11.29

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich): Wertes Präsidium! Sehr geehr­ter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchergalerie! Wir beschließen heute eine 15a-Vereinbarung zur Kin­der- und Jugendhilfe. Warum müssen wir das tun? – Weil die Großparteien ÖVP, FPÖ und auch SPÖ sich entschlossen haben, ein funktionierendes Bundesgesetz zu zerrei­ßen und in neun Landesgesetze aufzuteilen. Nun braucht es eben eine 15a-Vereinba­rung, um es doch nicht ganz ausufern zu lassen. In der politischen Praxis, und das weiß sehr wohl auch jeder von uns hier im Saal, ist eine 15a-Vereinbarung ein loses Instrument ohne jegliche tatsächliche Konsequenz, und ein solches wird, gerade weil es lose ist, heute hier beschlossen.

Ich möchte allerdings noch etwas in der Geschichte dieses Gesetzes zurückgehen, die dazumal mit einer eigentlich nicht einmal so schlechten Idee begonnen hat, nämlich mit einer Bereinigung der Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern. Das war eigentlich dringend notwendig – nur die großen Brocken wie zum Beispiel das Bundes-Verfassungsgesetz mit dem Elektrizitätswesen, das Krankenanstaltengesetz oder das Sozialhilfegesetz wurden ausgespart. All dies wurde ausgeschlossen. Man hat dann ein gut funktionierendes – und das ist der Punkt: gut funktionierendes – Bun­des-Kinder- und Jugendhilfegesetz fixiert und auch beschlossen, dass das dement­sprechend verschoben werden soll.

3 Stunden bevor wir dieses Gesetz hier im Bundesrat beschlossen haben – und das ist auch als Kritik zu verstehen –, wurde uns plötzlich der Evaluierungsbericht vom Ju­gendministerium zugestellt. Was war in diesem Evaluierungsbericht zu lesen, meine sehr geehrten Damen und Herren? – Da stand, dass dieses Bundes-Kinder- und Ju­gendhilfegesetz gut funktioniert, dass es super ist, dass es Sinn macht, die Kinder- und Jugendhilfe bundeseinheitlich zu regeln und auch im Bund angesiedelt zu haben.

Nun muss man noch ein bisschen zurückgehen: Warum ist es überhaupt dazu ge­kommen? – Die im Jahr 2008 gesetzte Initiative wurde durch den Mord am 17 Monate alten Luca ausgelöst, der nach qualvoller Misshandlung starb – schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen mit Todesfolge lautete damals das Urteil. Danach gab es eine Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989. Das Ganze dauerte wieder Jahre, bis dann 2013 endlich ein bundeseinheitliches Kinder- und Jugendhilfegesetz geschaffen wurde. Das geschah 2013 – auch wieder nur deshalb, weil es einen furcht­baren Anlass gegeben hat, bei dem erneut ein Kind zu Tode gekommen ist. Dies wur­de durch mangelnde Behördenkooperation über die Bundesländergrenzen – und ge­nau das ist der Punkt: über die Bundesländergrenzen – verschuldet.

Dass so etwas aufgrund von Kirchturmdenken der Behörden passiert, wollten wir alle nicht, und ich bin mir sicher, dass wir alle das auch heute nicht wollen. Nein, ganz im Gegenteil: Eigentlich müssten wir das Anliegen haben, dass genau diese Barrieren, diese Bundesländerbarrieren endlich aufgehoben werden und es mehr Kooperation gibt, dass es bundeseinheitliche Standards gibt, dass bundeseinheitlich gedacht wird – gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht.

Mit der Kompetenzverschiebung vom Bund zu den Ländern passiert allerdings genau das Gegenteil. Wir katapultieren uns in der Bundes-Kinder- und Jugendhilfe um Jahre zurück. Wir installieren neun Landesgesetze, meine sehr geehrten Damen und Herren, damit es in Zukunft wieder möglich ist, dass zum Beispiel ein Kind in Vorarlberg mehr wert ist, ihm andere Qualitätsansprüche zustehen als einem Kind in Oberösterreich, oder umgekehrt. So etwas darf einfach nicht mehr sein! In welchem Jahrhundert sind wir denn?! Das kann es doch nicht mehr sein! Für mich – und ich hoffe, auch für Sie hier im Saal – ist jedes Kind in Österreich gleich viel wert.

