9.21

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher, vor allen Dingen liebe Schülerinnen und Schüler! Lassen Sie mich zual­lererst in der letzten Bundesratssitzung 2019 im Namen der sozialdemokratischen Fraktion im Bundesrat allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Parlaments und der Klubs ganz herzlich für ihre Arbeit danken. Ohne sie wäre unsere Arbeit im Parlament nicht so gut und nicht so gut möglich. – Vielen, vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf nun zum Thema der Aktuellen Stunde kommen und meinem Erstaunen über die Themenwahl der Aktuellen Stunde ein bissl Ausdruck verleihen, denn wir wissen ja, dass derzeit eigentlich noch keine definierten wirtschaftspolitischen Ziele und Strate­gien der neuen Kommission vorliegen. Bisher wurde nur der Green New Deal in Reden von der Leyens vorgestellt, aber es gibt noch keine konkreten Vorschläge für seine Ausgestaltung. Als oberstes Ziel der EU-Kommission ist die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen bis 2050 festgelegt. Alle EU-Staaten sollen bis 2050 klimaneutral werden. Dazu sind jährliche Zusatzinvestitionen von 260 Milliarden Euro notwendig.

Etappenziele wie zum Beispiel die Erarbeitung aktualisierter Klimapläne der Mitglied­staaten bis 2023 wurden genannt. Umgesetzt werden soll auch – das ist wirklich ganz wichtig, das ist eine Kernforderung der europäischen Gewerkschaften – der Just Tran­sition Fund, ein Unterstützungsprogramm für besonders vom Klimawandel betroffene Länder für die Abschaffung fossiler Brennstoffe. Das sind in erster Linie osteuropäische Länder; dieser Fonds ist mit 100 Milliarden Euro dotiert.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist der Klimaschutz ein ganz wesentliches und prioritäres Anliegen, aber wirkungsvolle Klimapolitik muss soziale Fragen beachten und ein gutes Leben für alle – für die Menschen in Europa und für die Menschen in Österreich – ermöglichen. Es muss klar sein, dass die Auswirkungen der geplanten Veränderungen besonders für die Beschäftigten in den einzelnen Sektoren nicht untersucht sind. Es fehlen Beschreibungen der Maßnahmen, die getroffen wer­den müssen, um den negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten entgegenzu­wir­ken.

Da geht es um das Recht und die Möglichkeit zur Qualifizierung für neue Technologien bei Arbeitsverlust, die massive Bereitstellung von Arbeitsstiftungen, einen Zukunfts­fonds für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um eine Abfederung von regionalen Beschäftigungseinbrüchen zu ermöglichen. Es ist davon auszugehen, dass manche Branchen besonders betroffen sein werden. Zur Stärkung und Weiterentwicklung des Industriestandorts Österreich fordern wir im Rahmen der geplanten Dekarbonisierung Maßnahmen, die die betroffenen Branchen bei diesem Umbau hin zu neuen, klima­freundlichen Produktionen und Produkten begleiten, und das natürlich unter Einbin­dung der Betriebsräte und Betriebsrätinnen.

Grundsätzlich wäre es notwendig und sinnvoll, diesen Wandel, der ein großer und nicht einfacher ist, im Interesse aller sozialpartnerschaftlich zu gestalten. Wir wollen, dass in dem Veränderungsprozess niemand zurückgelassen wird. Ein gutes Leben für alle, das ist unser Ziel. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern ein Klima­schutzinvestitionspaket in der Höhe von zusätzlich 1 Milliarde Euro pro Jahr für die nächsten zehn Jahre. Gute Arbeit und gute Lebensbedingungen sind unser Ziel, neue Arbeitsplätze müssen geschaffen werden, und das bedarf wesentlicher Investitionen.

Leistbare Energie ist auch ein ganz wichtiger Punkt, denn Klimaschutz muss auch in seinen sozialen Auswirkungen betrachtet werden. Wenn sich ein Pensionist das Heizen nicht mehr leisten kann, dann sind wir auf dem falschen Weg, und wenn die Allein­erzieherin keinen anderen Ausweg sieht, als den Kindern in der Wohnung Winter­jacken anzuziehen (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das passiert in Wien jetzt schon!), weil sie es sich nicht leisten kann, die Wohnung ausreichend zu wärmen, dann gilt es, dringend zu handeln. Heizen darf nicht noch teurer werden.

Wenn man jeden Euro zweimal umdrehen muss, wie soll man dann daran denken, seine alten Elektrogeräte gegen neue, energiesparende umzutauschen, oder gar darüber nachdenken, seine Heizung zu erneuern? – Die Lebenssituationen der Men­schen müssen gesehen werden, und da gilt es, zu unterstützen. Die notwendige ther­mische Sanierung von Gebäuden und der Ausstieg aus fossilen Heizsystemen müssen von der öffentlichen Hand ganz wesentlich mitgetragen werden. Wir wollen keine Zwei­klassenenergiegesellschaft.

Es wird auch keine Lösung der Klimakrise ohne eine tief greifende Veränderung der Verkehrssysteme geben. Die Stärkung und der intensive Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind besonders im ländlichen Raum, den wir fördern wollen, vorrangig. Wenn in einer Gegend ein Bus nur zweimal am Tag und in den Ferien gar nicht fährt, dann bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als auf das Auto auszuweichen. Wie sollen sie denn sonst zur Arbeit, zum Einkaufen kommen?

