9.17

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Werter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Kolle­gin­nen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren, die via Livestream oder Fernsehen zugeschalten sind! Ich stehe heute hier auch als Arzt vor Ihnen, und ich darf Ihnen versichern, ich blicke deshalb um nichts weniger angespannt und mitunter auch sorgenvoll auf diese neue Situation, denn das neue Coronavirus, Sars-Cov-2, heißt nicht nur neu, es ist auch neu. Das bedeutet auch, dass wir jeden Tag etwas dazu­lernen. Es wird niemanden geben, keine Expertin oder keinen Experten in Österreich oder auf der ganzen Welt, die endgültig alles über dieses Virus wissen.

Dasselbe gilt aber natürlich auch für unseren Organismus. Auch er kennt dieses neue Virus nicht, auch er weiß nicht endgültig damit umzugehen. Deswegen ist es unser größtes Ziel, die Verbreitung einzudämmen, zu verlangsamen. Das ist es, was so wichtig ist. Wir brauchen Zeit, werte Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen deshalb Zeit, weil ein Abflachen der Neuinfektionen auf der Zeitachse – und das ist das Ent­scheidende – bewirkt, dass weniger Menschen gleichzeitig krank sind und möglicher­weise eine stationäre Behandlung benötigen.

Es ist weniger die Gesamtzahl entscheidend, sondern es ist entscheidend, wie schnell sich der Erreger ausbreitet. Die Technische Universität Wien hat diesbezüglich eine Modellrechnung angestellt, und die hat ergeben, dass die Höhe des Gipfels der Neu­infektionen auf rund 50 Prozent herabgesetzt werden kann, wenn es uns gelingt, nur 25 Prozent unserer sozialen Kontakte zu reduzieren.

Wenn es gelingt, die sozialen Kontakte um 50 Prozent zu reduzieren, so wird die Höhe des Peaks – also des Gipfels – auf 30 Prozent sinken. Das hat Martin Bicher, einer der Forscher aus dieser Gruppe, errechnet. Das bedeutet also, meine Damen und Herren, wir können etwas tun.

Ich hatte vor allem Ende der letzten Woche den einen oder anderen Kontakt zu Mitarbeitern in Gesundheitsbehörden und Bezirkshauptmannschaften. Da habe ich, vor allem wenn es um die Frage ging, ob man beispielsweise eine Veranstaltung geneh­migen oder nicht genehmigen soll, eine gewisse Sorge verspürt. Das Maßnahmen­paket unserer Bundesregierung hat das nun geändert. Es gibt gute Rahmenbedin­gungen in Form klarer Erlässe und Verordnungen. Das gilt für Reisen, für Veranstal­tungen, für das gesamte öffentliche Leben, ja sogar Schulen und Universitäten sind davon betroffen.

Professor Krause, der Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Graz, hat in einer Aussendung gesagt, diese Maßnahmen sind drastisch, aber sie sind alternativlos. Dafür gebührt der gesamten Bundesregierung, allen voran aber natürlich unserem Bundeskanzler Sebastian Kurz, unserem Innenminister Karl Nehammer und Gesund­heitsminister Rudolf Anschober allergrößter Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es Ihnen vor allem gestern so wie mir ergangen ist. Mein Telefon hat geglüht, permanent sind Nachrichten hereingekommen. Und das waren sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen haben gefragt: Warum kann nicht noch mehr gemacht werden? – Andere haben wiederum gefragt: Warum reicht denn nicht weniger? – Ja, es ist ein Balanceakt. Wir müssen alles daransetzen, die Verbreitung des Virus einzuschränken. Wir wissen, dass der Kampf gegen Covid-19 unser aller Leben einschränkt. Mir ist auch völlig klar, dass man nicht alles bis ins letzte kleinste Detail vorgeben kann. Ich vertraue hier aber auf den Hausverstand. Ich vertraue auf die Klugheit und das Verantwortungsbewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher. (Bundesrätin Mühlwerth: Da würde ich mich nicht so sehr darauf verlassen!)

Es ist vielleicht möglich, das eine oder andere Fest, den einen oder anderen Ausflug ausfallen zu lassen. Anderes wird vielleicht schwieriger sein. Dabei ist jeder gefordert, seine persönlichen Prioritäten zu setzen. Es ist aber unser aller Pflicht, jene zu schüt­zen, die sich nicht selbst schützen können. Da ist jeder Einzelne angehalten, seinen eigenen wichtigen Beitrag zu leisten.

Manche Einschränkungen werden als sehr hart empfunden. Wer sich beispielsweise schon monatelang auf ein Konzert gefreut hat, ist traurig, dass er nicht hingehen darf, ein anderer ist traurig, dass er seinen Fußballverein jetzt nicht anfeuern darf. Noch wesentlich schwerwiegender treffen die Einschränkungen aber Bereiche der Wirtschaft und der dort Beschäftigten. Es gibt keine Veranstaltungstechnik mehr, es gibt kein Catering, Reiseveranstalter zittern, Importe, Exporte sind schwierig geworden. Gestern hat mich sogar eine Friseurin aus meinem Bezirk angerufen und mir erzählt, dass sie kaum mehr neue Termine vergibt, weil sich niemand meldet.