Man hat vonseiten der alten türkis-blauen Bundesregierung von Anfang an die Fachex­pertinnen und -experten, die sich tagtäglich um die Kinder und Familien da draußen kümmern, die täglich an diesen Brennpunkten im Einsatz sind, beinhart ignoriert und man hat sie nicht miteinbezogen. Die Verfassungsänderung wurde durchgezogen, auch wenn sich noch so viele kritische Stimmen und Stellungnahmen im Postfach Ihres Vorgängers (in Richtung Vizekanzler Jabloner) im Justizministerium gefunden haben. Es wurde auf Biegen und Brechen durchgezogen. Die Auflösung des Grundsatzge­setzes hat schwerwiegende Konsequenzen für die Kinder- und Jugendhilfe und für die Kinder und Jugendlichen.

Wir waren auch mit dem Herrn Präsidenten (in Richtung Vizepräsident Koller) in Kärn­ten bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Was war das Thema? – Genau diese Auf­lösung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Diese ist einer der Hauptkritik­punkte – no na net –, weil es Einfluss auf deren Arbeit hat, massive Verunsicherung bedeutet und eine echte Katastrophe für deren Arbeit ist. Künftig kann jedes Bundes­land dann selbst definieren, was gut und richtig ist, und da hilft auch – und das wissen wir alle hier im Saal – eine 15a-Vereinbarung nicht wirklich weiter.

An die, die heute ihr Gewissen beruhigen, indem sie sagen, es gebe eh eine 15a-Ver­einbarung: Ihnen muss klar sein, dass sich aus der 15a-Vereinbarung keine Rechtsfol­gen für Kinder und Jugendliche ableiten lassen. Das heißt, die unterschiedlichen Stan­dards können nicht von den Betroffenen eingeklagt werden, auch wenn sie unterschrit­ten werden. Da gibt es keine Möglichkeit. Eine 15a-Vereinbarung ist im Großen und Ganzen eine Willenserklärung ohne große rechtliche Relevanz. Es ist ein Feigenblatt, das Sie jetzt vorschieben, um zu sagen: Wir haben das Beste aus diesem Gesetz he­rausgeholt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie machen sich mit dieser Beschlussfas­sung – mit dem alten Gesetz und auch mit der 15a-Vereinbarung – in der gesamten Fachwelt einfach lächerlich. (Bundesrätin Mühlwerth: Bei den Linken!) – Nein, nicht bei den Linken, sondern bei den Expertinnen und Experten! (Bundesrat Steiner: Bei den linken Experten!) – Wenn Sie sagen, die Kinder- und Jugendanwaltschaft ist links (Bundesrat Steiner: Linksradikal sogar!), wenn Sie immer in dieses Links-und-rechts-Denken verfallen, dann tun Sie das von mir aus! (Bundesrat Samt: Das Links-rechts-Denken habt ihr erfunden!) Mir ist das wurscht, ob ein Kind von einem Linken oder von einem Rechten betreut wird, Hauptsache, es wird betreut. (Die Bundesräte Spanring und Steiner: Seit wann? Seit wann?) Das sollte unser Interesse sein, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ sowie der Bundesrä­tin Ernst-Dziedzic.)

Zu diesem Einordnen in Links und Rechts: Liebe FPÖ, hört endlich einmal auf mit eu­rem beschränkten Denken! Es geht da um Kinder und Jugendliche. Ihr seid echt tiefste Schublade!

