10.58

Bundesrat Martin Weber (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Vor allem geschätzter Herr Interimsminister! Ich schätze Sie sehr als seriöse, anerkannte Persönlichkeit. Sie haben sich österreichweit und darüber hinaus großes Ansehen erworben, auch schon als Präsident des Obersten Gerichtshofes. Sie sind selber als Innenminister kein Sicherheitsrisiko und unterscheiden sich damit eklatant von Ihrem Vorgänger. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

Ich erinnere nur ganz kurz an den BVT-Skandal, bei dem die eine Polizeieinheit eine andere Polizeieinheit illegal gestürmt hat. Sozusagen über Nacht sind sensible Unter­suchungsdaten ausgerechnet über Rechtsextreme bei der Freiheitlichen Partei gelandet. (Bundesrätin Mühlwerth: Das war die Staatsanwaltschaft!) Unser Geheim­dienst stand oder steht am internationalen Abstellgleis. Unsere befreundeten Geheim­dienste misstrauen Österreich. Ich könnte diese traurige Kickl-Bilanz noch lange fort­setzen. (Bundesrat Steiner: Produzier nicht so viel heiße Luft, das wäre besser! – Bun­desrätin Mühlwerth: Denk ans Klima! – Bundesrat Steiner: Genau!) Gott sei Dank ist jetzt eine seriöse, anerkannte Persönlichkeit – wenn auch nur als Interimsminister – da. (Bundesrat Steiner: Nicht so viel heiße Luft! Besser fürs Klima!)

Aber der Reihe nach: Heute und jetzt geht es um das sogenannte BBU-Errichtungs­gesetz. Die Regierung plant die Errichtung einer sogenannten Bundesagentur für Be­treuungs- und Unterstützungsleistungen, kurz eben BBU genannt. In Kraft treten sollen diese neuen Bestimmungen schrittweise, der Vollbetrieb dieser Agentur ist für 2021 in Aussicht gestellt; das kann sich noch verzögern. Es dauert also lange, bis alles ver­wirklicht ist. Wir wissen nicht, wer dann hier in diesem Hohen Hause Verantwortung tragen wird. Wir entscheiden also in dieser schwierigen und sensiblen Übergangs­phase über ein ganz wichtiges Thema.

Punkt eins: Derzeit erfolgt die Erstbetreuung von Flüchtlingen in Österreich, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, durch private Unternehmen. Auch die Rechts- und Rückkehrberatung für Asylwerber ist an externe private Leistungserbringer ausgelagert. (Bundesrat Steiner: Gewinnorientiert!) Beides soll sich nun ändern. Das ist schon ein bisschen merkwürdig, meine Herren und Damen von der Freiheitlichen Partei. Das Wasser wollen Sie laut Ibizavideo verkaufen, wollen Sie privatisieren, aber dieses in privaten Händen befindliche Instrumentarium wollen Sie verstaatlichen. (Bun­desrat Steiner: Richtig!) Normalerweise ist ja euer Lebensmotto: weniger Staat, mehr privat. In diesem Bereich ist es genau umgekehrt. (Bundesrätin Mühlwerth: Das gilt eh nicht für alles!) Das ist ein bisschen eigenartig und merkwürdig. Da werden Sie mir schon recht geben müssen. (Bundesrat Steiner: Da braucht man Hausverstand! Da braucht man Hausverstand! – Bundesrätin Hahn – in Richtung Bundesrat Steiner –: Das sieht man an Ihnen!)

Punkt zwei, zu den Kosten: Sparen im System haben wir in diesem Hohen Hause schon sehr, sehr oft gehört, aber leider eben nur gehört. Wir wissen mittlerweile, es ist nichts anderes als ein billiger Plakatspruch, eine inhaltsleere Worthülse. Das hat die Kostenexplosion bei der EU-Ratspräsidentschaft gezeigt. Aus 43 Millionen Euro veranschlagten Kosten sind in etwa 100 Millionen Euro geworden, sie wurden also mehr als verdoppelt. Auch bei den Wahlkampfkosten der ÖVP hat es sich gezeigt: 7 Millionen Euro sind die gesetzliche Obergrenze, ausgegeben habt ihr bei der Natio­nalratswahl 2017 13 Millionen. Meine Herren und Damen von der ÖVP, sprecht uns nie mehr wegen klugen Wirtschaftens an, sprecht uns nie mehr wegen sinnvollen Haus­haltens an! Euch die Finanzen zu überantworten, da kann der Hund auf die Wurst aufpassen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Steiner: Dem H.-C. den Spruch gefla­dert!) Diese gekaufte Politik haben wir in den letzten Monaten hier in diesem Hause auch sehen dürfen.

