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Bundesrat Silvester Gfrerer (ÖVP, Salzburg): Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren auf der Galerie und zu Hause vor den Bildschirmen! Ich möchte mich eingangs bei der FPÖ-Fraktion bedanken. (Bundesrat Schennach: In alter Freundschaft! – Bundesrat Steiner: Bitte gerne!), sie hat am Dienstag im Ausschuss dem Antrag betreffend diesen Bericht zugestimmt und so eigentlich die Behandlung und Diskussion hier im Plenum und im Hohen Haus ermöglicht. – Vielen Dank dafür!

Ich habe während des letzten Sommers und Jahres so oft wie noch nie die Frage ge­stellt bekommen: Wie geht es mit dem Wolf? Wie geht’s dir? Als betroffener Almbauer, als in Salzburg für die Almwirtschaft Verantwortlicher und auch als Bundesrat muss ich ganz ehrlich sagen: Mit diesem Thema geht es mir wirklich nicht sehr gut, und zwar aus zwei, drei Gründen. Wenn ich einen kurzen Rückblick auf das letzte Almjahr auf unserer Alm im Großarltal im Land Salzburg und eine Vorausschau auf den Som­mer 2020 – in fünf Monaten sollte die Weide- und Almsaison schon wieder beginnen – machen darf: Es gibt eigentlich nicht nur in unserer Region, sondern in ganz Österreich, in allen Bundesländern, große Sorge, Angst und Unsicherheit, wie es bei diesem Thema weitergeht, wie wir unsere eigentlich nachhaltige Landwirtschaft weiter­hin betreiben sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte unsere Alm ein wenig vorstellen und ein paar Ereignisse schildern, die zeigen, wie es uns im letzten Sommer ergangen ist: Wir bewirtschaften eine Alm – wir deshalb, weil wir eine Agrargemeinschaft von drei Grundbesitzern sind – mit einer Flächenausstattung von 650 Hektar. 40 Bauern treiben auf unsere Alm auf und überlassen uns ihr Vieh über den Sommer zur Betreuung. Aufgrund der Topografie haben wir jedes Jahr im Frühjahr 39 Kilometer Zaun zu errichten, im Herbst wieder abzubauen und im folgenden Frühjahr wiederum neu aufzustellen. Die Fläche ist in 22 Koppeln unterteilt, auf denen wir der Vegetation entsprechend zwischen 1 300 und 2 400 Metern Seehöhe Weidewirtschaft betreiben. Zusätzlich sind noch zehn Pferde und 130 Schafe oben.

Warum betreiben wir überhaupt Almwirtschaft? – Weil wir sie von den Eltern und Großeltern übernehmen durften, weil es eine traditionelle Bewirtschaftungsmöglichkeit in einem nachhaltigen Naturkreislauf ist, bei der keine Dünger ausgebracht werden, bei der kein Kraftfutter verwendet wird und bei der die Tiere die Flächen abweiden und so vor Verbuschung, vor Erosion schützen, und weil das Erholungsräume für Mensch und Tier sind.

Das Tierwohl spielt für uns eine ganz wesentliche Rolle. Für Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde gibt es speziell in der Jugend nichts Besseres und Gesünderes, als ein, zwei Jahre auf einer Alm zu sömmern. Natürlich dient die Almwirtschaft aber auch der Futterentlastung der Heimbetriebe, das heißt, würden wir sie in unserer kleinstruk­turierten Landwirtschaft nicht in dieser Form betreiben, könnten wir nur zwei Drittel der Tiere halten, weil die Almwirtschaft eine Futtergrundlage ist und wir dadurch mehr Heimfutter ernten können.

Begonnen haben die Ereignisse auf der Tofernalm in Großarl. Am 24. Juni war der Schafauftrieb, zwei Tage später der erste Wolfsriss. Es hat sich gesteigert: zwei Risse, drei Risse, vier Risse, und am 11. Juli dieses Sommers sieben Risse auf einmal. Da haben wir uns mit den Schafbesitzern zusammengesetzt und gesagt: Das Tierleid halten wir nicht mehr aus, das schaffen wir nicht mehr; die Tiere müssen nach drei Wochen Almbeweidung wieder in die Heimbetriebe zurückgetrieben werden! Das ist eine ungute Geschichte, nicht nur, weil man es immer nur mit toten Tieren zu tun hat, es ist einfach ganz, ganz schwierig, das auch menschlich zu ertragen. Der Wolf ist aufgrund des Schafabtriebes in andere Regionen gegangen, auf zwei Nachbaralmen, die in Fußdistanz von circa 2 Stunden liegen und auf denen man die gleiche Struktur vorfindet: 100, 150 Schafe. Dort hat der Wolf sein Werk fortgesetzt, die Situation ist also nicht besser geworden.

