13.31

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Ministerin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Beeindruckend, wie Sie sich das alles hier schönreden! Tatsache ist aber, dass wir ja schon länger haben kommen sehen, worüber wir heute hier diskutieren.

Der Vertrag zwischen Bund und Ländern über die bundeseinheitliche Mindestsicherung ist, das werden Sie ja wissen, bereits Ende 2016 ausgelaufen. In Vorbereitung der Verhandlungen zur Fortführung dieses Vertrags legte damals die ÖVP einen Deckel von 1 500 Euro pro Haushalt fest, obwohl Sie damals gewusst haben sollten, dass es dazu ein Judikat vom VfGH aus dem Jahr 1988 gegeben hat, das genau dem wider­sprochen hat. Im Herbst 2015 hat man dann die Verhandlungslatte um die Mindest­sicherung light nochmals erhöht, obwohl man auch da gewusst hat, dass diese Position gleich mehrfach im Widerspruch zur Bundesverfassung und zum europä­ischen Recht steht.

Die Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich und Burgenland setzten ja zum Teil dann 2016 – wohlgemerkt gegen die Einwände zahlreicher ExpertInnen und JuristInnen – den sogenannten Deckel und diese Mindestsicherung light auf landes­gesetzlicher Ebene um. Wir wissen, was dann in Niederösterreich passiert ist, nämlich eine teilweise Aufhebung dieser Landesgesetze.

Genau das ist für mich der Kernpunkt dieser Debatte. Gesetze sind kein Wunsch­konzert, und Hunger ist auch dann Hunger, wenn es sich um Menschen handelt, die nicht genug Deutsch sprechen oder mehrere Kinder haben. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Der Verfassungsgerichtshof hat da den Schutz für die sozialen Sicherungssysteme gestärkt – und Sie kommen hier mit einer zynischen Argumentation daher, verteilen Zuckerl (Bundesrat Rösch: Besser als Gewalt!) für die Schwächsten der Schwachen in unserer Gesellschaft, und machen sich darüber lustig, welche Auswirkungen dieses Gesetz auf sie haben wird! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Eine Bundesrätin der FPÖ hat heute in der Aktuellen Stunde gesagt – ich darf zitieren –: „Wenn die jungen Menschen in unserem Land profitieren, dann profitiert die ganze Gesellschaft“. – Und was tun Sie? Sie wissen sehr wohl, dass durch diese Kürzungen sehr vielen jungen Menschen Chancen genommen werden, sodass sie an dieser Gesellschaft nicht im gleichen Ausmaß werden partizipieren können.

Sie wissen auch sehr wohl, wer zu den Verlierern und Verliererinnen dieser Ge­setzgebung gehören wird. Das sind vor allem Kinder in Familien mit drei oder mehr Kindern. Die beschlossenen 215 Euro für das erste, 130 Euro für das zweite und nur mehr 43 Euro für jedes weitere Kind sind eine deklarierte Verurteilung zu einem Leben in Armut. Dabei können gerade Kinder nichts dafür, wie es ihren Familien, ihren Eltern finanziell geht. Sie erleben es dann nur, indem sie eine geringere Selbstwirksamkeit haben (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), ausgegrenzt werden, weil sie an vielen Dingen gerade in der Schule nicht teilnehmen können und dann auch am eigenen Leib erfahren, wie sich nicht nur die Bildung, sondern auch die Armut verstärkt. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrat Rösch: Die hat aber keine Kinder, oder?)

Sie wissen sehr wohl auch, dass alle Menschen, die über kein finanzielles Kapital verfügen, eigentlich sehr schnell, manchmal von einem Tag auf den anderen, von Arbeitslosigkeit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder einem sonstigen Schicksals­schlag betroffen sein können und auf genau dieses soziale Netz, das wir heute diskutieren, angewiesen sind. Und was machen Sie? Sie zerreißen dieses soziale Netz, Sie treten nach unten, und in dieser Klarheit muss man das auch festhalten. Sie haben sich von der Armutsbekämpfung verabschiedet und Sie instrumentalisieren bestehende Sorgen und Ängste der Bevölkerung, die durchaus berechtigt sind, indem Sie nämlich diese Angst auf jene vor Fremden übertragen und unterteilen, ausgrenzen und spalten.

Hinzu kommt noch, und auch das war schon Thema, dass viele dieser Kannbe­stim­mungen zu Chaos bei dieser zukünftigen – und ich nenne es trotzdem absichtlich so – Almosenverteilung führen werden. Sie verstärken nicht nur Armut (Bundesrat Rösch: Das macht ihr! Das ist ja euer Vorschlag!), Sie bauen auch noch Hürden für die Bundesländer auf.

Wieso? – Laut Experten sind nämlich folgende Punkte wahrscheinlich verfassungs­widrig (Bundesrat Rösch: Was für ein Experte?): Die Kinderzuschläge zu kürzen ist eine schlicht und einfach unsachliche Schlechterstellung. Die Kosten für Sprachkurse werden auf Länder abgewälzt. Natürlich sind Sprachkenntnisse wichtig, aber wenn Sie diese zum Kriterium dafür machen, ob jemand durch eine genügende Existenz­siche­rung überhaupt erst integrationsfähig ist, dann ist das nichts anderes als niederträchtig.

Hinzu kommt ja auch noch das Unsagbare, dass man in Zukunft die Herkunft der Eltern wissen möchte. (Zwischenbemerkung von Bundesministerin Hartinger-Klein.) Ich weiß, Sie haben es nicht so mit dem Datenschutz, dafür aber eine Vorliebe für Überwachung. (Bundesrätin Mühlwerth: Das sollte euch aber bekannt vorkommen! Das ...!)

