9.07

Landeshauptfrau von Niederösterreich Mag. Johanna Mikl-Leitner: Sehr geschätz­ter Herr Präsident, lieber Karl Bader! Meine sehr verehrten Damen und Herren des Bundesrates! Hoher Bundesrat! Es ist für mich eine ganz große Ehre und Freude, heute hier im Bundesrat zu Gast sein zu dürfen. Ich glaube, dieses Zusammentreffen fällt, so wie der gesamte Vorsitz Niederösterreichs, in eine sehr spannende, heraus­fordernde und vor allem sehr bewegte Zeit.

Wir alle wissen, seit Mai haben wir eine Regierung ohne stabile Mehrheit im Parla­ment – eine sogenannte Übergangsregierung, eine sogenannte Beamtenregierung. Wir alle wissen auch, dass diese Übergangsregierung die einzelnen Ressorts mit großem Engagement und viel Einsatz verwaltet, aber aufgrund der fehlenden Mehrheit im Parlament natürlich nur bedingt gestalten kann.

Der Herr Präsident hat es gesagt: Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der Natio­nalratswahl – einer Nationalratswahl mit sehr vielen Emotionen, mit sehr vielen An­griffen, einer Nationalratswahl nicht ganz nach den Vorstellungen der Bevölkerung. Wir sind alle noch geprägt von dieser Nationalratswahl, aber jetzt geht es um diese Re­publik.

Wir alle wissen, dass fast fünf Millionen Österreicherinnen und Österreicher von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und fünf Parteien ins Parlament gewählt haben. Ange­sichts der laufenden Sondierungsgespräche zwischen den Parteien ist es mir wichtig, zu betonen, dass jede Partei, die im Parlament vertreten ist, eine staatspolitische Verantwortung gegenüber den Wählerinnen und Wählern und vor allem auch gegenüber der Republik hat – eine Verantwortung zur Zusammenarbeit für unser Land und vor allem über die Parteigrenzen hinweg.

In den nun laufenden Gesprächen, die sicherlich nicht einfach sind und sicherlich auch nicht einfach werden, muss meines Erachtens ganz sensibel und vor allem mit Wert­schätzung und Respekt ausgelotet werden, in welcher Form eine Zusammenarbeit stattfinden kann, auf welche Art und Weise eine Zusammenarbeit möglich ist, denn wer politische Verantwortung trägt, der muss vor allem im Sinne der Republik handeln und muss vor allem auch die Anliegen der Menschen ernst nehmen.

Dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzter Bundesrat, ist es not­wendig, nahe an den Menschen zu sein und ihre Anliegen in den Mittelpunkt zu stellen. Gerade diese Nähe zu den Menschen ist uns unglaublich wichtig. Warum sage ich das? – Weil nur Nähe Vertrauen schaffen kann; und nur wenn es Vertrauen gibt, kann man gemeinsam die Zukunft gestalten und den Weg nach vorne beschreiten. Daher kommt auch dem Motto des niederösterreichischen Vorsitzes eine ganz große Be­deutung zu, dieses Motto kommt nicht von ungefähr. „Nah an den Menschen. Bereit für die Zukunft“ – ein Motto, das uns in der politischen Arbeit immer als Leitbild, aber vor allem auch als Wegweiser dienen soll; ein Anspruch, den Sie alle als politische Ver­antwortungsträger mit Leidenschaft im Herzen tragen. Für dieses Engagement, für diese Ernsthaftigkeit, für dieses positive Denken, vor allem aber für die Bereitschaft, sich für Land und Leute und für diese Republik einzusetzen, sage ich Ihnen allen, ge­schätzte Damen und Herren des Bundesrates, ein großes und herzliches Dankeschön!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte BundesrätInnen! Wir befinden uns in einer sehr bewegten Zeit, ja, ich würde sagen, in einem historischen Zeitab­schnitt, einem der wohl turbulentesten Zeitabschnitte der österreichischen Innenpolitik. Wir alle wissen: Die Übergangsregierung ist nach wie vor im Amt, und parallel dazu müssen, wollen und sollen vor allem auch die Weichen für die Zukunft gestellt werden, es müssen Überlegungen angestellt werden, wie es weitergeht. Dessen sind wir uns auch bewusst: Vieles ist noch offen, unklar und ungewiss.

