattgefunden haben, haben gezeigt, dass das Thema Rechtsstaatlichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Rechtsstaatlichkeit ist – ich glaube, das ist uns allen bewusst – ein Grundpfeiler für eine funktionierende Demokratie und einer der zentralen Werte, auf die sich die europäische Union gründet. Wer Europa sagt, hat damit auch Rechtsstaat zu meinen. Diese Grundsätze sind auch in Artikel 2 der Europäischen Verträge, aber auch in Absatz 2 der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union klar zum Ausdruck gebracht. Dennoch kann es aber ohne die Einhaltung der gemeinsamen Werte kein gemeinsames Vertrauen, nämlich ein Vertrauen in andere Rechtsordnungen, geben.
Dieses Vertrauen ist wiederum auch eine Grundvoraussetzung für die Anerkennung von Gerichtsentscheidungen. Die wechselseitige Anerkennung ist ein effizientes Mittel, um die Privatrechte der Bürger über die Grenzen hinweg zu schützen und durchzusetzen und um die staatliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu stärken und gleichzeitig – wie Sie es angesprochen haben – auch zu beschleunigen. Gegenseitiges Vertrauen ist daher die Basis für die Europäische Union als eine Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Leider gab es gerade in den letzten Jahren Entwicklungen, durch die das gegenseitige Vertrauen im europäischen Raum sehr stark gelitten hat, vorliegende, zu beachtende Mindeststandards wurden dabei nicht beachtet. Vor wenigen Jahren haben wir noch große Sorge im Zusammenhang mit der Türkei gehabt, nachdem dort im Juli 2016 ein Putsch fehlgeschlagen war und in der Folge grundlegende rechtsstaatliche Garantien außer Kraft gesetzt worden sind. Parallel dazu gab es Entwicklungen in Polen, in Ungarn und zuletzt auch in Rumänien, die von uns verlangen, dass wir uns intensiv mit dem Gedanken beschäftigen, wie eben dem drohenden Abbau der Rechtsstaatlichkeit in vielen Staaten Europas effizient begegnet werden kann.
Auch die jüngsten Diskussionen in Österreich über die Frage des Primats der Politik vor dem Recht haben die Rechtsstaatlichkeitsdiskussionen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Diese Diskussion gibt uns aber die Chance, wiederzuentdecken, was lange für selbstverständlich und gleichzeitig unumstößlich angesehen worden ist, nämlich wie wichtig der Rechtsstaat in seinem Funktionieren für uns alle ist. Wir alle wollen – da bin ich mir sicher, auch die Redebeiträge haben es gezeigt – einen konstruktiven Dialog führen. Dabei hat auch die Europäische Union eine ganz wichtige Funktion. Ich möchte dabei nur kurz auf die bereits zitierten Artikel-7-Sanktionsverfahren eingehen, die zwar starke politische Signalwirkung haben, aber aufgrund der Mehrheitserfordernisse im Rat zu keinen herzeigbaren Ergebnissen führen werden.
Wohl in diesem Bewusstsein haben sowohl die Europäische Kommission als auch der Rat ergänzende Mechanismen ins Leben gerufen, die den Dialog mit den in diesem Fall problematisch erscheinenden Reformstaaten erleichtern und intensivieren sollen. Ich nenne da beispielsweise nur die Stichworte Frühwarnmechanismus beziehungsweise Rechtsstaatlichkeitsdialog. Darüber hinaus bestehen aber auch Bemühungen, die Gewährung von Finanzmitteln der EU künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu koppeln. Es soll also der Finanzhaushalt der EU indirekt zu einer demokratischeren Union beitragen.
Mit dem Blick auf all das stellt sich die Frage, welchen Beitrag, das ist heute auch schon angeklungen, die Justiz auf europäischer Ebene zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit leisten kann. Die Justiz ist, ich glaube, das ist uns allen bewusst, die dritte Staatsgewalt und damit ein zentraler Faktor, wenn es darum geht, Menschenrechte zu sichern. Außerdem steht außer Streit, dass sie nur dann ihre Aufgaben erfüllen kann, wenn sie den an sie gestellten Erwartungen auch gerecht werden kann, indem ihr Handeln auf Vertrauen stößt. Innerhalb der Europäischen Union ist das gegenseitige Vertrauen auch die Grundlage für die Instrumente der gegenseitigen Anerkennung und – wie ich bereits erwähnt habe – für eine Europäische Union als eine Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Gerade im Bereich der Zusammenarbeit in Strafsachen hat die Europäische Union verschiedene Instrumente auf der Grundlage des Prinzips der wechselseitigen Anerkennung verabschiedet, wobei dieses Prinzip dem Bereich des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs entlehnt worden ist. Sie alle kennen bereits die Instrumente, denn sie spielen in unserem täglichen Leben eine wichtige Rolle. Ich möchte da nur einige erwähnen, nämlich den Europäischen Haftbefehl, die Europäische Ermittlungsanordnung oder die Europäische Schutzanordnung: Diese Instrumente haben zu einer grundlegenden Veränderung der justiziellen Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten geführt. Die Zusammenarbeit der Justizbehörden wurde dadurch deutlich erleichtert und beschleunigt, was auch zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer und der Dauer der Untersuchungshaft führte. Das Justizsystem wird im Zusammenhang mit E-Evidence, dem Zugang zu elektronischen Beweismitteln oder auch der Beschleunigung von Verfahren bei Kindesentführungen, nämlich der Brüssel-IIa-Verordnung, in seinen Funktionen erweitert.
