9.38

Bundesminister Mag. Gernot Blümel, MBA, betraut mit der Fortführung der Verwaltung im Bundesministerium für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundes­kanzleramt: Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte auch ich meine Erschütterung über die Schändung der Fotos von Schoah-Überlebenden zum Ausdruck bringen. Ich bin dafür, dass die Täter ausge­forscht werden, denn gerade nach einem Gedenk- und Erinnerungsjahr, wie wir es im letzten Jahr begangen haben, sollte eigentlich das Bewusstsein in Österreich, die Ver­antwortung, die wir auch für unsere Geschichte haben, entsprechend ausgeprägter sein. Das ist durch diese Tat leider nicht bestätigt, deswegen heißt es weiterhin: Niemals wieder!, und bewusst darauf einzugehen, was damals passiert ist, es in das Bewusstsein zu rufen, damit so etwas nicht mehr geschieht. (Allgemeiner Beifall.)

Ich möchte aber nunmehr auf das Thema der Aktuellen Stunde eingehen: „Ordnung, gute Lebensperspektive und Hausverstand: ein neuer Vertrag für die Zukunft Europas“. Nun, dieses Thema ist in den letzten Redebeiträgen vielleicht ein wenig zu kurz gekommen, aufgrund der innenpolitisch turbulenten Zeiten ein wenig untergegangen, ich möchte aber doch darauf zurückkommen, denn es stehen in Europa gewichtige Entscheidungen an.

Generell ist ja dieses halbe Jahr für Europa, für die Europapolitik ein sehr, sehr wich­tiges. Wir begehen 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs, 25 Jahre Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und 15 Jahre Osterweiterung. Es hat auch die Wahlen zum Europäischen Parlament gegeben, wir alle wissen, wie sie ausgegangen sind. Auf europäischer Ebene stehen daher Entscheidungen an, die un­mittelbare Auswirkungen auf das gesamte Gefüge und auch auf die Ausrichtung inner­halb Europas haben werden. Ich möchte mich ein wenig auf die wesentlichen Ent­scheidungen fokussieren, die dann die Übergangsregierung zu treffen haben wird, zumindest zu großen Teilen.

Wenn ich mir die inhaltlichen Themen ansehe, dann gibt es zum Beispiel den Be­schluss der sogenannten Strategischen Agenda – das ist jene Schwerpunktsetzung, die auf europäischer Ebene seitens des Rates für die nächsten fünf Jahre getroffen wird. Es ist ein Rat, an dem der ursprünglich gewählte Bundeskanzler aufgrund des Misstrauensantrages natürlich nicht mehr wird teilnehmen können. Der Entwurf wird im Juni präsentiert. Österreich hat sich bisher stark für das Prinzip der Subsidiarität und Entbürokratisierung eingesetzt. Ich gehe davon aus, dass sich die Personen, die in den nächsten Monaten diese Übergangsregierung leiten werden, auch entsprechend an diesem Rahmen orientieren.

Es gibt den mehrjährigen Finanzrahmen, das europäische Budget, über das auch hier schon viel gesprochen worden ist. Diesbezüglich hat sich Österreich – ich gemeinsam mit dem Bundeskanzler und dem Finanzminister – immer dafür eingesetzt, dass wir zwar weiterhin 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Beitrag zahlen, aber eben nicht wesentlich mehr. Diese Verhandlungen gehen jetzt in eine entscheidende Phase, Rumänien legt im Juni im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft die nächste Verhand­lungsbox vor, und dies wird dann mit Zahlen gefüllt. Da stehen gewichtige Ent­schei­dungen an, die Österreich auch viel Geld kosten können, wenn man falsch abbiegt.

Die Erweiterung ist eine Kernkompetenz der österreichischen Außenpolitik. Es hat viele Fortschritte am Westbalkan gegeben. Wir haben immer gesagt, dass Europa nur dann komplett sein wird, wenn irgendwann einmal alle Staaten am Westbalkan Teil der Europäischen Union sein können, sofern sie die Kriterien erfüllen – vollkommen klar. Ich glaube, dass es in einer Zeit, in der sich ein Land, nämlich Großbritannien, entschieden hat, diese gemeinsame Union zu verlassen, umso wichtiger ist, dass wir als Europa ein Signal setzen, das die Attraktivität dieses Projekts auch weiterhin unter Beweis stellt.

