14.57

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Ministerinnen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor allem aber: Liebe Damen und Herren, die diese Debatte verfolgen! Gestern am Abend hat mich eine Nachbarin ange­rufen und gesagt: Wir dürfen unsere Enkerl nicht mehr sehen oder nicht mehr treffen, aber ihr haltet Sitzungen ab. Warum macht ihr das? – Und ich habe ihr gesagt, ich gebe darauf heute eine Antwort: Weil wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, wir leben nicht in einer Diktatur.

Gerade wenn die Exekutive besonders stark gefordert ist, dann gilt es auch für die Parlamente, die Bundesparlamente und für die Landtage, ihre Leistung und ihre Arbeit zu erbringen, denn eine Regierung kann sich viele Dinge wünschen, aber ohne Gesetze geht das nicht in einer Demokratie. Zur Bewältigung dieser unfassbaren Krise, die da über Europa, über die Welt, über uns hereingebrochen ist, bedarf es Maß­nahmen, die die bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte einschränken. Wenn wir diese Krise durchtaucht haben, werden wir ungeheuer viel Arbeit haben, das alles wieder einzufangen. (Bundesrat Rösch: Das glaube ich auch!) Deshalb sind auch die zeitlichen Limitierungen, die wir in diese Gesetze eingebaut haben, so wichtig.

Wenn wir diese Krise bewältigt haben, dann wird es aber auch notwendig sein, über Versagen und Fehler zu reden. Da denke ich an das Bundesland Tirol, in dem wir ein Totalversagen der Politik und der Verwaltung erlebt haben. Zu einem Zeitpunkt, zu dem Island, Norwegen und Deutschland schon Meldungen abgegeben haben, dass es einen Verbreitungsherd für das Coronavirus in Ischgl gibt, wurde nichts getan. Es wurde nichts getan! Im Gegenteil! Die Lobby der Eisenbahnen und der Hotellerie hat erwirkt, dass man alles noch eine Woche länger offen gelassen hat. (Ruf bei der SPÖ: Seilbahnen!)

Die Seilbahnen gehören da dazu, und die Tiroler Seilbahnlobby, die da alles versucht hat, sitzt ja auch schon im Nationalrat. In Südtirol waren die Lifte zu diesem Zeitpunkt schon eine Woche geschlossen.

Man wird dabei auch mit der Ärztekammer reden müssen: Wer hatte die wahnsinnige Idee, in Sankt Christoph am Arlberg zu einem Zeitpunkt, als alles schon bekannt war, einen Ärztekongress durchzuführen? Während in Wien der Radiologenkongress abge­sagt wird, muss man in Sankt Christoph noch einen Ärzte- und Ärztinnenkongress abhalten – das ist fahrlässig und gehört untersucht! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Auch wenn das berühmte ORF-Interview mit dem Tiroler Gesundheitslandesrat Tilg mittlerweile auf Youtube und anderen Kanälen zu den humorvollsten zählt, ist die Angelegenheit erschreckend. Vor allem ist erschreckend, wie das Land Tirol im Augen­blick mit den vielfältigen Rücktrittsaufforderungen an einen der Krise nicht ge­wach­senen Landesrat umgeht: Einfach Augen zu und durch – das kann es ja nicht sein!

Eines muss man auch sagen: Hallo Seilbahnlobby, hallo Tourismuslobby, glaubt ihr nicht, dass das dem Ruf Tirols und Österreichs viel mehr geschadet hat, als die paar Millionen, die ihr da vielleicht noch herausgequetscht habt, ausmachen? Wir werden das untersuchen müssen, wenn die Krise vorbei ist. Es braucht eine Untersuchung im Tiroler Landtag, ich hoffe aber, auch auf Bundesebene, denn so geht es nicht.

Kollege Buchmann von der ÖVP hat vorhin ein Wort so strapaziert: gemeinsam, gemeinsam, gemeinsam – nur versteht er darunter nicht gemeinsam, sondern einsam. Die Regierung macht einsam die Vorschläge, und die Opposition soll diese hinunter­schlucken. Die vielfältigen und guten Vorschläge der Opposition werden hier gar nicht angehört, trotzdem werden wir nicht müde werden, Herr Kollege Buchmann, hier auch Korrekturen anzuregen.

Dabei denke ich, wir müssten das gar nicht machen, hätte nicht die Bundesregierung einen Kardinalfehler begangen, indem sie nämlich das Epidemiegesetz ausgesetzt hat. Jetzt kommt das Epidemiegesetz nicht zur Anwendung, jetzt müssen wir all diese Turnübungen hier machen, um am Arbeitsmarkt und so weiter die gröbsten Dinge abzufangen – das alles wäre nicht notwendig gewesen!

Interessant wird es ja noch, Frau Justizministerin, wenn wir auf den Krisenfall in Tirol zurückkommen, dass es da zuerst Anweisungen auf Grundlage des Epidemiegesetzes und dann auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes gab. Das werden noch sehr interessante Schadenersatzverhandlungen werden, mit der Frage, was denn jetzt als Rechtsgrundlage herangezogen wird.