Was dann passiert ist – nachdem auch diese Bauern die Schafe abgetrieben haben –, das hat uns fassungslos gemacht, damit haben wir nicht gerechnet: Der Wolf ist auf unsere Alm zurückgekommen und hat die Rinder gepackt. Er hat drei Jungrinder innerhalb von 14 Tagen gerissen. – Da waren wir eigentlich schon zutiefst erschüttert.

Wie macht der Wolf das? – Er treibt die Rinderherde übers Gelände, spezialisiert sich auf ein Jungrind und jagt dieses so lange, bis es ermattet ist und am Boden liegt. Dann versucht er, den Drosselbiss anzuwenden, wie er das meist bei den Schafen macht. Da kommt er aber durch die Haut nicht durch, weil diese dick ist, und das Rind kommt nicht zu Tode. Während das Rind noch lebt, wendet er sich dem Körper zu und reißt den Körper auf – ich habe Fotos dabei, wenn es jemand sehen will. Das Rind schlägt mit dem Kopf immer zurück in Richtung Wolf. Wir konnten das deshalb nachvollziehen, weil wir früh genug zum Rind gekommen sind und das Rind seitlich von seinem eigenen Speichel nass war und noch Schaum vorhanden war. Da kann man sich vorstellen, was so ein Rind bei lebendigem Leibe mitmacht.

Die Bilanz auf unserer Alm: 27 Schafrisse, zwölf vermisste Schafe und drei Rinder. Die Bilanz im ganzen Tal, die die Nachbaralm und Ereignisse, die im Herbst noch passiert sind, miteinbezieht: an die 90 Schafe, die zum Teil gerissen wurden, zum großen Teil vermisst sind, also nicht mehr aufgefunden wurden, die drei Rinder, die ich schon erwähnt habe, und zwei Großrinder, die zu Tode getrieben wurden und abgestürzt sind, sowie eine großträchtige Kuh, die auch gejagt wurde und zu Tode gekommen ist.

Verursacher: ein einzelner Wolf, kein Rudel. Es wurde die DNA genommen und es ist bestätigt: Es war immer dieses grausame Tier. Wir haben in unserer Region eine kleinstrukturierte Landwirtschaft, wir haben keinen Strukturwandel, das möchte ich betonen, und wenn sich dieses Problem mit dem Wolf so weiterentwickelt, dann befürchte ich das Schlimmste. Die Experten im Ausschuss haben dies auch bestätigt.

Was wird passieren? – Die Nebenerwerbsbauern, die kleinere Betriebe haben – Kollege Köck hat es erwähnt –, werden die Stalltüren zusperren. Sie werden zumachen und ihrer Arbeit nachgehen. Ich weiß nicht, ob das gewünscht ist oder nicht. Rinder­halter werden bei den Ställen anbauen, werden eine Halle dazubauen. Die Rinder werden nicht mehr auf die Weide kommen, weil es einfach keinen Sinn mehr macht.

Was wollen wir? – Wir sehen kein Weidevieh mehr, weder auf den Almen noch in den Tallagen. Wenn das gewünscht ist, dann bitte ich darum, uns das einfach offen zu sagen. Ein Kollege im Ausschuss hat gesagt: Wir müssen lernen, mit dem Wolf umzugehen! Ich kann ihm zwar recht geben, muss aber antworten: Ich glaube, alle, die sich für den Wolf so sehr starkmachen, hätten Nachhilfeunterricht nötig und sollen sich zum einen mit den Bauern dieses Problem einmal anschauen; zum andern möchte ich aber auch wirklich alle einladen, mit mir auf unsere Alm zu gehen und 600 Hektar einzuzäunen – wolfssicher einzuzäunen.