Letzte Woche, und das ist sehr positiv zu sehen, wurde der neue Schienenfahrplan für die Ostregion für die kommenden 15 Jahre präsentiert. Er kann sich sehen lassen. Besonders hervorzuheben ist aber unsere Bundeshauptstadt Wien mit ihrem öffent­lichen Verkehrsangebot. 966 Millionen Fahrgäste nützen jährlich das Angebot der Wie­ner Linien. Wien verfügt über eines der effizientesten und am besten vernetzten Ver­kehrs­systeme der Welt, und das zu einem sehr günstigen Preis. Doch auch da gibt es keinen Stillstand, der Ausbau des öffentlichen Netzes in Wien geht zügig weiter.

Am 28.11., wenige Tage vor Beginn des UNO-Gipfels, erklärte das EU-Parlament den Klimanotstand für die Union. Es war schon sehr erschreckend, dass bis auf Othmar Karas alle EU-Parlamentarier der ÖVP gegen diese wichtige Resolution gestimmt haben. Das ist nicht wirklich nachvollziehbar. Der Klimaschutz für die wirtschaftliche Entwicklung ist aber bei Weitem nicht die einzige Herausforderung. Wir wollen keine Politik für Lobbyisten und Konzerne. Es gilt, Internetkonzerne in ihrer steigenden Marktmacht und Marktkonzentration zu zähmen, auch und ganz besonders im Inter­esse der heimischen und regionalen Wirtschaft. Steueroasen für Konzerne müssen endlich geschlossen werden, Konzerne müssen dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne machen. Dass jeder Würstelstand mehr Steuern als ein Großkonzern zahlt, ist unerträglich und kein Zustand.

Die Auswirkungen der Digitalisierung müssen beachtet und die digitalen Entwicklungen gestaltet werden. Der digitale Wandel findet unaufhaltsam statt, wir sind mittendrin. Es gilt, ihn auf der einen Seite nicht realitätsfern grundsätzlich zu verteufeln, aber es sei auf der anderen Seite auch vor all jenen gewarnt, die in dieser Entwicklung einzig und allein eine große Chance sehen. Das nehmen die Menschen nicht so wahr und es entspricht auch nicht der Realität.

Roboterisierung der Produktion, das Verschwinden von Berufen, voranschreitende Computerisierung in allen Bereichen, oft auf Kosten von Arbeitsplätzen: Die Digita­lisie­rung muss in einem klugen Zusammenspiel verschiedenster Elemente gestaltet wer­den. Es ist höchste Zeit, dagegen anzukämpfen, dass die ArbeitnehmerInnenrechte in der digitalen Arbeitswelt unter die Räder kommen. Die letzte Regierung hat keine Schritte gesetzt, um die ArbeitnehmerInnen da zu schützen oder ihr Leben zu erleichtern. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind die Anliegen der Beschäftigten wichtig. Wir werden sicher niemanden zurücklassen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein weiteres Thema ist natürlich auch die Frage des Wirtschaftswachstums. Die Oesterreichische Nationalbank hat letzten Freitag ein deutlich schwächeres Wachstum für die heimische Wirtschaft vorausgesagt. Für 2020 rechnet die Notenbank mit einem Wachstum von nur noch 1,1 Prozent – das sind um 0,5 Prozentpunkte weniger als noch bei der Prognose von vor einem Jahr. Es braucht mehr Spielraum, auch für kurzfristige Investitionen auf europäischer Ebene, um dem Konjunkturabschwung ent­gegenzuwirken. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat Investitionen der öffent­lichen Hand drastisch beschnitten. Gerade die öffentlichen Investitionen in Schulen, in Infrastruktur, auch in digitale Infrastruktur sind jedoch mehr als notwendig, auch für die künftigen Generationen.

Es gibt noch viele Herausforderungen: die Frage der Pflege in einer älter werdenden Gesellschaft, eines würdigen Älterwerdens, eines gut betreuten Älterwerdens; die Frage des Genderpaygaps von fast 20 Prozent; auch die Frauen in ihren Anliegen wollen wir auf keinen Fall zurücklassen. Gerade angesichts all der Entwicklungen und Veränderungen warnen wir eindringlich davor, den Sozialstaat zurückzudrängen oder zu beschädigen. Der Sozialstaat ist das Vermögen und die Absicherung jener Men­schen, die nicht so viel im Geldbörsel haben. Unser Ziel ist es, die Systeme der sozia­len Sicherheit zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Wir lassen niemanden zurück. Uns sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wichtig, und wir werden uns immer für sie einsetzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zuletzt ist es mir aber noch wichtig, mich beim scheidenden Präsidenten ganz herzlich für die Zusammenarbeit zu bedanken. Dem neuen Präsidenten wünschen wir alles Gute. Stellen wir das Gemeinsame vor das Trennende! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

9.31

Präsident Karl Bader: Vielen herzlichen Dank.

Ich erteile als Nächstem Bundesrat Mag. Christian Buchmann das Wort. – Bitte.