Insgesamt geht diese Regierung von Mehraufwendungen im Jahr 2019 von über 4 Millionen Euro aus, im nächsten Jahr von Mehraufwendungen von 6 Millionen Euro, und die Einmalkosten für die Einrichtung dieser BBU sollen in etwa weitere 11 Millio­nen Euro betragen. Wenn ihr bei eurer Politik bleibt, wird sich das ja noch deutlich erhöhen. (Bundesrätin Mühlwerth: AKH, das ist Finanzpolitik der SPÖ! Skylink! – Bun­desrat Steiner: Ein Lercherlschas gegen das AKH!)

Punkt drei, zur Transparenz: Bei dieser BBU ist eine ganz, ganz kritische Interessen­verflechtung gegeben. Als zentralen kritischen Punkt sehen wir – und nicht nur wir – die Nähe zum Bundesminister für Inneres an, die sich allein schon durch die Konstruk­tion dieser Bundesagentur ergibt. Das BMI hat bestimmenden Einfluss auf alle Lei­tungsfunktionen, die provisorische Betrauung wurde nicht einmal ausgeschrieben. Meine Damen und Herren, Transparenz sieht anders aus! Das riecht wieder sehr nach Postenschacher. (Bundesrätin Mühlwerth: Sieh dir das beim Krankenhaus Nord an, die Transparenz der SPÖ, mit Esoteriker und allem Drum und Dran!)

Vierter Punkt – der wird unseren Herrn Interimsminister wahrscheinlich am meisten interessieren –: Wie schaut es mit der Rechtsberatung aus? Dabei sollen auch massive Einschränkungen beim Rechtsanspruch auf Rechtsberatung auf uns zukom­men. Mit der Übernahme der Rechtsberatung durch die Bundesbetreuungsagentur ist der Rechtsanspruch auf diese Rechtsberatung eben massiv eingeschränkt. Demnach sollen Asylwerberinnen und Asylwerber, die sich im Zulassungsverfahren befinden – ausgenommen sind unbegleitete Minderjährige –, künftig nur noch dann Anspruch auf kostenlose Rechtsberatung haben, wenn ihnen eine negative Entscheidung in Aussicht gestellt wurde und sie weniger als 72 Stunden Zeit haben, um sich auf ihre Einver­nahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzubereiten. (Bundesrätin Mühlwerth: Das wird ja wohl reichen, 72 Stunden!)

Auch Fremden, die zum Zweck einer Abschiebung festgenommen werden, wird nur nach Maßgabe vorhandener Kapazitäten unentgeltliche Rechtsauskunft erteilt. Alle anderen haben eben Pech gehabt. Meine Damen und Herren, da hört sich der Rechts­staat doch wirklich auf!

Zu weiteren Einschränkungen kommt es auch bei Reisepass-Beschaffungsbescheiden. So wird etwa bei Beschwerden gegen Reisepass-Beschaffungsbescheide und  Ersatz­reisedokument-Mitwirkungsbescheide keine Rechtshilfe mehr gewährt.

Weiters ist laut Gesetz die Betrauung anderer juristischer Personen mit der Durch­führung der Rechtsberatung ausdrücklich nicht mehr zulässig. Zwischen der Begut­ach­tung und der Beschlussfassung dieser Regierungsvorlage wurde vonseiten des BMI eine deutliche Verschärfung in diesen Gesetzentwurf eingebaut, die einen massiven Eingriff in die Rechte der bisherigen Rechtsberater oder Rückkehrberater und natürlich der betreuten Personen bedeutet. Während in der Begutachtung lediglich vorberei­ten­de Maßnahmen im Vorfeld des Inkrafttretens vorgesehen waren, ist nunmehr zusätz­lich vorgesehen, dass alle bisher mit der Rechtsberatung betrauten natürlichen und juristischen Personen der Bundesagentur alle Daten zur Verfügung zu stellen haben, die diese für ihre Aufgabenwahrnehmung benötigt.

