17.29

Bundesrat Michael Wanner (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Minister! Herr Minister! Geschätzte Bundesratskolleginnen und -kollegen! Sehr geehrte Zuseher zu Hause vor den Fernsehschirmen und via Livestream! Und vor allem: alle Menschen, die von dieser Coronakrise betroffen sind, und ich glaube, das sind alle in Österreich! Zuerst einmal an Sie, Frau Minister, wirklich ein herzliches Dankeschön! Ich habe noch selten eine solch ausführliche und offene Anfragebeantwortung betref­fend die Zahlen, Daten und Fakten, wie sie jetzt da sind, gehört und gesehen. Das haben andere Minister bei Weitem nicht so toll und ordentlich erledigt. Ich sage aber auch gleich dazu, die Zukunftspläne beziehungsweise die Lösungsansätze haben mir ein bisschen gefehlt, aber zu diesen Kritikpunkten komme ich noch.

Wir haben die schlechtesten Beschäftigungszahlen in der Zweiten Republik, da können wir schauen, wohin wir wollen: Wir haben 570 000 Arbeitslose, und wir haben 1,2 Mil­lionen Menschen in Kurzarbeit. Das heißt: Jeder zweite Arbeitnehmer, jede zweite Ar­beitnehmerin ist davon betroffen, in welcher Art und Weise auch immer. Es ist, glaube ich, unsere verdammte Pflicht, da etwas zu tun, vor allem für die Zukunft.

Es freut mich unheimlich, wenn manche hier herinnen mit den Wirtschaftsbossen und den Wirtschaftschefs reden, wir – wir! – reden mit den betroffenen Köchen, mit den betroffenen Mechanikerinnen und so weiter. Sie sind die Leidtragenden in dieser Situation, und denen muss heute geholfen werden. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Steiner-Wieser.)

Manche Branchen liegen auf dem Boden, da können wir uns vormachen, was wir wollen. Die Tourismusbranche und die Baubranche sind auf dem Boden, die sind zerstört. Ich werde dann einige Beispiele aus Salzburg und Tirol hernehmen, denn uns in Salzburg und Tirol hat es aufgrund der Struktur ja am meisten getroffen.

Die Arbeitslosenzahlen werden allerdings im Herbst noch steigen, das ist hier herinnen auch schon angesprochen worden, denn wenn die Kurzarbeit ausläuft, der Wirtschafts­motor nicht startet, der Tourismus nicht startet, weil Grenzen dicht sind und so weiter, dann werden Leute aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit gehen, und auch das müssen wir, das müssen Sie, Frau Minister, heute schon mitbedenken, und dies­bezüg­lich müssen Sie Maßnahmen treffen.

Das Arbeitsmarktservice, meine Damen und Herren, ist am Limit. In der Wirtschafts­krise hat das Arbeitsmarktservice ganze 500 Anträge ausarbeiten, ausfüllen und bear­beiten müssen. Wissen Sie, wie viele es jetzt sind? – 130 000 Unternehmen haben Anträge gestellt, 87 000 wurden jetzt schon erledigt. Die erledigen am Tag mehr als die ganze Wirtschaftskrise hindurch, und deswegen gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einmal von hier aus ein kräftiges Lob. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und FPÖ sowie des Bundesrates Lackner.)

Ich komme jetzt zum Fremdenverkehr, weil er mein Heimatland betrifft, weil er aber auch das Nachbarland, mein Geburtsland Tirol, betrifft. Auch dort ist die Arbeitslosig­keit im Bereich Tourismus, Fremdenverkehr katastrophal. Die höchsten Anstiege, die es jemals gegeben hat, sind aufgrund des Shutdowns zustande gekommen. Jetzt sage ich nicht, dass der nicht notwendig war, denn irgendwie muss man reagieren, und die ersten Maßnahmen waren durchaus okay. Trotzdem sind es um 30 000 Arbeitslose mehr, das ist eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent. Da kann jetzt Salzburg noch sagen: Klass, wir haben einen guten Polster gehabt!, aber es hilft nichts, in Salzburg sind 11 Prozent arbeitslos. Was man sich immer vor Augen halten muss: Wir reden hier nicht von Zahlen, von Prozenten, sondern jeder einzelne Arbeitslose ist eine Exis­tenz, ist ein Mensch, ein Mensch mit Ängsten, ein Mensch mit Zukunftsängsten, aber vor allem mit Existenzängsten für sich und seine Familie. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Und diese Angst, Frau Minister, haben wir Politiker zu nehmen. Wenn ich höre, dass man Zukunftsperspektiven finden muss, sage ich: Ja, selbstverständlich. Bei dem, was ich jetzt zu den Zukunftsfragen gehört habe, ist es aber halt schon so: Wenn man fünf Punkte zu einem zusammenfasst, dann kommt halt nur eine Frage für die Zukunft heraus; das müsste man sich genauer anschauen.