Wir sind mit dem Naturschutzbund einen ganzen Tag lang unterwegs gewesen und in der zweiten Stunde waren wir uns darüber einig, dass es einfach unmöglich ist, einen wolfssicheren Zaun zu errichten. Ich habe dann dem Naturschutzbeauftragten gesagt: Wir haben in Salzburg 1 800 Almen, die Situation ist auf jeder Alm gleich. Er hat mir geantwortet: Dann müssen wir uns aber jede Alm eigens anschauen!

Das tut wirklich so weh, dieser Stich tief ins Herz hinein, wenn jemand daherkommt und sagt: Wir müssen lernen, mit den Wölfen umzugehen! (Bundesrätin Mühlwerth: Realitätsfremd!) Das wird nicht funktionieren (Bundesrat Schreuder: Willst du ausrot­ten? Ruf bei der FPÖ: Der grüne ...! – Bundesrat Schennach: Eine geschützte Tierart ausrotten, das ist ja absurd!), denn bevor auf einer Alm ein Herdenschutz umge­setzt wird, hören die Bauern auf. Die kleinstrukturierte Landwirtschaft wird die Türen zusperren und die übrigen Bauern werden andere Produktionsweisen anwen­den. Das hat sicherlich keine Zukunft. (Bundesrat Schreuder: Willst du ausrotten?)

Zu den Auswirkungen bringe ich ein Beispiel: Es muss jedem klar sein, dass die ländliche Region bei uns und in allen Bundesländern Österreichs durch die Verbuschung (Bundesrat Schreuder: Willst du ausrotten? – Zwischenrufe bei der SPÖ) ein komplett anderes Gesicht bekommt, dass der Erholungswert dieser Regio­nen verloren geht, dass es zu Erosion kommt. Für den Klimaschutz und auch die Biodiversität spielt die Bewirtschaftung auf unseren Almen eine wesentliche Rolle. (Vizepräsident Wanner gibt das Glockenzeichen.)

Ein Beispiel noch: Wir vermieten zu Hause drei Ferienwohnungen und drei Zimmer. Wir haben als Gäste zum größten Teil Familien. Ich kenne die leuchtenden Kinder­augen und auch die Augen der Eltern leuchten, wenn sie mit uns die Stallarbeit ver­richten, wenn sie die Kälber füttern, die Hasen füttern, beim Melken zusehen. So kön­nen wir vermitteln, wie wir Lebensmittel produzieren. (Bundesrat Schreuder: Willst du ausrotten?) Der Höhepunkt ist, wenn wir die Familien auf unsere Alm mitnehmen, um die Tiere zu besuchen, zu schauen, ob alle gesund sind, ob die Wasserversorgung stimmt, ob die Zäune in Ordnung sind. Sie machen dann Videos und reden Tage, Wochen und Jahre danach noch über dieses Erlebnis. Wir wollen diese Bergland­wirtschaft vermitteln, und wir wollen die Lebensmittel eigentlich regional produzieren. (Bundesrat Schreuder: Willst du ausrotten? – Bundesrätin Mühlwerth: Das haben wir alles schon verneint! – Bundesrat Steiner: Willst du es noch zehnmal rausschreien?)

Die Forderung: Die Definition der Population darf nicht einzelstaatlich, sondern muss europaweit geschehen. Es kann nicht sein, dass der Wolf geschützt wird, wenn er nicht vom Aussterben bedroht ist und wir hochgefährdete Tierrassen züchten, für die wir auch Prämien bekommen. Dieser Widerspruch ist nicht argumentierbar. Wir brauchen Weideschutzgebiete für unsere Tiere, und wir brauchen die Herabsetzung des Schutz­status.

Ich komme zum Schluss: Menschen können Fehler machen, die Politik kann auch Fehlentscheidungen treffen. Ich als Politiker möchte aber nicht – und das darf uns nicht passieren –, dass wir jungen Menschen, die Betriebe übernehmen wollen, die weiterhin Landwirtschaft im Rahmen der Berglandwirtschaft und der Almwirtschaft betreiben wollen, die Freude nehmen und dass sie sich die Frage stellen müssen, ob die ganze Arbeit noch einen Sinn hat; denn wenn uns das passiert, ist das nicht mehr zu reparieren. – Danke. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

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