16.54

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Gernot Blümel, MBA: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss sa­gen, ein bisschen bin ich über den Ton zum aktuellen Tagesordnungspunkt überrascht. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Man könnte fast glauben, man ist im Britischen Unterhaus, wenn es um das Thema Brexit geht. Das ist extrem konfrontativ, oft polemisch und definitiv nicht mehr an der Sache entlang (Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ sowie Beifall bei BundesrätInnen der ÖVP), was mich, wie gesagt, ein bisschen wundert, weil es ja innerhalb der Europäischen Union, der EU-27, kein einziges Thema gibt, bei dem es dermaßen Geschlossenheit über alle Fraktionen und alle Länder hinweg gibt. Die ein­zige Unklarheit, Ungeschlossenheit oder Polemik gibt es, wie ich merke, nur hier im Bundesrat. Das verwundert mich ein wenig, aber vielleicht komme ich während der De­batte noch drauf, woran es genau liegt. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Ich darf vielleicht vorab ein paar Fragen beantworten oder ein paar Behauptungen kor­rigieren, die getätigt worden sind. Die erste Rednerin hat gemeint, die österreichische Ratspräsidentschaft hätte mehr Verhandlungsrunden ansetzen sollen. Vielleicht zur Aufklärung, wie der Verhandlungsprozess gelaufen ist: Zunächst einmal hat Großbri­tannien den Austrittsantrag eingereicht, der erst seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 mit dem sogenannten Artikel 50 möglich geworden ist. Reicht man die­sen Austrittsantrag ein, beginnt eine Frist zu laufen, die in diesem Fall eben Ende März beendet ist.

Was hat die Europäische Union getan? – Zunächst einmal haben sich Parlament und Rat zusammengesetzt und Verhandlungslinien definiert. Der Rat hat gemeinsam ein­stimmig rote Linien für die Verhandlungen definiert. Die Kommission ist beauftragt wor­den, die Verhandlungen zu führen, und die Kommission hat eine Person nominiert, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt, das ist Michel Barnier.

Das heißt, Michel Barnier hat im Auftrag von Kommission und Rat auf Basis der Leit­linien des Rates diese Verhandlungen mit dem britischen Kabinett geführt. Die Aufgabe der jeweiligen Präsidentschaft war es vor allem, Michel Barnier darin zu unterstützen, die Einheit der EU-27, die immer die Grundlage für eine starke Verhandlungsposition war, aufrechtzuerhalten. Das haben wir sehr intensiv getan.

Sind Sie aber der Meinung, dass es zu wenige Verhandlungsrunden gegeben hätte, dann kann ich das Michel Barnier gerne ausrichten. Es lag nicht in der Hand der öster­reichischen Ratspräsidentschaft, den Verhandlungskalender anzusetzen. Unsere Auf­gabe war, die Einheit der EU-27 aufrechtzuerhalten und Michel Barnier gut zu unter­stützen. Ich denke, das haben wir auch professionell und erfolgreich getan. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Sie haben auch von den vielen Rechtsexperten gesprochen, die dieses Brexit-Be­gleitgesetz kritisieren würden. Ich kenne diese Art von Rhetorik von Opposition-versus-Regierung-Spielen, und es gibt auch immer wieder Rechtsexperten, die das eine oder andere kritisieren. In diesem Fall kenne ich keinen einzigen, der das Gesetz kritisiert. Ich würde Sie bitten, mir den zu nennen, denn ich habe noch niemanden gesehen, gehört oder so. Ich wäre sehr dankbar dafür, weil wir ja auch für Kritik offen sind. Wenn es konkrete Anmerkungen gibt, dann können wir das ja auch tun. In diesem Fall hat es aber, wie gesagt, eigentlich keine Kritik gegeben, weil es ja auch gar keinen Präze­denzfall dafür gibt, wie so etwas ablaufen soll. (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Noch zu einer weiteren Behauptung beziehungsweise Frage, die in den Raum gestellt worden ist: Es wäre nicht klar, wie es mit den Rechten der Britinnen und Briten in Ös­terreich weitergeht, falls ein ungeregelter Brexit passiert. – Das stimmt auch nicht. Alle, die vor dem Austritt bereits in Österreich waren, können weiterhin ihren Lebensmittel­punkt hier haben, hier arbeiten, leben et cetera. Das ist also definiert, deswegen weiß ich nicht, wo da die Unklarheit besteht.

Zum Wahlrecht der Britinnen und Briten, das ebenso total klar ist: Scheidet Großbri­tannien aus der EU aus und nehmen die Briten und Britinnen nicht mehr an den Euro­pawahlen teil, sie sind also auch nicht mehr wahlberechtigt. Sind sie dann noch dabei und nehmen sie an den Europawahlen teil, so sind sie wahlberechtigt. Ich verstehe auch da die Kritik nicht, die gänzlich an jeder Art von Sachlichkeit vorbeigeht.

Ebenso das Beispiel der Studienabschlüsse: Alle, die bis jetzt schon zertifiziert wurden, sind natürlich weiterhin in Österreich und im gesamten europäischen Raum gültig. Das ist ja vollkommen klar. Warum sollte denn ein einmal zertifizierter Studienabschluss ei­ner Universität in Großbritannien, die es auch weiterhin gibt, auf einmal seine Gültigkeit verlieren, nur weil die Briten die Union verlassen? Wenn die Briten eine neue Universi­tät gründen und neue Abschlüsse zulassen, dann müssten diese selbstverständlich neu nostrifiziert werden, aber für die bisherigen ist das alles klar.