Die Transformationskraft, die der Weg nach Europa am Westbalkan entfalten kann, sieht man sehr schön am Beispiel des Namensstreits zwischen Nordmazedonien und Griechenland. Dieser hat Jahrzehnte geschwelt, das ganze Land war blockiert, die Region konnte sich nicht weiterentwickeln, aber mit der Perspektive, dass mit einer Lösung dieses Streits der Weg nach Europa ein Stück weit frei wird, hat es dieses Land geschafft, seinen eigenen Namen zu ändern. Ich finde das sehr, sehr respektabel und wirklich beeindruckend, denn wenn in Österreich Bezirke zusammengelegt werden oder Bezirksnamen geändert werden, dann ist das oft die große Katastrophe. Dieses Land hat seinen Namen geändert, damit der Weg nach Europa frei gemacht wird.

Daran sieht man, was für eine Transformationskraft dieses europäische Projekt ent­wickeln kann, und wir müssen da auch die Hand ausstrecken. Da ist es wesentlich, dass bei den nächsten Beschlüssen im Juni im Allgemeinen Rat, sofern die Kom­mission im Fortschrittsbericht auch Empfehlungen für die Aufnahme von Beitritts­verhandlungen einiger Länder ausspricht, dem auch nachgekommen wird. Diesbe­züglich war Österreich immer eine starke Stimme, auch gegen viele Widerstände, ich nenne beispielsweise Frankreich oder die Niederlande. Es war vor einem Jahr ein harter Kampf, dass die Perspektive in den Schlussfolgerungen weiter erhalten bleibt, es gab stundenlange Unterbrechungen der Ratssitzungen. Da muss man mit viel Emotion und viel Überzeugung vorgehen, und ich hoffe, dass die Übergangsregierung dem auch so nachkommen wird.

Es gibt ein weiteres Thema, nämlich die Verkleinerung der Kommission. Es geht ja auch viel ums Sparen und auch um die symbolische Wirkung: Wenn man die Kom­mis­sion verkleinert, spart man – seitens der Politik – bei sich selbst. Auch diesbezüglich sind die notwendigen Beschlüsse in der Ratssitzung im Juni zu fassen, auch das ist eine gewichtige Weichenstellung für die Zukunft.

Ich komme zum Personalpaket: Nach einer Wahl zum Europäischen Parlament dreht sich das Personalkarussell in Brüssel mit hoher Geschwindigkeit. Es gilt, den Prä­sidenten der Europäischen Kommission, das Kollegium der Kommission, den Präsi­denten des Europäischen Rates, den Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Präsidenten der Eurogruppe, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank und den Präsidenten des Europäischen Parlaments zu wählen. Das sind gewichtige Weichenstellungen, die in den nächsten Monaten anstehen, und das ist auch viel an Verantwortung für die kommende Übergangsregierung. Ich wünsche ihr dafür alles Gute!

Ich darf vielleicht noch sagen, wie der Fahrplan ist: Der Europäische Rat wird wahr­scheinlich im Juni einen Vorschlag für einen Kandidaten für den Kommissions­präsi­denten auf den Tisch legen, vielleicht auch gleich für einige andere Personalent­schei­dungen. Im Juliplenum wird es dann eine Abstimmung über diesen Vorschlag für den Kommissionspräsidenten geben und wahrscheinlich Ende August eine Sondersitzung des Europäischen Rates, bei dem das gesamte Paket letztlich auch beschlossen wird. Das wäre der Fahrplan, so wie er jetzt auf dem Tisch liegt.

Ich darf an alle Fraktionen im Hohen Haus, im Bundesrat und im Nationalrat, appel­lieren, generell die Übergangsregierung – wie auch immer sie aussehen wird – mit voller Kraft zu unterstützen, denn diese Entscheidungen haben nicht nur Auswirkungen auf europäischer Ebene, sondern auch auf unser Österreich. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

9.46

Präsident Ingo Appé: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer und Teil­nehmerinnen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minu­ten nicht übersteigen darf. Ich würde auch bitten, nachdem die ersten drei Redner und Rednerinnen ihre Botschaft zur aktuellen bundespolitischen Situation abgegeben haben, dass sich die nachfolgenden Redner in ihren Beiträgen vielleicht auf das Thema der Aktuellen Stunde konzentrieren.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Eduard Köck. Ich erteile ihm dieses.