15.44

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Es sind ungewöhnliche Zeiten und ungewöhnliche Maßnahmen in einer für ganz viele Menschen sehr ungewöhnlichen Lebenssituation. Es sind sehr schwierige Maßnahmen, die wir zu setzen haben; vielen von uns geht es nicht gut dabei, weil das Grenzen überschreitet, die wir normalerweise nicht überschreiten wollen. Gleichzeitig ist es aber so, dass uns wenig übrig bleibt, als das zu tun, was uns jetzt schützt, was uns alle schützt.

In Wirklichkeit ist es eine Frage gemeinsamer Solidarität in unserer Gesellschaft. Es gibt einerseits eine Gruppe, die sich relativ leicht ansteckt, aber Gott sei Dank erfreu­licherweise kaum erkrankt – das sind junge Menschen. Und es gibt eine Gruppe oder besser gesagt zwei große Gruppen, die in dieser Situation besonders schutzbedürftig sind: Das sind einerseits Menschen über 65 – ich bewege mich schön langsam auch darauf zu, zu dieser Gruppe zu gehören –, andererseits aber auch Menschen, die eine schwere Vorerkrankung haben, zum Beispiel Menschen, die eine Immunschwäche ha­ben, Menschen, die schwere Diabetiker sind, Menschen, die Krebs hatten oder haben, Menschen, die eine schwere Lungenerkrankung hatten oder haben, Menschen, die Herzkreislauferkrankungen haben. Von denen wissen wir, dass sie in dieser Situation besonders gefährdet sind.

Ich tue mir immer schwer, wenn man von Sterblichkeitsraten und Ähnlichem spricht. Das ist, finde ich, so schwierig, wenn die Betroffenen zuhören. Trotzdem muss man es aber, glaube ich, nüchtern sehen. Es ist so, dass – das ist die gute Nachricht – 80 Pro­zent der Erkrankungsfälle ziemlich harmlos sind. Das wissen wir aus Studien, die es jetzt, nach drei Monaten Corona, bereits gibt; China hat 45 000 Erkrankte untersucht. Diesen Menschen passiert mit Sicherheit nichts, viele von ihnen müssen nicht einmal ins Spital. Ich komme nachher auf die Zahlen aus Österreich zu sprechen. Es ist aber auch so, dass 5 bis 6 Prozent der Erkrankten in schwere Krisen kommen, und das sind hauptsächlich ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger beziehungsweise Menschen, die eine schwere Vorerkrankung hatten. In diesen Gruppen ist das Sterblichkeitsrisiko um ein Vielfaches höher als etwa bei der Grippe, deswegen ist es im Augenblick eine Soli­daritätsfrage.

Ich verstehe junge Menschen, die in den ersten Frühlingstagen – es wird warm am Abend –, wenn sie frei haben, feiern möchten und sich zum Beispiel am Donaukanal, wie ich es gestern beim Heimgehen erlebt habe, einen Spaß machen wollen und mit­einander Freude haben wollen. Wer tut das nicht gerne? In Zeiten wie diesen, für die nächsten Monate ist es aber anders. Da ist Abstand der beste Zusammenhalt, den wir kennen. – Das klingt paradox, aber es ist leider so. Diesen Zusammenhalt, dieses Mit­einander brauchen wir, diese Verantwortung füreinander brauchen wir.

Ich finde, dass die Kommunikationsoffensive, die es jetzt gibt – auf sich zu schauen und damit auch auf den anderen zu schauen –, eine sehr, sehr gelungene ist, denn da­rum geht es in Wirklichkeit: Wir selbst sind Teil der Lösung, wir selbst sind Teil der Mitverantwortung, wir selbst sind Teil des Schutzes des anderen. Enkerl verstehen es oft nicht, warum man jetzt nicht zum Opa und zur Oma fahren soll, warum man statt­dessen telefonieren soll, obwohl sich der Opa und die Oma doch normalerweise so freuen, wenn Besuch kommt. Das ist schwierig zu erklären, aber es ist gut so. Es ist gut so, dass wir jetzt ein paar Monate anders leben, dass wir uns anders verhalten, dass wir uns an das, was ein Risiko sein kann, an das, was Sicherheit sein soll und sein muss, anpassen.