Im Zusammenhang mit den Sprachkenntnissen ist mir eine Sache auch noch ganz wichtig: Meine Eltern hätten womöglich diese B1-Stufe nicht geschafft. Hätten sie mir damals erklärt, dass wir dadurch womöglich, weil sie nicht kontinuierlich arbeiten können, weniger Geld haben, damit ich meine Ausbildung abschließen kann, dann weiß ich nicht, was ich gemacht hätte. Ich hätte mich womöglich aufgegeben, wie es viele, viele der Jugendlichen und Kinder tun, die aus sogenannten Migrationsfamilien kommen, weil sie genau diese Ausgrenzung, die Sie schüren, am eigenen Leib spüren. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrat Pisec: Studieren kostet ja nichts! 19 Euro pro Semester! Das kostet einen Lacher!)

Eine Sache noch, die ganz, ganz wichtig ist: Einerseits werden ausschließlich B1-Zertifikate des Österreichischen Integrationsfonds anerkannt, andererseits darf das Zertifikat nicht älter als sechs Monate sein. Ich finde, wir haben viel zu kurz darüber geredet. Wieso? – Das ist nämlich zusätzlich noch eine perfide Geschichte. Der Monopolanbieter, nämlich der Fonds der Republik, ein Partner des Ministeriums für Integration und Äußeres, bekommt nämlich mit diesem Status eine alleinige Steue­rungsmöglichkeit darüber, wie viel Angebot es geben wird, wie viele Menschen überhaupt so ein Zertifikat werden machen können und wer überhaupt in Österreich eine Prüfung ablegen kann, indem sie nämlich die alten Zertifikate nicht anerkennen.

Wenn man da monopolisiert, gleichzeitig aber das Angebot nicht sicherstellt und das dann auch noch auf die Länder abwälzt, wie soll sich das bitte ausgehen?! Es ist so offensichtlich, was Sie hier vorhaben! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Sie möchten, dass möglichst wenige Menschen über diese Zertifikate verfügen und somit Anspruch auf Sozialhilfe haben. Das ist die Wahrheit! (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, Ihre Wahrheit! Nicht die Wahrheit, Ihre Wahrheit!)

Deswegen schließe ich mich da der SPÖ an und bin sehr froh darüber, dass ihr diese Verfassungsklage jetzt prüfen lasst, denn nur durch eine Verfassungsklage können die kompetenz-, verfassungs- und EU-widrigen Teile dieses Grundsatzgesetzes des Bundes vor der politischen Umsetzung in den Landtagen geklärt werden.

Zum einen muss der Bundesrat als Länderkammer handeln, zum anderen kann es Ihnen als Ländervertreter genauso wie den Landeshauptleuten nicht egal sein, dass ein Gesetz unzählige Kinder in die Armut drängt oder kranke, lernschwache Menschen und pflegende Angehörige massiv benachteiligt. Auch die Umstellung auf ein obliga­torisches Sachleistungssystem beim Wohnbedarf führt nicht zu einer Verbesserung, sondern womöglich nur zum Chaos, das die Länder dann werden ausbaden müssen. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ich schließe damit – weil Sie ja natürlich von sich selbst so überzeugt sind, dass Sie gar nicht auf die sachlichen Argumente hören wollen (Bundesrat Rösch: Auf sachliche würden wir schon hören!) –, dass dieses Sozialhilfegesetz Neu - - (Bundesrätin Mühlwerth: Welche denn? – Bundesrat Pisec: Wenn jemand sagt, in Österreich kann man nicht studieren, ... um 19 Euro! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Ich glaube, ich habe da mehr Erfahrung als Sie.

Ich schließe damit, dass sich dieses neue Sozialhilfegesetz sehr gut in den Kontext der unsozialen Gesetze (Bundesrätin Mühlwerth: Welche?), die diese türkis-blaue Regie­rung in den letzten 500 Tagen beschlossen hat, einreiht. 500 Tage Türkis-Blau bedeu­ten nämlich nicht nur 61 rechtsextreme Einzelfälle – womöglich sind es in der Zwischenzeit schon mehr –, sondern 500 Tage Türkis-Blau bedeuten auch 12-Stunden-Tage statt Entlastung für ArbeitnehmerInnen, bedeuten auch aufgeblähte Kabinette, Verbindungsmänner vom Bundesheer in Ministerien, bedeuten auch eine Ausgaben­steigerung von fast 45 Millionen Euro für Eigen-PR und bedeuten ein permanentes Hickhack zwischen denen da drüben und uns hier herüben, denen da oben und denen hier unten, zwischen den Zugewanderten, den Einheimischen, den Deutsch­sprechen­den und denen, die sich nicht integrieren wollen. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, zu Recht!) Dieses permanente Hickhack, da gebe ich Korinna Schumann recht, trägt nicht zum sozialen Frieden bei, sondern gefährdet diesen sozialen Frieden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

500 Tage türkis-blaue Koalition sind eine sozialpolitische Schande. Wir werden nicht aufhören, Ihnen das aufzuzeigen und für die Bevölkerung sichtbar zu machen, was Sie hier veranstalten. Das ist kein Beitrag zu einer demokratischen, friedlichen Gesell­schaft, in der wir in Österreich leben wollen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundes­rates Stögmüller. – Bundesrätin Mühlwerth: Ja, die friedliche Gesellschaft! Mit Über­griffen der Zugewanderten! Mit Mord und Vergewaltigung!)

13.42

Präsident Ingo Appé: Zu Wort gelangt Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitschthaler. Ich erteile es ihr. – Bitte.