In einer derartigen Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, braucht es Institu­tionen, die für Stabilität und für Kontinuität stehen, wichtige Konstanten in unserer Re­publik wie die Bundesländer und den Bundesrat – den Bundesrat als Länderkammer, als eine unverzichtbare und weit hörbare Stimme, sei es als aktive Stimme für die Anliegen der Menschen in den unterschiedlichsten Parteien und in den unterschied­lichsten Gremien in den Ländern, Bezirken und Gemeinden, sei es als mahnende Stimme für die Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg und vor allem auch über Parteigrenzen hinweg. Gerade mit Ihrer Kompetenz, mit Ihrem Engagement und mit Ihrem Herzblut verleihen Sie dieser Stimme der Bundesländer in ganz Österreich starkes Gehör und vor allem auch eine große Stärke. Auch dafür sage ich Ihnen allen ein ganz großes und herzliches Dankeschön.

Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landeshauptleutekonferenz und der Bundesrat sind zwei starke Stimmen für Zusammenarbeit, zwei starke Säulen des föderalen Österreichs. Da ist es mir schon wichtig, zu betonen, Föderalismus bedeutet nicht: jeder für sich, jeder gegen jeden oder alle gegen einen. Föderalismus bedeutet für mich: miteinander reden, voneinander lernen und vor allem auch füreinander da sein. Genau diese Tugenden braucht es, wenn wir in Richtung Zukunft schauen, wenn wir uns mit zentralen Zukunftsthemen beschäftigen. Es gibt viele Zukunftsthemen, die uns vor allem fordern und herausfordern werden.

Ich denke da an die Digitalisierung, die wir in allen Bereichen und auf allen Ebenen spüren, sei es im privaten, aber auch im beruflichen Umfeld. Ich denke an die Aus­wirkungen des Klimawandels, bezüglich derer wir immer wieder betonen müssen: Ja, wir müssen etwas tun. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass Österreich auch schon sehr viel bewirkt hat. Zudem denke ich an die Kompetenzbereinigung zwischen Bund und Ländern.

Wenn es um die Zukunftsthemen geht, darf ich auch dem Präsidenten des Bun­desrates, Karl Bader, der hier im Rahmen seines Vorsitzes wichtige Akzente setzt, Danke sagen. Für diese Akzente bin ich dankbar, lieber Herr Präsident, weil du ein ganz wichtiges und zentrales Thema in den Mittelpunkt stellst, nämlich den Masterplan ländlicher Raum. Du bist einer, der diesen ländlichen Raum kennt, der ihn auch schon seit vielen Jahren geprägt und gestaltet hat und dem vor allem auch bewusst ist, welch wertvolle Ressourcen wir im ländlichen Raum haben. Daher sollen das Thema länd­licher Raum und dieser Masterplan ländlicher Raum den Bundesrat auch die nächsten Jahre begleiten. Jedes Bundesland soll sich auf ein Spezialthema fokussieren und sich mit diesem Spezialthema intensiv auseinandersetzen.

Niederösterreich setzt nun im Rahmen der Präsidentschaft von Karl Bader auf das Thema Dezentralisierung. Ich bin froh darüber, sehr geehrter Herr Präsident, dass du dieses Thema gewählt hast, weil wir seitens Niederösterreichs auch mit einer ganz großen Dezentralisierungsoffensive vorangehen.

Was ist diese Dezentralisierungsoffensive? – Wir haben uns in Niederösterreich dazu entschlossen und uns darauf committet, dass wir 500 Arbeitsplätze direkt aus der Verwaltung von St. Pölten in die ländlichen Regionen verlagern. Jetzt kann sich der eine oder andere fragen, warum. – Und ich sage Ihnen nur: Die Antwort liegt ganz klar auf der Hand. Wir schaffen mit der Verlagerung von 500 Arbeitsplätzen aus St. Pölten Arbeitsplätze in den Regionen; wir machen es dadurch möglich, dass Bürgerinnen und Bürger weniger Zeit und weniger Kilometer in Kauf nehmen müssen, wenn sie ein Anliegen haben. Wir sehen vor allem auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davon profitieren, dass sie einen wohnortnahen Arbeitsplatz haben.