Gesundheit ist das Wichtigste, was wir in unserem Leben haben, alles andere ist ne­bensächlich. – Das ist so ein Stehsatz, den wir immer sagen. Wahrscheinlich ist er schon sehr, sehr lange nicht mehr so zutreffend gewesen wie heute. Seine Bedeutung wird vielen jetzt erst so richtig bewusst. Wir können uns keine zweite Gesundheit, kein zweites Leben kaufen, sondern wir müssen selbst darauf achten.

Jetzt ist es leider passiert, dass das Wirklichkeit wurde, wovor viele gewarnt haben, dass nämlich aus einer regionalen Epidemie, die ihren Ausgangspunkt in China, in der Großstadt Wuhan, Anfang des Jahres beziehungsweise besser gesagt Ende des Vor­jahres – ganz genau wissen wir es nicht – hatte, eine globale Pandemie wurde. Glo­bale Pandemie bedeutet, dass der gesamte Globus betroffen ist und dass diese Epi­demie oder Pandemie außer Kontrolle geraten ist. Und ja, Europa ist derzeit das Epi­zentrum dieser Pandemie, das Epizentrum mit den höchsten Steigerungsraten, die es auf diesem Globus gibt.

Am bekanntesten sind wohl die Bilder aus Italien. Ich will das nicht wiederholen, nur so viel: Ich lese jeden Tag den Blog eines Arztes aus Bergamo. Wenn Sie das lesen, dann haben Sie den Eindruck, dass das eine Kriegsberichterstattung ist, denn in Wirk­lichkeit liest sich das so: Es wird über Tod und Leben entschieden, die Spitäler haben keine Ressourcen mehr, um einen Akutfall, etwa einen Schlaganfallpatienten, behan­deln zu können, weil sie völlig überfordert, überlastet sind; sie kämpfen, aber sie dro­hen in dieser Situation unterzugehen. In Italien gibt es derzeit sage und schreibe 21 000 Erkrankungen und 1 500 Todesfälle, und jeden Tag werden es um 150, 200 mehr. Es gibt keine Trendabflachung, es geht mit diesen Zahlen weiter, die Zahlen steigen weiter an.

Spanien: dramatische Entwicklungen nach oben, vor allem in den letzten Tagen; Schweiz: ähnliche Situation; Frankreich; Deutschland; und auch Österreich ist nicht ausgenom­men. Wir können das Land nicht unter eine Glaskuppel stellen oder ein Umleitungs­schild: Corona, fahr an Österreich vorbei!, aufbauen. Das funktioniert leider nicht. Wir würden es tun, wenn es irgendwie gehen würde. Was wir tun können, ist, Maßnahmen zu setzen, damit wir diese stark exponentiell ansteigende Entwicklungskurve, diesen Trend abflachen, damit wir ihn verschieben, damit wir ihn verzögern, um Zeit zu ge­winnen.

Die Zahlen sind nicht gut. Ich stelle Ihnen und euch diese Zahlen kurz dar: Mittwoch dieser Woche hatten wir 206 Erkrankungen in Österreich, am Donnerstag waren es 302, am Freitag 428, am Samstag 602 und heute in der Früh 800. Wir sind also genau in jener Entwicklung drinnen, in der es steil nach oben geht, und deswegen müssen wir jetzt wirklich jede Maßnahme, auch wenn sie uns unsympathisch ist, auch wenn wir es in Wirklichkeit gar nicht wollen, umsetzen. Ich bin ein Mensch, der unglaublich an Frei­heit und an die Selbstbestimmung eines jeden Menschen glaubt; gleichzeitig ist es aber so, dass wir diesmal für ein paar Wochen anders handeln müssen und anders politisch entscheiden müssen. Ich habe mir das auch nicht leicht gemacht, aber ja, das geht jedem von uns derzeit so.