Sehr viel. von dem Sie, Frau Minister, gesagt haben: Das haben wir schon gemacht!, war – seien Sie mir nicht böse – aus dem Regierungsprogramm 2020, und das ist auch nichts Neues, sondern das sind Dinge, die ihr schon geplant hattet, und keine Reaktion auf das Jetzt, auf das Heute oder auf das, was wir nächste Woche, übernächste Woche oder im Herbst benötigen. Das hat mir gefehlt, aber vielleicht kommt es ja noch, denn es werden sich, wie ich höre, Expertengruppen mit Sozialpartnern zusam­men­setzen und im Juni dann etwas bringen. – Ja, schön, aber wie lang haben wir jetzt? – 40, 45 Tage nach dem Shutdown, und wenn man jetzt anfängt, um im Juni etwas zu bringen, dann hilft das halt unseren Leuten draußen auf der Straße, am Arbeitsplatz nicht wirklich und nicht viel.

Noch einmal: Tirol und Salzburg sind zwei besonders von Arbeitslosigkeit betroffene Gebiete, vor allem weil Gastronomie, Hotellerie und auch der Bau betroffen sind. In der Gastronomie gibt es einen Rückgang von 50 Prozent, 14 000 Arbeitslose mehr, das sind zwei Drittel aller Beschäftigten, und das ist schon ein Wahnsinn, ein Arbeits­losenanstieg von 130 Prozent in Salzburg und von 190 Prozent in Tirol. (Bundesrat Raggl: Wer kann was dafür? Wer hat’s erfunden?) – Langsam! Dafürkönnen ist das eine, aber jetzt aus dem nicht mehr herauszufinden und keine Zukunftsperspektiven zu geben ist das andere, und ich hätte mir erwartet, dass man dazu jetzt etwas hört. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Es kommen ja genau in dem Bereich laufend welche dazu, die Arbeitslosigkeit explodiert, weil die Grenzen noch nicht aufgemacht werden. Der Tourismus wird sich nicht erholen. Der Flugverkehr wird nicht starten, die Gastronomie grundelt auf einem Tiefpunkt herum. Wobei, da fange ich auch zu lachen an: Wenn man auf die Straße geht, muss man einen Babyelefanten Abstand halten und darf sich zu dritt draußen treffen, und ins Wirtshaus darf man hineingehen und sich ganz eng zu viert zusam­mensetzen. Also wo ist da eine Logik? Das verstehe ich nicht, aber vielleicht kann mir das nachher noch jemand erklären.

Aber gut, das ist der Motor, der nicht starten wird, und wir haben da unbedingt etwas zu tun. Dafür sind Sie, Frau Arbeitsministerin, zuständig. Wir haben Festspiele nicht nur in Salzburg, sondern auch in Vorarlberg, die Bregenzer Festspiele, das ist ein Wirtschaftsmotor, der eine ganze Region am Leben erhält.

183 Millionen Euro Wertschöpfung für Salzburg, für Österreich sind es 215 Millionen Euro, 2 800 Arbeitsplätze, umgerechnet auf Vollzeitarbeitsplätze, 3 400 österreichweit. Was passiert mit denen? – Die Salzburger Festspiele lässt man verhungern. Wenn man denen sagt: Sperrt zu, ihr dürft nicht!, dann ist das wahrscheinlich noch die bes­sere Variante, denn wenn ich weiß, dass ich Krebs habe, dann weiß ich, was ich dagegen tue. Die müssen jetzt aber arbeiten, wissen nicht, wie sie proben können, ob sie überhaupt Leute bekommen, ob sie die Karten zurückgeben müssen und so weiter, weil wahrscheinlich aus Deutschland, aus Amerika, aus China und von sonst wo keiner hereinkommt. Damit fließen aber auch die 77 Millionen Euro Steuergeld nicht zurück in den Topf.