Das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger und zentraler Beitrag zur Stärkung der ländlichen Region und vor allem auch ein ganz wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit, denn gemeinsam wollen und müssen wir darauf schauen, dass der ländliche Raum keine Region zum Wegziehen, sondern ein Platz zum Bleiben ist. Damit der ländliche Raum auch weiterhin attraktiv bleibt, braucht es aber noch mehr: Es braucht auf jeden Fall die Sicherung der ärztlichen Versorgung – im stationären Bereich, vor allem aber auch im niedergelassenen Bereich. Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade in diesem Bereich eine der größten Herausforderungen vor uns liegt.

Lassen Sie mich das am Beispiel Niederösterreichs festmachen: Schon jetzt umfasst der Bereich Gesundheit, Soziales und Pflege 4,5 Milliarden Euro unseres Budgets, also fast die Hälfte unseres Budgets wird für Gesundheit, Pflege und Soziales auf­gewendet. Wir alle wissen: Die Ausgaben dafür werden nicht weniger, sondern die Ausgaben werden aufgrund verschiedener Ursachen steigen. Ich schaue so in die Runde und sehe die Verantwortungsträger der einzelnen Bundesländer – und ich weiß, dass das auch in den anderen Bundesländern nicht anders gelagert ist und dass es sich in einer ähnlichen Dimension bewegt.

Wir in Niederösterreich nehmen diese Herausforderung an und setzen auch ganz kon­krete Maßnahmen. An vorderster Stelle arbeiten wir an der größten Strukturreform, die es in Niederösterreich jemals gegeben hat. Wir arbeiten an einer Gesundheitsagentur, wir arbeiten an unserer Landesgesundheitsagentur, womit wir in Zukunft Gesundheit und Pflege unter ein gemeinsames Dach stellen und unter diesem gemeinsamen Dach managen, planen und steuern wollen. Das heißt, wir wollen unsere 27 Kliniken, unsere 28 Pflege- und Betreuungszentren und unsere zwei Pflege- und Förderzentren unter einem Dach vereinen. Unter diesem Dach werden dann an die 27 000 Beschäftigten arbeiten – 27 000 Beschäftigte, die sich rund um die Uhr um Pflege und Gesundheit der niederösterreichischen Landsleute kümmern.

Wir wollen vor allem in der Verwaltung sparen und wir wollen vor allem in der Versor­gung gewinnen. Wir wollen, dass noch mehr Pflege- und Gesundheitsmaßnahmen bei den niederösterreichischen Landsleuten ankommen. Wenn wir aber von Versorgung sprechen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann ist mir schon bewusst: Es gibt diesbezüglich noch viel mehr zu tun.

Ein Problemfeld möchte ich hier im Bundesrat offen ansprechen, nämlich das Thema Ärztemangel. Sie alle spüren es, wenn Sie draußen vor Ort unterwegs sind, immer wieder werden wir darauf angesprochen: die Sorge, dass der praktische Arzt nicht nachbesetzt werden könnte, die Sorge, dass vielleicht ein Fachmediziner nicht nach­besetzt werden könnte. Tag für Tag werden wir mit dieser Sorge und mit diesem Thema konfrontiert, und das ist auch richtig so. Die Menschen haben dafür ein sehr gutes Gefühl, und die Zahlen, Daten und Fakten zeigen es auch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzter Bundesrat! In Österreich wer­den Jahr für Jahr weniger Mediziner ausgebildet, als benötigt werden. Lassen Sie mich das auch mit einigen Zahlen unterlegen: Noch vor 20 Jahren gab es allein in Wien 2 000 Medizinstudienplätze, heute sind es an allen Universitäten in Wien, Linz, Graz und Innsbruck 1 680 Studienplätze. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass 25 Prozent der Studienplätze für Nicht-Österreicher reserviert sind, bleiben 1 260 Stu­dien­plätze für unsere Jugend, für die Österreicherinnen und Österreicher. 1 260 sind es heute, während es im Vergleich dazu vor 20 Jahren allein in Wien 2 000 waren.