Was ist das Problem an der 15a-Vereinbarung? (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Nein, ich gehe jetzt gar nicht auf eure blöden Zwischenrufe ein, sondern ich gehe jetzt (Bundesrat Samt: He, vorsichtig, Kollege!) – nein, nicht Vorsicht! – auf die Thematik ein, was nämlich bei dieser 15a-Vereinbarung fehlt. Es fehlt die Möglichkeit der Eva­luierung der einzelnen Bundesländer, der Evaluierung der unterschiedlichen Stan­dards. Die Kompetenzverschiebung zu den Ländern ohne einen Mechanismus, der bundesweit hohe und moderne Standards garantiert, bedeutet eben Rückschritte um Jahrzehnte.

Sehen wir uns die Standards an! Wer regelt denn in Zukunft die Standards? Wer achtet denn in der 15a-Vereinbarung auf die Standards? – Es steht nichts drinnen. Wer orga­nisiert denn die Weiterentwicklung in der 15a-Vereinbarung? – Es steht nichts drinnen.

Nun gibt es einen Entschließungsantrag der SPÖ, den wir auch gerne unterstützen. Mir wäre von Anfang an lieber gewesen, dass wir dieses Gesetz überhaupt nicht be­schließen müssten. Das ist die Enttäuschung auch von dieser Seite, denn dann bräuchten wir auch diesen Entschließungsantrag nicht. Dann hätten wir noch immer eine Weiterentwicklung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes, dieser gesam­ten Gesetzgebung. Das wäre notwendig gewesen. Das Ganze geschieht einfach nur auf dem Rücken der Kinder.

Warum ist das überhaupt passiert? Wie kam es zu dieser Idee, dass man das tun muss? – Der Bund ist nun nicht mehr bereit zu zahlen, wenn er die volle gesetzge­berische Zuständigkeit hat – da geht es eben ums Geld –, und die Länder sind nicht mehr bereit, vom Bund vorgegebene Standards zu finanzieren. Daher gibt der Bund seine Verantwortung für das Kindeswohl einfach ab, und das ist eigentlich das Er­schreckende an der ganzen Sache. Wahrscheinlich müssen wieder – und das ist der Punkt – traurige Schicksale irgendwo in den Bundesländern passieren, damit über­haupt wieder einmal ein Umdenken passiert.

Apropos: Eine blaue FPÖ-, Entschuldigung, eine BZÖ-Ministerin (Zwischenruf des Bundesrates Samt), nämlich Haubner, hat dazumal auch die ersten Anträge zum Bun­des-Kinder- und Jugendhilfegesetz eingebracht. Das habe ich eben bei der Recherche noch herausgefunden, dass das die ersten Initiativen waren, weil man da im BZÖ an­scheinend schon weiter gedacht hat als in der FPÖ (Bundesrätin Ecker: Weiß der, wo die Haubner herkommt?), dass es dort bundeseinheitliche Standards gibt. (Bundesrat Samt: Nein, das weiß er nicht! War er da schon auf der Welt?)

Das, was wir heute machen, ist leider eine traurige Geschichte. Es braucht wahr­scheinlich wieder irgendein trauriges Schicksal, damit die Politik umdenkt, damit wir wieder draufkommen, dass die Bundesländergrenzen bei der Kinder- und Jugendhilfe keine Grenzen sein dürfen.

Wir Grüne werden dieses Feigenblatt der ÖVP, der FPÖ und auch der SPÖ heute hier nicht unterstützen, weil wir der festen Meinung sind: Wir wollen bundeseinheitliche, bestmögliche Standards. Es muss egal sein, in welchem Bundesland ein Kind geboren ist. Da hilft uns auch diese 15a-Vereinbarung nicht wirklich weiter. Sie ist ein guter Schritt dorthin, aber wir hätten sie gar nicht gebraucht, wir hätten dieses Gesetz über­haupt nicht beschließen sollen. Dies ist ein trauriger Rückschritt für die Kinder und Ju­gendlichen in diesem Land, beschlossen von den Großparteien zugunsten der Landes­fürsten. (Beifall bei BundesrätInnen der SPÖ sowie der Bundesrätin Ernst-Dziedzic. – Bundesrat Rösch: ... selber klatschen!)

11.38

Vizepräsident Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersberger. Ich erteile es ihr.