15.58

Bundesministerin im Bundeskanzleramt Mag. Ines Stilling, betraut mit der Leitung der zum Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes gehörenden Angele­genheiten für Frauen, Familien und Jugend: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesrätinnen und Bun­desräte! Ich möchte zu den Zahlen und den dramatischen Auswirkungen, die Gewalt gegen Frauen in Österreich hat, noch eine hinzufügen, auch wenn die Frau Bun­desrätin schon einige genannt hat. Die europäische Prävalenzstudie aus 2014 hat für Österreich als ein Ergebnis gebracht, dass 5 Prozent aller befragten Frauen in den vorangegangenen zwölf Monaten von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen waren. Das heißt nichts anderes, als dass in Österreich alle 3 Minuten eine Frau oder ein Mädchen Opfer von Gewalt wird.

Wenn wir die schockierenden Ereignisse nicht nur in Kitzbühel – ich erinnere auch an jene vor einigen Wochen in Kärnten, und nahezu täglich lesen wir von Gewalt gegen Frauen und Kinder – vor unseren Augen haben und sie in unseren Erinnerungen nachhallen, können und dürfen wir nicht vergessen, dass diese Frauen und ihre Kinder Unterstützung durch Anlaufstellen, Beratung und Begleitung brauchen, bis hin natürlich auch zur Prozessbegleitung in den entsprechenden Gerichtsverfahren, sofern welche zustande kommen.

Ich habe in den paar Monaten, seit ich der Bundesregierung angehören darf, zahllose Gespräche mit den Interventionsstellen, den Gewaltschutzzentren, mit Frauen- und Mädchenberatungsstellen und mit Betroffenen geführt. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn jemand in diesem Land darüber Bescheid weiß, was Frauen und Opfer wirklich brauchen, um nachhaltig vor Gewalt geschützt zu werden, dann sind es diese Einrichtungen und die Betroffenen selbst. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass unabhängig von einer Taskforce, die zur Erarbeitung von Maßnahmen aus meiner Sicht immer zu begrüßen ist, auch bei der Umsetzung und Implementierung von Maßnahmen die Stimmen dieser Einrichtungen immer zu hören sind.

Zum Gewaltschutzpaket, das Ende September im Nationalrat diskutiert und be­schlossen wurde und nun auch zur Diskussion vor Ihnen liegt, möchte ich einige Dinge ergänzen, die noch nicht so ausgeführt worden sind. Positiv aus meiner Sicht ist, dass zum Beispiel die explizite Nennung von weiblicher Genitalverstümmelung als schwere Körperverletzung nun in diesem Gewaltschutzpaket vorliegt. Diese Maßnahme begrüße ich ausdrücklich.

Auch der bereits erwähnte grundsätzlich stärkere Fokus auf die Beratung von Gefähr­dern ist ein erster wichtiger Schritt. Nichtsdestotrotz gab es, wie schon erwähnt, viele kritische Stellungnahmen von den Expertinnen und Experten aus den Bereichen Opferschutz und Gewaltprävention, und einige dieser Anregungen möchte ich auch Ihnen in dieser Debatte näherbringen, wie ich sie auch schon vor den Damen und Herren Abgeordneten des Nationalrates und in der Besprechung, die wir dankenswerterweise im Justizministerium mit den Justizsprecherinnen und -sprechern haben durften, ausgeführt habe.

Die Beratung von Gefährdern ist aus meiner Sicht ein erster wichtiger Schritt für eine Veränderung, aber die nun im Gesetz vorgesehene Gefährderberatung ist eine punk­tuelle kurze Intervention. Eine opferschutzorientierte Täterarbeit ist etwas ganz ande­res. Es ist eine längerfristige Beratung und Begleitung des Täters, eines verurteilten Täters, nicht bloß eines Gefährders, die zu einer nachhaltigen Veränderung seines Verhaltens beitragen soll.

Die Gefährderberatung ist aus meiner Sicht ein erster positiver Schritt, für eine um­fassende Täterarbeit braucht es aber einen viel größeren, gesamtheitlichen Ansatz und deutlich mehr Mittel sowohl in der Täterarbeit als auch im Opferschutz, da diese Dinge Hand in Hand gehen müssen.

Auch betreffend die Bannmeile, die mit dem nun vorliegenden Paket eingeführt werden soll und einen gewissen Bereich der Betretungsverbote ersetzen soll, habe ich – wie bereits im Nationalrat ausgeführt – gewisse kritische Bedenken.

Ich möchte Ihnen diese anhand eines Beispiels erklären. Die bisherige Regelung sieht vor, wenn ein Gewalttäter in einer Familie Gewalt ausgeübt hat – wir sprechen also von familiärer Gewalt – und auch Kinder betroffen waren, dann konnten diese Kinder in den Schulen und Kindergärten durch ein Betretungsverbot geschützt werden.