Meine Damen und Herren! Wurde die Datenschutz-Grundverordnung abgeschafft, oder ist Ihnen diese völlig egal? In diesen sensiblen Akten befinden sich Daten, die den Asylantrag unterstützen, wie auch Daten, die im Rahmen der Rechtsberatung nicht für den Antrag und für das Verfahren verwendet werden. Experten gehen davon aus, dass Asylwerber in der Vergangenheit mehr Vertrauen in unabhängige Rechtsanwälte hatten – und ihnen daher das gesamte Schicksal anvertraut haben –, als sie in Zukunft in die sogenannte BBU jemals haben werden. Und in dieses Vertrauen wird nunmehr durch dieses einfache Gesetz eingegriffen. Rechtsanspruch auf Rechtsberatung be­steht so­mit nur mehr in eingeschränktem, sehr eingeschränktem Umfang. (Bundesrat Steiner: Ja, ja!) Das ist ein weiterer Grund dafür, dass wir aus sozialdemokratischer Sicht diese Vorlage heute ablehnen werden. (Bundesrat Steiner: Deshalb habt ihr so viele Wahlerfolge!)

Das Gleiche gilt eins zu eins für die sogenannte Rückkehrberatung. Die angeblich unabhängige Rechtsberatung stellen wir damit massiv infrage. Nicht nur wir tun das, in der Begutachtung hat das auch der Österreichische Rechtsanwaltskammertag getan, die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter hat es getan, die Bun­desvertretung Richter und Staatsanwälte hat es getan. Das sind allesamt Institutionen, die Sie, geschätzter Herr Interimsminister, sehr gut kennen werden. Diese Bedenken sind uns allen und auch Ihnen, sehr geschätzter ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofes, nunmehr provisorischer Innenminister, sicherlich bekannt.

Es erscheint daher das Durchpeitschen dieser Vorlage aus rechtlichen und nicht nur aus politischen Gründen angesichts dieses sensiblen Zustandes der Republik Öster­reich gegenwärtig nicht verantwortungsvoll. Ich ersuche Sie daher, Herr Minister, nicht nur inhaltlich zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu beziehen, sondern auch den Bundesrätinnen und Bundesräten heute zu empfehlen, einem Einspruch dringend zu­zustimmen und eine neuerliche Beschlussfassung des Nationalrates zu gewährleisten.

Fünfter Punkt: Zum katastrophalen Scheitern der Kurz-Regierung wird auch immer gerne unser hochgeschätzter Bundespräsident zitiert – von vielen natürlich gerne falsch oder etwas verdreht zitiert. Wenn wir von einer stabilen Expertenregierung reden, meinen andere, es ist eine ÖVP-Alleinregierung mit türkisen Kabinettsleitungen und türkisen Ministern gemeint. (Bundesrat Steiner: Wer hat sie denn angelobt?) Das hat aber unser Herr Bundespräsident nie und nimmer gemeint. Er empfiehlt weiters, jetzt in dieser sensiblen Zeit keine weitreichenden neuen Gesetze zu beschließen. Eine Übergangsregierung soll Stabilität schaffen, aber keine so wichtigen Entscheidungen treffen.

Letzter Punkt: die christlichsoziale Gesinnungsgemeinschaft. Haben Sie jemals die Einwendungen (ein Schriftstück in die Höhe haltend) zum Beispiel der Diakonie oder der Caritas gelesen? Das Soziale bei Ihnen ist spätestens mit der Abschaffung des Karfreitags, mit der Einführung des 12-Stunden-Tages zerschlagen worden, das Christ­liche tragen Sie jetzt zu Grabe. Ich frage Sie: Was bleibt von Ihrer Gesinnungs­ge­meinschaft überhaupt übrig? Das Christliche ist weg, das Soziale ist weg, und die letzte Religion, der Kurz, ist jetzt auch noch weg. Schauen Sie, dass nicht auch Ihr Gewissen heute weg ist! – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Dziedzic und Stögmüller.)

11.11

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Robert Seeber zu Wort. Ich erteile es ihm.