Zweitens: Es sind Fehler passiert, und auch in einer Zeit, in der wir alle zusam­menstehen und gemeinsam in diesem Land ein riesiges Problem bewältigen müssen, müssen Fehler aufgezeigt werden (Bundesrätin Mühlwerth: Richtig!) – das gehört zu den Kennzeichen und Grundlagen der Demokratie –, deshalb werde ich heute noch einen Entschließungsantrag hier einbringen; aber dazu komme ich noch.

Kollege Preineder hat gesagt, dass „in dieser Zeit keiner zurückgelassen“ werden soll. – Ja, mit dem Epidemiegesetz wäre auch keiner zurückgelassen worden, aber ihr habt diese gesetzliche Grundlage ausgehebelt! Dadurch entsteht erst die Gefahr, dass Menschen zurückgelassen werden, und deshalb müssen wir handeln.

Was die Informationskette betrifft, komme ich auf Kollegen Reisinger zurück: Natürlich gehören die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen als Erste informiert! Wenn Sie heute den „Standard“ aufschlagen, können Sie nachlesen, welches Chaos der Bundes­kanzler in Sankt Anton ausgelöst hat, indem er dort niemanden informiert hat, sondern gleich vor die Fernsehkameras getreten ist – das war Chaos pur. Die ÖBB haben in Sankt Anton nicht mehr angehalten, die Urlauberinnen und Urlauber konnten Sankt Anton gar nicht verlassen, weil es keine Kommunikationskette gab. Ich meine, man kann sich schon ständig staatstragend im Fernsehen präsentieren – aber dass die Kommunikationsketten funktionieren, ist eine der minimalen Voraussetzungen in einem Land.

Noch etwas: Sie alle erinnern sich an den ehemaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Leitl, der keine Gelegenheit ausgelassen hat, zu betonen: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.“ – Diese Aussage ist nun endgültig zu schubladisieren, denn wenn in dieser Krise der Staat nicht eingreift und der Wirtschaft nicht unter die Arme greift, dann geht es uns allen schlecht. Die Wirtschaft kann daher nur sagen: Danke, Staat!

Danke aber auch an die Länder, danke auch an die Stadt Wien, die jetzt 85 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um der Wiener Wirtschaft und den Wiener Beschäftigten zu helfen und sie zu unterstützen. Eine zusätzliche Million, glaube ich, gibt es für die Forschung betreffend das Coronavirus. – Lieber Herr Leitl, im Nachhinein gesehen bewähren sich halt vor allem in besonderen Zeiten die Sprücherln nicht, die man sein halbes Leben lang in die Kameras gesprochen hat.

Wir alle haben heute den vielen Heldinnen und Helden gedankt, die derzeit Dienst zur Aufrechterhaltung der notwendigen Strukturen machen. Eines sollten wir aber nicht vergessen: Auch unter denen, bei denen wir uns heute bedankt haben, gibt es Men­schen, die jetzt arbeiten, aber zu Risikogruppen zählen. Das sind zum Beispiel Per­sonen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2, das sind Menschen, die an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, die Herzklappenfehler haben oder an Bluthochdruck oder der koronaren Herzkrankheit leiden.

Es sind aber auch Menschen, die an Krankheiten der Leber beziehungsweise der Niere oder an einer Krebserkrankung leiden. Es sind Menschen, die lungenkrank sind und es sind Menschen mit schwachem Immunsystem, etwa HIV-Erkrankte, aber auch Autoimmunerkrankte. Es sind zum Beispiel Menschen mit Multipler Sklerose, mit Asthma – dazu zählt übrigens auch allergisches Asthma –, Rheuma, Schuppenflechte oder Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmkrankheit, die in der Bevöl­kerung häufig vorkommt.

Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag im Zuge der Debatte zu TOP 1 ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Befrei­ung von der Arbeitsleistung für Risikogruppen“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz wird aufgefordert, durch Verordnung festzustellen, welche Vorerkrankungen zu den Risikogruppen bei der Erkrankung Covid-19 zählen und für ArbeitnehmerInnen, die solche Erkrankungen aufweisen, eine Befreiung von der Arbeitsleistung mit voller Entgeltfortzahlung (ähnlich der vorzeitigen Freistellung nach dem Mutterschutzgesetz) vorzusehen.“

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Das ist, glaube ich, recht und billig, denn auf dieses Thema wird derzeit vergessen. All der Dank und all der Applaus nützt Menschen mit solchen Vorerkrankungen nichts. Das Thema ist nicht neu, es ist im Antrag festgehalten, dass es diese Regelung ja beim Mutterschutzgesetz schon gibt. Wir sollten das schnellstens umsetzen, daher hoffe ich, dass dieser Entschließungsantrag entsprechend unterstützt wird.

In diesem Sinne Ihnen allen: Bleiben Sie gesund, auch Sie zu Hause! Einen Meter Abstand lautet das neue Motto, und auch wir hier – das haben Sie während der Debatte gesehen – halten alle den entsprechenden Abstand ein und benützen ganz brav Desinfektionsmittel. (Der Redner desinfiziert mit dem auf dem Rednerpult abge­stellten Desinfektionsmittel seine Hände.) – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

15.09