Was hat das bedeutet? Das ist ein bisschen ein technischer Begriff. Es bedeutet nichts anderes, als dass der Schulwart, die Schuldirektorin, die Kindergartenleiterin die Poli­zei informieren konnte, sobald der Gefährder, der Täter vor dieser Einrichtung sichtbar war. Die Polizei konnte einschreiten, bevor sich das Kind mit seiner Mutter dieser Einrichtung überhaupt genähert hat. Die Polizei konnte einschreiten und den Täter von diesem aus unserer Sicht und, ich glaube, auch aus ihrer Sicht durchaus schutz­würdigen Ort entfernen und so dem Kind einen sicheren Schul- oder Kindergarten­besuch ermöglichen.

Die Bannmeile, die nun eingeführt wird, ist an sich eine sehr sinnvolle und gute Idee. Die Vorstellung, dass ein Opfer den Schutz immer mit sich tragen kann, ist eine schöne, die ich durchaus mit Ihnen teilen kann. Wenn diese aber die Betretungs­verbote ersetzt, so wie es derzeit vorgesehen ist, führt das dazu, dass der Schulwart, die Direktorin, die Kindergartenleiterin nicht mehr die Polizei verständigen kann, wenn der Täter einfach in der Früh zum Beispiel vor dem Kindergarten steht. Vielmehr muss die Kindergartenleiterin warten, bis sich die Mutter und das Kind dem Kindergarten auf 100 Meter annähern. Erst dann kann sie die Polizei verständigen, erst dann kann die Polizei anrücken und einschreiten. Zu dieser Zeit besteht aber bereits eine akute Gefährdung für die Frau und dieses Kind oder sie kann entstehen. Daher wäre aus meiner Sicht nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch sinnvoll gewesen.

Ein aus meiner Sicht weiterer ganz zentraler Punkt, um nachhaltigen Opferschutz ge­währleisten zu können, ist die Datenübermittlung, welche die essenzielle und bisher hervorragend funktionierende Zusammenarbeit zwischen Exekutive, den Einrichtungen des Opferschutzes und den Einrichtungen der Täterarbeit ausgemacht hat. In diesem Bereich braucht es eine entsprechende Datenübermittlung, damit alle dieselben Infor­mationen haben und auch das Risiko einschätzen können. Mit dem nun vorliegenden Beschluss, der hier heute diskutiert wird, ist nicht gerade ein Beitrag zur Klarheit der Datenübermittlung, was wem übermittelt werden darf, geleistet worden. Dazu hätte ich mir noch die eine oder andere Verbesserung gewünscht.

Nun: Ich gehe davon aus, dass dieser Beschluss heute hier die Mehrheit finden wird (Bundesrat Stögmüller: Leider! Leider!) – dazu habe ich keinen Beitrag zu leisten, ich bin hier nicht stimmberechtigt –, allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass wir alle gemeinsam, Sie als Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer, wir auf Regie­rungsseite, einen Blick darauf haben sollten, wie diese neuen Regelungen umgesetzt werden, wie sie sich in der Praxis auswirken. Ich kann hier nur appellieren, dass wir, auch wenn es um die Umsetzung dieser Regelungen ab Jänner geht, die Opferschutz­ein­rich­tungen, die Täterberatungseinrichtungen, die Männerberatungseinrichtungen nicht ungehört lassen.

Sobald es zu Verschlechterungen für Opfer kommt, denke ich, sind wir alle auf­gefordert, die entsprechenden Adaptierungen vorzunehmen. Da appelliere ich auch an Sie als Bundesrätinnen und Bundesräte.

Darüber hinaus – auch weil Sie, Frau Bundesrätin, es schon angesprochen haben – kann ich das Thema der Übergangswohnungen erwähnen. Sie sind eine ganz wesent­liche ergänzende und flankierende Maßnahme, ebenso wie zum Beispiel Plätze in den Frauenhäusern, die es leider nicht in allen Bundesländern in ausreichendem Ausmaß gibt. Das alles sind Zuständigkeiten und Kompetenzen der Bundesländer, und ich kann nur hoffen, dass ich gemeinsam mit Ihnen weitere Stärkungen und Verbesserungen – gemeinsam Bund, Länder und Gemeinden – für alle Opfer in diesem Land erreichen kann. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der BundesrätInnen Ernst-Dziedzic und Stögmüller.)

16.05

Vizepräsident Hubert Koller, MA: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Vize­kanzler Bundesminister DDr. Clemens Jabloner. Ich erteile ihm dieses.