Wenn man dann auch noch vor Augen hat, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre etwa 50 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Pension gehen, und wenn man vor allem auch an die demografische Entwicklung denkt, dann erkennt man, dass es da Handlungsbedarf gibt. Deshalb werden wir mit der Forderung nach einer Verdoppelung der Medizinstudienplätze nicht lockerlassen, wir werden auf dieser Forderung drauf­bleiben. Damit selbstverständlich auch die Qualität in der Ausbildung erhalten bleibt – dessen sind wir uns natürlich bewusst –, braucht es mehr Geld für die Universitäten, mehr Geld für die Medizinstudierenden, mehr Geld für die Erhöhung der Zahl und vor allem für die Qualitätserhaltung.

Mir ist bewusst, dass diese Maßnahme allein das Gesamtproblem des Ärztemangels nicht lösen wird, aber es ist auf alle Fälle ein Problem, bei dem es rasch zu handeln gilt, bei dem wir rasch Taten setzen müssen, denn wir wissen, wie lange die Aus­bildung eines Arztes, eines Mediziners dauert. Wir brauchen diese Ärzte, wir brauchen sie, um den Menschen eine bestmögliche Versorgung garantieren zu können. Genau das muss unser gemeinsames Ziel sein, und diesem Ziel muss vor allem auch unsere gemeinsame Kraftanstrengung gehören, zum Wohle unserer Landsleute und zum Wohle unseres Landes. Es ist mir bewusst, dass es vor allem auch da die Unter­stüt­zung des Bundesrates braucht.

Sie sehen also, die Herausforderungen sind vielfältig, wenn wir an die Stärkung des ländlichen Raumes, an die Sicherung der Gesundheitsvorsorge, an die Sicherung des Pflege- und Betreuungsangebotes oder an die Schaffung von Arbeitsplätzen denken.

Unsere Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist klar: nahe dran zu sein an den Anliegen der Menschen und vor allem die Anliegen der Menschen ernst zu nehmen und sie ins Zentrum unserer politischen Arbeit zu stellen – im Bund, im Land und in den Gemeinden, im Nationalrat, im Bundesrat, im Landtag und in den Gemein­deräten. Alle Ebenen sind gleichermaßen wichtig und alle Ebenen sind gleichermaßen gefordert. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf es gerade in einer so entscheidenden Phase nicht zu einem Gegeneinander kommen, sondern es muss bei einem Miteinander bleiben. Wir müssen die Zusammenarbeit hochhalten, wir müssen miteinander reden, voneinander lernen und vor allem auch füreinander da sein. Nur so werden wir Österreich, unsere Länder, unsere Regionen und unsere Ge­meinden auch erfolgreich in die Zukunft führen können.

Ich freue mich, meine sehr verehrten Damen und Herren des Bundesrates, auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit, auf eine gute Zusammenarbeit mit der Bundes­regie­rung, auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit dem Nationalrat, mit dem Bundesrat, mit den Gemeinderäten, im Sinne der Bevölkerung, im Sinne der Republik und im Sinne der Länder.

Ich darf mich bei Ihnen für die Einladung in den Bundesrat herzlich bedanken, allen voran beim Präsidenten – Gratulation zu deiner professionellen und vorbildlichen Prä­sidentschaft! –, darf mich bei Ihnen für Ihr großartiges Engagement bedanken und wünsche Ihnen und uns allen für die Zukunft, für die Herausforderungen, die vor uns liegen, alles Liebe, alles Gute und ein herzliches Glückauf! (Allgemeiner Beifall.)

9.26

Präsident Karl Bader: Sehr geehrte Landeshauptfrau, ich danke dir sehr herzlich für deine Ausführungen und ich freue mich auch außerordentlich, dass wir in einem gut gelebten Miteinander, wie wir es in Niederösterreich kennen, für den Vorsitz im Bun­desrat in diesem halben Jahr und in der Landeshauptleutekonferenz ein gemeinsames Motto gewählt haben und dadurch auch zum Ausdruck bringen, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei Bun­desrätInnen der FPÖ.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Martin Preineder. Ich erteile dieses.