In Bregenz ist es nicht anders, die haben eine Wertschöpfung von 98 Millionen Euro und einen Steuerrückfluss von 21 Millionen Euro.

Der Tourismus ist für die nächste Zeit tot, außer wir finden schnell einen Impfstoff, denn so lange das nicht der Fall ist, habe ich gehört, wird nichts gemacht, werden keine Grenzen geöffnet. Wir müssen uns zuerst alle impfen lassen und so weiter und so fort, von mir aus auch noch tracken lassen, und dann erst dürfen wir wieder touris­tisch tätig werden. – Schön, viel Spaß! Im Zillertal lassen wir im Herbst die Lifte zu, aber vielleicht ist in Ischgl ein Platz frei. (Heiterkeit der Bundesrätin Mühlwerth.)

29 Millionen Nächtigungen haben wir allein in Salzburg, davon 6,6 Millionen von Inländern. Jetzt kommt man natürlich auf die glorreiche Idee: Inlandsurlaub müssen wir machen. Ja wer glaubt, dass man von 25 Prozent Inlandsanteil auf 50 Prozent kommt? (Zwischenrufe der BundesrätInnen Raggl und Zwazl.) – Aber nicht einmal die größten Optimisten, zumal man ja in vielen Fällen nur 55 Prozent des Geldes bekommt, und zahlen kann man es auch nicht. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) – Ja, Monika Mühlwerth. (Zwischenruf des Bundesrates Raggl.)

50 Prozent Einbruch ist das Mindeste, es geht nichts. Und ich sage es noch einmal: Dahinter stehen Menschen. (Bundesrat Preineder: Das wissen wir eh!) Dahinter stehen Einzelpersonen, die sich vielleicht eine Wohnung angeschafft haben, die sie abzahlen müssen, die eine Einrichtung abzahlen müssen, die Kinder ausbilden lassen wollen, die einen Kredit zahlen müssen, die sich das nackte Leben, nämlich Essen, Bekleidung, Wohnung und Heizung, leisten können müssen. Es gibt dann den Vorschlag, für kurze Zeit das Arbeitslosengeld anzuheben, und man sitzt da und sagt: Nein, das kommt aber nicht in Frage! – Das ist irgendwie zum Schämen, irgendwie zum Schämen. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.) Da glauben wohl einige, dass sich diese Leute mit dem Geld Luxusartikel kaufen.

Ich glaube, es ist notwendig, rechtzeitig – am besten schon gestern und vorgestern – Modelle zu entwickeln. Eine Allianz, eine österreichische Allianz für Arbeitsplätze – und ich sage dazu: zur Armutsvorbeugung – gehört geschmiedet. Das sage ich noch dazu, Rudi Kaske, denn: Armut muss von uns hier wahrscheinlich niemand miterleben. Ich habe aber Leute auf meinem städtischen Bauhof, die knapp daran vorbeischrammen. Die haben aber Gott sei Dank noch eine Hacken, weil sie bei der Stadt angestellt sind. (Ruf bei der ÖVP: ... besser!) – Ja, ich weiß es eh, wenn man besser gebettet ist, kann man auch gscheit reden. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Das Anheben der Arbeitslosengelder ist ein Vorschlag und muss eigentlich das Gebot der Stunde sein.

Zum Baugewerbe sage ich jetzt eines, Frau Präsidentin (in Richtung Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler): Der Herr Landeshauptmann hat in Salzburg das Richtige gemacht! Er hat gesagt: Wir investieren, wir geben Geld in die Bauwirtschaft, wir ziehen Projekte vor. – Was macht der Bürgermeister der Stadt Salzburg? – Er sagt (seine Stimme verstellend): Wir müssen das Nulldefizit halten, wir dürfen uns nicht mehr verschulden und das darf überhaupt nicht sein, dass da etwas vorgezogen wird. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Steiner-Wieser.) – Die haben heute eine Budgetkonferenz, in der sie Dinge streichen wollen!

