10.02

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste auf der Galerie! „Alle Juristen dieser Re­publik sind in Alarmbereitschaft“ – ich weiß nicht, ob Sie diesen Artikel gelesen haben; so hat vor circa drei Monaten die „Süddeutsche Zeitung“ getitelt. Da ging es in einem Interview darum, wie sich seit Schwarz-Blau, Türkis-Blau die Republik verändert hat. Unter anderem ging es darum, dass die ÖVP auf der einen Seite ihre konservative und sehr einseitig wirtschaftsfreundliche Politik umsetzt – Sie wissen es: Lockerung von Umweltauflagen, Kürzung von Sozialleistungen, Stärkung eben nur der Unternehmer; der gestohlene Feiertag wird ja heute noch Thema sein –, während sich die FPÖ auf reine Symbolpolitik beschränkt; auch da kennen Sie die Kritik: von Tempolimit über Rauchen in der Gastronomie bis zu Verschärfungen, wo es nur möglich ist. (Ruf bei der FPÖ: Themenverfehlung!)

Es ging aber auch darum, wie sich eben das Justizwesen in Österreich nicht nur ver­ändert, sondern vor welchen Herausforderungen es steht. Es reicht die Zeit hier nicht, um auf die Vorfälle betreffend Verfassungsschutz und die BVT-Affäre einzugehen, ge­nauso wenig wie auf das permanente Agitieren gegen den Verfassungsgerichtshof in Österreich. Es ging auch um das Vertrauen. Dieses ist ja heute auch Thema, nicht nur auf Europaebene, sondern eben auch, wie ich meine, zwischen ÖVP und FPÖ – gera­de, was das Justizwesen anbelangt. (Bundesrat Steiner: Mach dir keine Sorgen!)

Bleiben wir ganz kurz auf Europaebene: Sie werden ja selbst wissen, dass es – da Sie sich mit Marine Le Pen und Matteo Salvini ganz stark machen – doch Unstimmigkeiten mit der ÖVP-Delegation gibt, die da natürlich klarer gegen die FPÖ auftritt als in Öster­reich. Es gibt dort auch Unstimmigkeiten dahin gehend, wie sich die ÖVP zum Bei­spiel – Stichwort Rechtsstaatlichkeit – einem Herrn Orbán gegenüber positionieren wird; das wird uns im aktuellen EP-Wahlkampf sicher noch stärker beschäftigen.

Was die Justizagenden in Österreich selbst anbelangt, ist zu erwähnen, dass Sie ja durchaus Überlegungen angestellt haben, was da verbessert gehört. Das weiß ich in­sofern zu schätzen, als die von Ihnen aufgegriffenen Themen durchaus von Relevanz sind.

Die Digitalisierungsoffensive wurde angesprochen, dazu nur ganz kurz: Natürlich ist das enorm wichtig, muss aber auch entsprechend budgetiert werden; und da sind wir beim ersten Problem. Wir wissen ja, dass die massiven Einsparungen beim Justizbud­get infolge der letzten Verhandlungen genau den Bereich Digitalisierung getroffen ha­ben, genauso wie die Gerichtspraktika oder auch die Fortbildung. Wir wissen auch über den eklatanten Personalmangel bei den Gerichten Bescheid, wir wissen, dass beim Bundesverwaltungsgericht 40 000 Fälle unbearbeitet sind. – Da bräuchte es wirk­lich nicht nur eine Initiative von Ihnen, sondern auch ganz viel Budget.

Der zweite Bereich, den Sie angehen wollten, von dem ja schon ein Teil – unter Anfüh­rungszeichen – „erledigt“ ist, ist die Verschärfung des Strafrechts. Diesbezüglich möch­te ich schon festhalten, dass Sie sich zwar schon bemühen und da eine Schlüsselrolle einnehmen, aber es erscheint sehr oft so, als wären Sie mit dem Schlüssel im falschen Haus. Es ist ja nicht nur so, dass der Innenminister Sie als Justizminister bei diesen Verschärfungen ein wenig ausgebootet hat, sondern Karoline Edtstadler hat ja nicht einmal auf die Experten und Expertinnen der Taskforce gehört, ganz zu schweigen davon, dass die erst kürzlich erfolgte große Strafrechtsänderung nicht einmal evaluiert worden ist.