Das Leben geht nicht einfach ungebremst weiter, meine Damen und Herren. Das hat aber einen guten Grund, nämlich unser gutes Leben, so wie wir es kennen, auch durch vorübergehende Einschränkungen zu schützen.

Die betroffenen Wirtschaftsbereiche brauchen unser aller Solidarität. Wir müssen ihnen helfen, wieder auf die Beine zu kommen, wenn sich diese Gesundheitskrise entspannt hat. Und das wird sie! Wir wissen nicht genau wann, auch Fachleute können das nicht endgültig sagen, und daher müssen wir um Verständnis bitten, dass es keine end­gültigen Zeit- und Fahrpläne gibt. Was es aber gibt, ist der feste Wille, diese zu machen und umzusetzen, wenn wieder neue Fakten klar sind. Man muss mehrmals täglich die Lage neu evaluieren. Das Richtige zur richtigen Zeit tun, das ist es, worum es jetzt geht. Dabei müssen wir vor allem um eines bitten, was in dieser Zeit rar geworden ist, nämlich um etwas Geduld.

Als Steirer darf ich einen Kärntner zitieren, den Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“. Er hat gestern in seinem Leitartikel von einer „Reifeprüfung für das Wir“ gesprochen. Das ist eine gescheite und angemessene Formulierung. Wir schützen unsere Mütter und Väter, unsere Omas und Opas, wenn es uns gelingt, die Verbreitung des Virus zu entschleunigen. Wir schützen damit letzten Endes das Leben, das wir lieben.

Ich habe anfangs gesagt, ich bin Arzt, Internist, um genau zu sein. Noch zu Wochen­beginn stand ich in der Notaufnahme meines Krankenhauses, ein großes Grazer Spital, das als Referenzzentrum mit einer Abteilung für Infektiologie auch Covid-19-Patienten behandelt. Ich habe an diesem Tag viele andere Patienten mit vielen anderen Gebrechen behandelt. Das ist mir wichtig, zu sagen, um zu verdeutlichen: Es gibt auch ein Leiden und Leben neben Covid-19. Das dürfen wir nicht vergessen, und wir dürfen nicht zulassen, dass sich alles in unseren Köpfen nur mehr um dieses eine Virus dreht.

Ich möchte Ihnen eine kurze Geschichte nicht vorenthalten: Eine ältere Dame ist bei mir gesessen, sie schaut mich an und sagt zu mir: Herr Doktor, Sie tun mir jetzt aber leid. Ich lächle sie an und sage: Nein, ich muss Ihnen nicht leid tun! Ich mache meinen Beruf gerne und dafür bin ich ja da. Aber wie geht es Ihnen? – Und sie sagt dann zu mir: Wissen Sie, natürlich habe ich Angst, aber ich vertraue auf jene, die entschei­den. – Und sie vertraut auf unser Gesundheitssystem.

Wir haben in Österreich ein gutes und starkes Gesundheitssystem. Das muss gesagt werden! Wir haben bezogen auf die Einwohnerzahl mehr Spitalsbetten und Intensiv­betten als andere Länder. Wir haben vor allem auch hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als zum Beispiel am Sonntagnachmittag bekannt wurde, dass Teile des Krankenhauses im Bezirk Hartberg geschlossen werden müssen, haben fünf Hausärztinnen und Hausärzte sofort und spontan einen 24-Stunden-Dienst ins Leben gerufen, um vor allem in den Pflegeheimen die Versorgung der Bevölkerung sicherzu­stellen.

Als Arzt könnte ich jetzt sagen: Ja klar, das entspricht unserem Berufsethos. Als Politiker, vor allem aber als Mitbürger, als Sohn, als Ehemann, als Vater von zwei Töchtern, darf ich aber allen in der ärztlichen Betreuung, in der Pflege, in den Labors, in den Verwaltungsbehörden, bei den Telefonhotlines für ihren unermüdlichen Einsatz von Herzen danken. (Beifall bei ÖVP, Grünen und SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf zum Ende kommen – es ist auch die zentrale politische und gesellschaftliche Botschaft –: Wir müssen diese Krise gemein­sam meistern, damit wir das gesamte Leben meistern können. Dafür müssen wir zu­sammenrücken, vielleicht unsere Sprache entschärfen, unseren Hausverstand schär­fen, auch und vor allem in den sozialen Medien.

Wir sind sicher keine Zauberer. Ich weiß, jeder würde sich jemanden wünschen, der kommt und diese Krise mit einem Fingerschnippen beendet. Wir sind keine Zauberer, wir sind Menschen – Menschen, die sich auf ihrem jeweiligen Platz bemühen, mit Be­sonnenheit das Richtige zu tun. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

9.28

Präsident Robert Seeber: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ingo Appé. Ich erteile ihm dieses.