Noch einmal (in Richtung Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler): Gratulation für den Herrn Landeshauptmann! Bitte richten Sie ihm das aus – ich werde es ihm das nächste Mal auch sagen –, und vielleicht bringt er den Bürgermeister der Stadt Salzburg dazu, das anders zu machen. (Heiterkeit bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.) Die könnten ja miteinander reden, außerdem sind sie eh auch befreundet.

Arbeitszeitmodelle gehören neu angedacht. Man kann schon sagen: Ich glaube, das hat keinen Sinn!, es hilft aber nichts. Es gibt Arbeitszeitmodelle mit weniger Arbeit, die mindestens genauso effizient sind. Die 6-8-10-Forderung muss hier in diesem Raum ganz klar und laut ausgesprochen werden. Man kann nämlich auch mit 6 Stunden volle Hacken bringen, denn wenn ich am Bau 8 Stunden draußen stehe, kann ich 2 Stunden nur Schweiß abwischen. Auch das sollten sich so manche Wirtschaftstreibende einmal überlegen.

Stärkung beziehungsweise Ausbau des Arbeitsmarktservice ist ein Muss! Die Aktion 45 plus ist ein Vorschlag, der gut ist. Aktion 20 000 ist gut, 45 plus ist der nächste Schritt, der gemacht werden muss. Vielleicht fällt uns allen ja etwas ein – wir sind ja nicht schuld, wie ich da drüben (in Richtung ÖVP weisend) gehört habe –, wie man Gastronomie, Kunst, Kultur, aber auch dem Sport hilft!

Ich meine, was ist denn das für ein Herumgeeiere? Der Bundesliga sagt man: Jetzt wartet einmal! Nein, duschen dürft ihr nicht gemeinsam, Fußball spielen dürft ihr, berühren dürft ihr euch nicht! – Dann sage ich halt Nein, dann können die sich darauf einstellen, oder ich mache es so, wie es auch im Wirtshaus möglich ist, dass ich zu viert einen Ballkampf machen und zu viert anstoßen darf – das wäre doch auch eine nette Sache. (Heiterkeit bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.) Vielleicht sollte man da aber einmal klare Regeln finden. Nur klare Regeln geben Sicherheit.

Zu den Grenzen: Die werden nicht wir öffnen, aber in Verhandlungen mit Nachbar­staaten muss uns da etwas gelingen.

Frau Minister, es stehen die Budgetverhandlungen an, und Sie sind die Ministerin, die meines Erachtens momentan die wichtigste in diesem Staat ist: Sie sind für Arbei­terinnen und Arbeiter zuständig. Ich hoffe, dass Sie bei diesen Budgetverhandlungen den großen Kuchen für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abstauben werden. (Bundesrat Preineder: Es wird keinen Kuchen geben!) Das wünsche ich Ihnen. Dazu brauchen Sie aber gute, innovative Konzepte, und die müssen rechtzeitig auf dem Tisch liegen. Bitte kämpfen Sie um das Geld der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Rösch.)

Schaffen Sie in diesen finsteren Zeiten Leuchttürme, an denen man sich orientieren kann. Diese schaffen Sicherheit und geleiten ziemlich gut. Das müssen aber schon Sie mit Ihrem Team machen. (Bundesrat Preineder: Ihr könnt es eh nicht!)

Die Pflege wurde besprochen, ich strapaziere sie nicht mehr, denn das Pflegepersonal, das sind ja unsere Heldinnen und Helden überhaupt. Die vergessen wir aber gleich wieder einmal, und ich bin mir sicher: Gar so viel werden wir für die nicht machen, oder (in Richtung Bundesminister Anschober, der auf sein Tablet blickt) ist da schon etwas in Planung, Herr Sozialminister? (Heiterkeit bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ. – Ruf: Der passt nicht auf!) – Nein, es geht ja um die Pflege, ist ja nicht so wichtig.

Noch einmal (Bundesrat Schennach: Die Salzburgerin Edtstadler telefoniert ...!) – der Sonderzug nach Wien –: „Koste es, was es wolle“, es wird niemand zurückgelassen – doch die Hilfe kommt oft weder rasch noch unbürokratisch genug, und manchmal kommt sie nie. Frau Minister, ich hoffe und ersuche Sie im Namen aller ÖsterreicherIn­nen: Bleiben Sie Arbeitsministerin und werden Sie nicht zur Arbeitslosenverwalterin! – Danke. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

17.46

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr MMag. Dr. Michael Schilchegger. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.