Zu einem von Ihnen erwähnten Punkt, Frau Mühlwerth: Wir wissen, dass eine Straf­rechtserweiterung nicht unbedingt zum gewünschten Ziel führt – im Gegenteil: Die Ex­pertInnen warnen davor, dass die betroffenen Frauen in diesem Fall, wenn es um Se­xualdelikte geht, eher davon absehen werden, jemanden anzuzeigen. Meine Redezeit reicht nicht aus, um betreffend dieses Thema auf all das einzugehen, das wichtig wäre. Auch die Sicherungshaft wird uns hier im Bundesrat noch beschäftigen, genauso wie die Kompetenzentflechtung hier noch Thema sein wird.

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, der mir heute ganz, ganz wichtig ist. Die EU-Ratspräsidentschaft ist angesprochen worden, und auf der anderen Seite stehen wir eben kurz vor dem EP-Wahlkampf: Sie, Herr Bundesminister, haben in einer Pres­semeldung gemeint, dass für Sie die Initiative Haft in der Heimat oberste Priorität habe, das heißt, dass ausländische Häftlinge ihre Strafen in den jeweiligen Heimatländern absitzen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass dieses Konzept bereits seit einem EU-Rahmenbeschluss 2008 gültig ist und seitdem einfach nur nicht umgesetzt wurde. Wenn es hier heute um Vertrauen geht, dann muss man sich anschauen, was es denn schon an bestehenden Gesetzen gibt, die einfach nicht umgesetzt worden sind, und was uns hier von Türkis-Blau als Innovation verkauft wird.

Es gäbe, wie gesagt, noch sehr viel anderes zu sagen – ich weiß, die FPÖ freut sich enorm, dass das Lämpchen am Rednerpult leuchtet und ich nicht auf weitere Kritik­punkte eingehen kann. (Bundesrat Krusche: Freuen tun wir uns nicht, erleichtert sind wir!)

Mit einer Bemerkung möchte ich abschließen: Ich finde es ganz, ganz wichtig, dass Sie heute mehrmals betont haben, dass die Demokratie nicht nur davon lebt, dass die Rechtsstaatlichkeit ganz stark ist, dass Ungarn und Polen keine Vorbilder für uns sein dürfen. (Bundesrat Krusche: Redezeit!) Ich appelliere aber gleichzeitig auch an Sie, wohl wissend, dass es seitens des Koalitionspartners massive Angriffe in genau Ihre Richtung beziehungsweise betreffend das Justizwesen gibt: Bleiben Sie unbeugsam, bleiben Sie neutral und unabhängig und stellen Sie sicher, dass sich die Rechtsstaat­lichkeit in Österreich nicht an Orbán und Kaczyński orientiert, damit Österreich nicht in dunkle Zeiten zurückfällt!

Die Angriffe habe ich schon angesprochen: Ihr Koalitionspartner wünscht sich ja be­kanntlich viel stärkere Eingriffe im Justizbereich, und das wird uns natürlich nicht nur im EP-Wahlkampf beschäftigen, sondern auch darüber hinaus. (Zwischenruf des Bundes­rates Steiner.)

Präsident Ingo Appé: Bitte zum Schluss kommen.

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (fortsetzend): Ich denke, Österreich darf nicht ris­kieren, dass die Europäische Union – das wird später auch noch Thema sein – wie im Fall von Ungarn auch Österreich im negativen Sinne zitiert, Österreich darf keine Ver­urteilungen riskieren.

In diesem Sinne: Bleiben Sie unbeugsam, bleiben Sie besonnen! Ich hoffe, dass wir diese Angriffe gegen die Rechtsstaatlichkeit mit Ihnen gemeinsam abwehren können. – Vielen Dank. (Beifall des Bundesrates Stögmüller.)

10.10

Präsident Ingo Appé: Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals der Herr Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Jus­tiz zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses und darf ihn bitten, die Redezeit von 5 Mi­nuten nach Möglichkeit einzuhalten.