10.00

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ja, ein schönes Chaos haben wir da und mittlerweile auch die eine oder andere Wahlkampfrede, obwohl es in der Aktuellen Stunde um etwas tatsächlich sehr Wichtiges geht, nämlich um die Zukunft, um einen Vertrag, um Kompromisse, um Europa, aber natürlich auch – gerade in diesen chaotischen Tagen und Wochen – um Ordnung.

Schon bei der Europawahl ging es aber nicht so sehr um Europa, sondern vor allem um die Vorzugsstimmen: Türkis gegen Schwarz, haben wir gelesen. Rund um die Europawahl ging es auch nicht um Europa, sondern um Ibiza, und wir wissen alle – ich gehe nicht näher darauf ein –, das war nur die Spitze des Eisbergs. (Bundesrat Steiner: Ibiza gehört auch zu Europa!) Wenn Sie heute von Stabilität und Hand­lungsfähigkeit reden, dann muss man natürlich schon auch die EU-Ratspräsidentschaft noch einmal bemühen, bei der es damals die Möglichkeit gegeben hätte, genau hier Maßnahmen zu setzen und sich als Österreich darum zu bemühen, die Zukunft Europas abzusichern.

Es herrscht im Moment jedenfalls irrsinnig viel Unklarheit, und es ist wahrlich nicht einfach, über die Zukunft zu reden, wenn wir es in der Gegenwart mit so einem Chaos zu tun haben. Nicht einmal die Delegationsleitung der ÖVP ist fix. Die groß ange­kündigte rechte Allianz zwischen Orbán, Salvini, Kaczyński und Strache hängt ja mitt­lerweile in der Luft. Orbán selbst hat auch gesagt, das Modell Österreich ist jetzt kein Vorbild mehr. Jedenfalls wird es – auch mit dem Brexit – sehr spannend in Europa.

Wir sollten aber nicht nur über die Regierungskrisen, über die Krise der Demokratie reden; worüber wir wirklich auch reden sollten, ist die Klimakrise, denn diese wird ganz konkrete Auswirkungen haben, nicht nur global, nicht nur europäisch, sondern auch in Österreich. Unter anderem werden wir das durch diverseste Wetterkrisen spätestens im Sommer zu spüren bekommen. Da liegen die Lösungen auf dem Tisch, nur beschäftigt sich eben niemand damit beziehungsweise setzt man eher Scheuklappen auf und betreibt eine Politik des Populismus anstatt der Lösungen.

Wenn wir jetzt aber über Zukunft und Lebensperspektiven in Europa reden, dann müs­sen wir uns schon mit Phänomenen beschäftigen, die tatsächlich zum Teil haus­gemacht sind, aber aus meiner Sicht als die größten Herausforderungen zu sehen wären. Es gibt immer mehr Reichtum – auch das haben wir heute schon kurz gehört –, mehr Wohlstand, aber dieser Wohlstand ist in Europa immer weniger Menschen vorbehalten. Wir sehen nicht nur eine eklatante Vermögens-, Chancen- und Einkom­mensschere, die immer weiter auseinanderdriftet, sondern wir sehen auch, wie sich das auf die Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen in der Demokratie auswirkt und wie es natürlich auch den erwähnten Populisten in die Hände spielt.

Das ist eine große Gefahr, da das Versprechen Europas auf ein besseres Leben für möglichst viele so einfach nicht mehr haltbar ist. Das heißt, wirtschaftlich geht es uns immer besser, gleichzeitig steht aber alles auf der Kippe: nicht nur das gute Leben für alle, nicht nur die liberalen Werte, nicht nur eine friedliche Zukunft, sondern eben, wie schon erwähnt, die Demokratie und die sozialen Grundlagen, die notwendig sind, um diesen Wohlstand überhaupt erhalten zu können.

Da wir heute über die Zukunft reden, muss ich auch festhalten, dass zum einen genau diese Zukunft in Gefahr ist, wir zum anderen aber wissen, dass in der heutigen globalisierten Welt kein Land – nicht nur Österreich, sondern kein Land – groß genug ist, um diese Probleme alleine zu bewältigen. Wir wissen auch, gerade in Europa, dass wir nur durch eine bessere Zusammenarbeit die Armut verringern, Arbeitsplätze schaf­fen, die Klimakrise bewältigen, unsere Natur erhalten, Diskriminierung bekämpfen, aber auch die Freiheit verteidigen können. Das wären die eigentlichen Themen, über die wir heute reden müssten. Wir vonseiten der Politik haben hier – da gebe ich Frau Mühlwerth recht – eine enorme Verantwortung, die aber gerade in dieser Republik leider nicht wahrgenommen wird, und ja, es bleibt irrsinnig viel zu tun.

Meine Redezeit ist bald vorüber, daher möchte ich noch ein paar wichtige Dinge aufzählen, die wir angehen müssen, sobald sich dieses Chaos beruhigt hat: Wir wollen ein Europa, in dem junge Menschen nicht mehr darum kämpfen müssen, menschen­würdige Arbeitsplätze zu finden, Frauen am Arbeitsplatz nicht diskriminiert werden und kleine Unternehmer und Unternehmerinnen nicht unter unlauterem Steuerwettbewerb durch Großunternehmen und Konzerne leiden müssen. Wir wollen ein Europa, in dem Eltern sich keine Sorgen machen müssen, dass ihre Kinder schädlichen Chemikalien ausgesetzt sind, in dem sich Journalisten und Journalistinnen keine Sorgen machen müssen, von mächtigen Interessenvertretern zum Schweigen gebracht zu werden, in dem transidente Personen auf der Straße keine Angst vor Übergriffen haben müssen und in dem ältere Menschen nicht in bitterer Armut um ihre Existenz fürchten müssen und auch verhungern – diese Beispiele kennen wir ja mittlerweile aus Österreich. Wir wollen ein Europa, in dem Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken, Tiere nicht mehr von der Industrie missbraucht werden und unsere Natur nicht zerstört wird.

Das ist die Zukunft, darüber müssen wir reden. Ich ersuche diese zweite Kammer gerade jetzt, in der Situation, in der diese Republik ist, in der Situation, in der sich die erste Kammer dieses Parlaments befindet, diese Verantwortung auch wahrzunehmen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

10.07

Präsident Ingo Appé: Die Aktuelle Stunde ist beendet.