Das waren nur einige der Aspekte, bei denen ich bis dato nicht gewusst habe, dass es da Unklarheiten gibt – deswegen diese Aufklärung zur Einleitung.

Wie sind die Vorbereitungen auf den Brexit und auf das Brexit-Begleitgesetz gelau­fen? – Im Sommer hat die Kommission einen Erlass herausgegeben, in dem sie selbst definiert, wie sie im Fall eines harten Brexits die Vorbereitungsarbeiten begeht, um die Abfederung so gut wie möglich in Angriff zu nehmen. Es sind momentan 19 Rechtsakte auf Ebene der Kommission in Ausarbeitung.

Die Kommission hat zudem alle Länder im Sommer dazu aufgefordert, selbst zu su­chen und zu schauen, ob und wo es auf nationalstaatlicher Ebene Gesetzesmaterien gibt, die davon betroffen wären, und diese eigenverantwortlich in Angriff zu nehmen.

Wir haben das unmittelbar getan. Wir haben gleich im September im Bundeskanzler­amt eine Lenkungsgruppe eingesetzt und zusammen mit allen Ministerien – es hat ja heute jemand gesagt, die Ministerien seien nicht eingebunden gewesen, also wie man auf diese Idee kommen kann, weiß ich auch nicht –, mit den Sozialpartnern und mit der Verbindungsstelle der Bundesländer einen monatelangen Prozess aufgesetzt, in dessen Verlauf wir mehrmals gefragt haben, recherchiert haben: Gibt es irgendwo Be­darf an Regulierung, an einer Änderung? Wir haben in anderen Ländern in Europa nachgefragt: Wie macht ihr das?, haben uns deren Brexitbegleitgesetze angesehen, haben geschaut: Wo können wir etwas lernen, was müssen wir übernehmen, wo gibt es andere Regelungsnotwendigkeiten aufgrund anderer Verfassungsbestimmungen?, und haben entsprechend dieses Brexit-Begleitgesetz erarbeitet, das auch mit der Kom­mission abgestimmt, und von dort sind keine zusätzlichen Anregungen gekommen.

Wie man daraus jetzt das übliche Opposition-versus-Regierung-Spiel machen kann, ist mir noch immer nicht ganz klar, weil es doch wirklich um etwas geht, wobei alle ge­meinsam an einem Strang ziehen sollten. Ich habe das auch gestern bei der Landes­hauptleutekonferenz erlebt. Ihr Landeshauptmann Kaiser und Bürgermeister Ludwig sehen das diametral anders als Sie. Vielleicht sollten Sie sich bei Ihren Fraktionsange­hörigen einmal erkundigen, warum die das als in Ordnung empfinden, während Sie hier herinnen damit nicht einverstanden sind. Also dort hat es dazu gestern nur breiten Konsens gegeben. (Beifall bei ÖVP und FPÖ. – Bundesrätin Schumann: Nein!)

Dass der Brexit natürlich eine Katastrophe darstellt, ist ja unbestritten. Wir wollten auch nie, dass Großbritannien die Union verlässt. Ich habe vor circa einem Dreivierteljahr den damaligen Brexitminister David Davis zu Besuch gehabt. Er hat gemeint, das wird eine Win-win-Situation für Großbritannien und die Europäische Union. (Bundesrat Beer: Und ihr habt es geglaubt!) Ich habe damals gesagt: Na ja, das wird im besten Fall eine kleine Lose-lose-Situation, nur wenn es ein harter Brexit wird, wird es die größtmög­liche Lose-lose-Situation für beide. Wo man da einen Gewinn erwarten kann, kann ich einfach nicht nachvollziehen.

Entsprechend ist die Debatte bisher auch gelaufen. Mittlerweile ist, glaube ich, allen klar, dass es beiden Seiten nicht zum Vorteil gereichen wird, wenn Großbritannien die Union verlässt. Die Frage ist nur: Wie tragisch wird es und was passiert genau? – Und da muss ich wiederholen, was ich zu Anfang gesagt habe: Wirklich genau sagen kann es niemand, weil es das noch nie gegeben hat. Das ist vielleicht am ehesten vergleich­bar mit, ich weiß nicht, dem Zerfall der K.-u.-k.-Monarchie.

Es gibt aber keinen Präzedenzfall. Bisher hat kein Land jemals die gemeinsame Union verlassen. Da es aber auch noch so ein wichtiges und großes Land wie Großbritannien ist, das ja nicht nur in sicherheitspolitischen Fragen, sondern auch in volkswirtschaft­lichen Fragen wichtig ist, aber auch in der Art und Weise, wie die Politik und der poli­tische Diskurs funktioniert, ist es einfach unmöglich, genau vorherzusehen, was wirk­lich passieren wird.

Deswegen kann es natürlich sein, dass in ganz Europa auch nach dem 1. April noch verschiedenste Adaptierungen gemacht werden, nämlich auf europäischer, aber auch auf nationalstaatlicher Ebene, weil man im Zuge des Prozesses erst draufkommt, wo man das eine oder andere noch besser regeln könnte. Im Vorhinein zu verlangen, dass man da alle Eventualitäten bedenken muss, ist ein bisschen abenteuerlich, denn die­sen Fall hat es, wie gesagt, schlicht noch nie gegeben.

Nach Maßgabe aller Möglichkeiten sind wir wirklich gut vorbereitet, aber selbst bei der besten Vorbereitung haben auch wir nicht die Illusion, dass irgendetwas besser wird. Die einzige Möglichkeit, die wir haben, ist, den Schaden so gering wie möglich zu hal­ten. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

17.03

Vizepräsident Hubert Koller, MA: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Dr.in Ewa Dziedzic. Ich erteile es ihr.