15.12

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geschätzte Frau Bundesministerin! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Zuerst ein Danke an das Präsidium, dass Sie meiner Anregung betreffend eine Gedenkminute für Halle auf­grund der Vorgänge und Morde dort gefolgt sind. Ich glaube, das war wichtig und das war jetzt auch der richtige Zeitpunkt.

Was wir hier vor uns haben, ist ein Antrag, der im Gedenkjahr 2018 eingebracht wurde; dann gab es drei Fristsetzungsanträge – und nichts bewegte sich. Jetzt können wir sowohl als Symbol wie auch aus einer moralischen Verpflichtung rechtzeitig, bevor es eine neue Bundesregierung gibt und alles unter Umständen noch einmal verlängert wird, hier ein Signal setzen und die vorgeschlagene Änderung des Staatsbürger­schafts­gesetzes bewirken. Diese bedeutet viel für Menschen, die vor 1938 zur Flucht aufbrechen mussten, und für Menschen, die zwischen 1945 und 1955 zur Flucht auf­brechen mussten oder nicht zurückkehren konnten – immerhin wurde zum Beispiel mehr als ein Drittel aller Wiener Apotheken arisiert. Jetzt kann ich Sie fragen: Wie viele Apotheken wurden seit 1945 bis heute zurückgegeben? – Ein Promille! Das heißt, für viele Leute war die Existenzgrundlage nach 1945 zerstört.

Und dann gibt es jene, die das unfassbare und für uns nie verständliche Leid erlebt haben, die letzten Zeitzeugen – ein berühmter und wichtiger aus Salzburg, der auch im Parlament gesprochen hat, ist vor Kurzem gestorben –, und auch sie konnten sich unter diesen Verhältnissen nicht zurechtfinden und mussten gehen. Das Wichtige an dieser Gesetzesänderung ist deswegen, dass sie nicht nur die unmittelbaren Nach­kommen betrifft, sondern auch jene, die an Kindes statt angenommen wurden. Das betrifft Staatsbürger und ehemalige Bewohner der gesamten Doppelmonarchie, aller­dings mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet von Österreich.

Ich glaube, es ist ein sehr, sehr wichtiger Schritt, den wir hier setzen, denn eines darf man nicht vergessen: dass viele jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen durch die Nürnberger Rassengesetze ihre Staatsbürgerschaft verloren haben.

Bundeskanzler Vranitzky ist heute – das ist erfreulich – schon von verschiedenen Fraktionen angesprochen worden. Er hatte die Größe – wie zuvor Willy Brandt –, zu sagen, wir müssen aufhören mit der Geschichte, dass wir das erste Opfer waren. – Nein, wir waren Opfer wie Mitläufer, aber gerade, was den Holocaust betrifft, waren Österreicher an vorderster Front. Dieses Eingeständnis ist wichtig, und deshalb ist es auch wichtig, dass wir heute diesen Schritt setzen.

Ich darf nur an die großartige Initiative erinnern, Porträts von Holocaustüberlebenden an der Ringstraße zu platzieren. Diese wurden aber immer und immer wieder ver­wüstet, Nachtwachen mussten gebildet werden, und Jugendorganisationen haben Tag und Nacht die Bilder der Holocaustüberlebenden beschützt. In welchem Klima leben wir?

Jetzt stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Zwischen 1945 und 1955 hat die Entnazifizierung in vielen Bereichen noch überhaupt keine Früchte getragen, nicht in den Schulen, nicht im Justizwesen – weil der Herr Justizminister gerade gekommen ist. Zwischen 1945 und 1955 war der österreichische Staat ja noch vielfach eher blind und hat die Entnazifizierung nicht in der Form weiterverfolgt.

Heute kann man in jedes Bundesland gehen, in dem jüdische Friedhöfe sind: Jedes Jahr gibt es Schändungen von jüdischen Friedhöfen – ob im Burgenland, ob in Wien, wo auch immer. Das heißt, in Europa hat wieder ein Klima des Antisemitismus Einzug gehalten. Der Europarat hat darüber auch einen Bericht gemacht, der aussagt, wie schrecklich das ist, und in dem Fall ist, glaube ich, gerade so ein symbolischer Akt richtig.

Zur Südtiroldebatte: Mein Familienname sagt aus, dass wir, obwohl wir in Nordtirol leben, irgendwann nicht dort gelebt haben. Wenn man das Ch am Ende streicht, kommt Schenna heraus, und Schenna ist eine Ortschaft in Südtirol bei Dorf Tirol.

Ich bin sehr vertraut mit der Situation in Südtirol. – Herr Ofner, Sie wissen, dass es einen Brief aus Südtirol gegeben hat, den eine Minderheit unterstützt hat, keine einzige maßgebliche Persönlichkeit. Sie können dieses Südtirolgesetz beschließen, nur zerstört es eine sehr gute Beziehung und sehr gute diplomatische Kontakte. Das Süd­tirolpaket hat dem Land sehr viel gebracht, in jeder Richtung. Es hat auch zu einem Zusammenleben geführt, das man durch den Versuch, mit verschiedenen Staats­bürgerschaften irgendeinen Revanchismus hervorzurufen, nicht zerstören darf. (Zwi­schenruf des Bundesrates Spanring.)

Ich kenne aktuell – außer in irgendwelchen nationalistischen Sekten – in Südtirol nie­manden, der eine österreichische Staatsbürgerschaft möchte; die sind alle sehr glück­lich damit, wie es ist. (Bundesrat Steiner: Weil du nur linke Freunde hast in Südtirol!)

Ach Gott! Lieber Herr Steiner (Bundesrat Steiner: Na, also ich bin ... Tirol!), wir reden jetzt zum Beispiel über die Opfer des Nationalsozialismus. (Bundesrat Steiner: Darü­ber haben wir jetzt nicht geredet!) Da wäre ich an deiner Stelle ein bisschen leiser, denn du bist persönlich dafür verantwortlich, dass in deiner Ortschaft kein zweiter Stolperstein zur Erinnerung verlegt wurde, nachdem der erste Stolperstein, also ein Erinnerungsstein, installiert worden ist. (Bundesrat Steiner: Jetzt verwechselst du etwas! Du verwechselst etwas!) – Nein, ich verwechsle nichts! Du weißt, was da war, und das ist nicht gut. (Bundesrat Steiner: Ich und die ÖVP! Ich und die ÖVP haben das verhindert!)

Das heißt, wir müssen die Erinnerungskultur leben, wir müssen die gute Nachbarschaft mit Südtirol leben. Wir brauchen keinen Revanchismus, aber wir brauchen gerade in einer Zeit, in der unsere jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen so behandelt werden, Moral (Bundesrat Spanring: Ihr seid ja moralisch so überlegen!) und symbolische Gesten. (Bundesrat Steiner: Danke für den Vortrag, Herr Professor!) – Danke. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Spanring: Das ist moralische Überheblichkeit!)

15.20