Es gibt zwei Strategien, die wir umsetzen wollen und die wir umsetzen werden. Das eine sind eben die sozialen Kontakte. Etwas, was so wunderbar klingt, ist plötzlich negativ; der soziale Kontakt, die Nähe, ist etwas, was derzeit negativ ist. Da geht es vor allem um die Solidarität mit besonders Schutzbedürftigen. Es haben Wissenschaft­ler ausgerechnet, dass dann, wenn es in einer Gesellschaft gelingt, die sozialen Kon­takte um ein Viertel zu reduzieren, das Ansteckungsrisiko halbiert ist. Das zeigt: Es geht etwas, es lässt sich entscheiden, es lässt sich bewegen, und daran arbeiten wir mit dieser ersten Strategie.

Die zweite Strategie ist auch sehr, sehr klar: Es ist der Schutz unserer Spitäler. Unsere Spitäler haben eine überschaubare, begrenzte Zahl von Intensivbetten, von Akutbet­ten. Sie sind hervorragend ausgestattet. Österreich hat ein Gesundheitssystem, das aus meiner persönlichen Sicht in vielen Bereichen fantastisch ist – wir haben ein paar Bereiche, da müssen wir nachjustieren, wir sind am Weg in diese Richtung. Dasselbe hat aber die Lombardei auch von sich sagen können: eine großartig entwickelte Region mit viel Wohlstand und einem tollen Gesundheitssystem.

Wir wollen versuchen, zu vermeiden, dass die Entwicklung, die es in der Lombardei gegeben hat, auch bei uns zutage tritt, deswegen haben wir ein Besuchsverbot in Spi­tälern verankert. Auch das ist für viele Patienten und Patientinnen, die auf ihre Liebsten warten, die ihnen mit dem Besuch Kraft geben, schwierig, aber trotzdem: Wir würden riskieren, dass Viren eingeschleppt werden, und das wollen wir vermeiden, denn jeder angesteckte Mediziner, jede angesteckte Medizinerin bedeutet, dass wir eine Abteilung schließen müssen, und das bedeutet, dass unsere Ressourcen drastisch reduziert wer­den. Das wollen wir nicht zulassen. Wir haben auch den Auftrag gegeben, dass alle Behandlungen und auch Operationen, die derzeit medizinisch nicht akut notwendig sind, verschoben werden, um die Ressourcen zu entlasten.

Wie schaut es aus? – Wir haben derzeit 800 Erkrankte in Österreich. Davon sind zehn Personen in einer gesundheitlich angeschlagenen Situation, sodass sie in der Intensiv­station behandelt werden müssen. 98 weitere sind im Spital und 85 Prozent der 800 sind zu Hause. Das entspricht in etwa dem, was ich zu Beginn über die Untersuchun­gen aus China gesagt habe. Das heißt, der überwiegende Anteil verzeichnet eine mil­de, leichte Erkrankung. Da hängt es eben sehr stark vom Alter und von Vorerkrankun­gen ab. – Ich denke, an dieser Stelle wünschen wir allen Menschen, die an dieser heimtückischen Erkrankung erkrankt sind, eine gute Genesung! (Allgemeiner Beifall.)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir daran glauben müssen, dass wir das schaf­fen. Das gibt uns Kraft, das gibt uns Hoffnung. Wenn wir jetzt nur pessimistisch und traurig sind, ist das aus meiner Sicht das Allerschlimmste. Wir haben viele, viele Krisen bewältigt. Dieses Mal ist es eine besonders schwere. Eine globale Pandemie in diesem Ausmaß hat es in Europa zuletzt bei der schwarzen Grippe vor vielen, vielen Jahrzehn­ten gegeben, in den letzten Jahrzehnten in diesem Ausmaß keine. (Bundesrätin Mühl­werth: 1920! Und es hat geheißen: die Spanische Grippe!)

Wenn wir aber jetzt wirklich alle zusammenhalten, wenn wir in dieser Gesellschaft solidarisch sind, dann können wir es tatsächlich schaffen. Davon bin ich zutiefst über­zeugt, und mein Appell lautet einfach: Seien wir, jeder Einzelne und jede Einzelne von uns, ein Teil der Lösung! (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

15.55

Präsident Robert Seeber: Vielen herzlichen Dank, Herr Minister, auch für das profes­sionelle Management.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile ihr dieses.