Dieses erfolgreiche System scheint nun aber massiv gefährdet zu sein. Gerade die aktuelle Rechtsprechung des EuGH hat gezeigt, dass einzelne Justizsysteme nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, aus denen ein gegenseitiges Vertrauen und eine gegenseitige Anerkennung abgeleitet werden können. So hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren auf Ersuchen aus Irland die Unabhängigkeit eines gesamten mitgliedstaatlichen Justizsystems generell infrage gestellt und in seinem Urteil im Wesentlichen Folgendes ausgeführt – ich zitiere –: Im Fall von systematischen oder allgemeinen Mängeln im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Justiz besteht eine begründete Gefahr der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren, sodass eine Überstellung auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls nicht mehr möglich ist. – Zitatende.
Meine sehr geehrten Bundesrätinnen und Bundesräte, Sie sehen, dass es daher sicherlich im Interesse von uns allen war, daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen und das Thema Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und der Anerkennung zu einem ganz besonderen Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft im Justizbereich zu machen. Wir haben daher – beginnend bereits im Juli 2018 mit dem informellen Justizministertreffen in Innsbruck – das Thema Rechtsstaatlichkeit bei allen Justizministertreffen und in weiteren Gremien sowie bei zahlreichen Veranstaltungen und bei der Vielzahl bilateraler Gespräche mit meinen Amtskollegen zum wesentlichen Inhalt gemacht. Ebenso ist bei der EU-Westbalkankonferenz im Oktober in Albanien die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Effizienz der Justizsysteme thematisch im Mittelpunkt gestanden. Dort haben wir auch mögliche Wege diskutiert, um Justizreformschritte messen zu können.
Besonders hinweisen möchte ich auch auf eine Rule-of-Law-Konferenz, die in Wien stattgefunden hat, an der sämtliche Länder der Östlichen Partnerschaft, des Westbalkans, Mitglieder der Europäischen Kommission und auch der Präsident des EuGH teilgenommen haben. Dort ist man der Frage nachgegangen, wie man die Rechtsstaatlichkeit und das Zusammenwirken Europas stärken kann, denn ohne dieses Zusammenwirken wird es nicht möglich sein, unsere nationalen Herausforderungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und im Sinne des Wirtschaftsstandorts auch tatsächlich erledigen zu können.
Als Ergebnis all dieser Bemühungen ist es beim letzten Justizministerrat im Dezember 2018 schlussendlich gelungen, gemeinsame Schlussfolgerungen mit dem Ziel der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit anzunehmen. Unsere Initiative ist dabei aber nicht allein auf die Mitgliedstaaten beschränkt, ich habe es bereits erwähnt, sondern wir sind auch im Bereich der Vereinten Nationen aktiv. Auch dabei wollen wir im Zusammenhang mit der Umsetzung der Sustainable Development Goals, des Ziels Nummer 16, Maßnahmen setzen, um die Rechtsstaatlichkeit weiter voranzutreiben.
Betrachten wir in dem Fall die EU-Wahlen, betrachten wir unsere Aufgabe! Gerade in Zeiten wie diesen muss uns angesichts der aktuellen Entwicklungen gewiss sein: Wenn wir Europa als Friedensunion tatsächlich stärken wollen, müssen wir unser besonderes Augenmerk gerade auf den Bereich der Rechtsstaatlichkeit legen und gleichzeitig alles unternehmen, dass sich die Bürger in Europa frei bewegen können, Unternehmensgründungen auch über die Grenzen hinweg ohne Bürokratie und ohne Schranken durchgeführt werden können. – Dafür ist die Justiz sicherlich ein guter Ansatz.
Ich habe an Ihren Redebeiträgen gemerkt, dass Sie auch in diese Richtung gehen und gleichzeitig diesen Bereich unterstützen. Da auch der Bereich in Österreich angesprochen wurde, möchte ich auch erwähnen, was in diesem Zusammenhang für mich logisch ist und ich Ihnen auch versichern kann: Die Justiz als dritte Säule der Republik wird sich – das ist auch ein großes Anliegen von Bundeskanzler Kurz – niemals außerhalb der Menschenrechtskonvention, außerhalb der Rechtsstaatlichkeit bewegen, sondern sie wird Maßnahmen setzen, die notwendig sind, um die Sicherheit der Bevölkerung im höchstmöglichen Ausmaß zu gewährleisten. Gleichzeitig wird sie aber nicht in Menschenrechte eingreifen. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)
Lassen Sie mich vielleicht mit einem kurzen Zitat enden: Es braucht Jahre, um Vertrauen aufzubauen, Sekunden, um es zu brechen, und ewig, um es wiederherzustellen.
Wenn wir in diesem Sinne handeln und unser Tun danach ausrichten, glaube ich an eine positive Zukunft in einem gemeinsamen Europa. – Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)
9.46
Präsident Ingo Appé: Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann. Ich erteile ihm dieses.