19.57

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Werte Herren Volksanwälte! Werte Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren, die via Livestream noch dabei sind! Ich bin der Volksanwaltschaft sehr, sehr dankbar für diesen Sonderbericht „Keine Chance auf Arbeit – Die Realität von Menschen mit Behinderung“.

Dieser Bericht, meine Damen und Herren, ist aus meiner persönlichen Sicht eine Bank­rotterklärung für den Sozialstaat Österreich. Dieser Bericht ist ein Armutszeugnis für Ös­terreich.

Ich wünsche mir, dass der Bericht gleichzeitig aber auch ein Weckruf ist, ein Weckruf für die Politik, ein Weckruf für uns alle und ein Weckruf natürlich ganz besonders für die derzeitige Regierung. Die meisten Menschen mit Behinderung, denen eine Leistungsfä­higkeit von unter 50 Prozent attestiert wurde, haben derzeit in Österreich nur zwei Mög­lichkeiten: entweder sind sie in einer Beschäftigungstherapiewerkstätte beziehungswei­se in einer ähnlichen sogenannten Tagesstruktureinrichtung, oder sie sind zum Nichts­tun verurteilt. Obwohl in diesen Einrichtungen sehr wohl richtige Arbeiten – natürlich in einem gewissen Umfang – durchgeführt werden, gibt es lediglich ein Taschengeld, und dieses Taschengeld beträgt im Schnitt weniger als 100 Euro pro Monat.

Diese Einrichtungen sind natürlich auch problembehaftet, denn in den meisten dieser Einrichtungen gibt es eine sogenannte Fehltagsobergrenze von 50 Tagen pro Jahr. Wer diese Grenze erreicht, verliert den Platz in der Werkstatt und somit auch ein bisschen Wertschätzung und ein bisschen ein besseres Leben. Die Möglichkeit, in den Kranken­stand zu gehen, so wie wir, die wir im Arbeitsleben stehen, sie haben, gibt es in so einer Werkstätte leider nicht.

Da beißt sich auch die Katze in Wahrheit in den Schwanz, wie man so schön sagt. Ein Problem ergibt das nächste Problem und führt zur nächsten Schwierigkeit und zur nächs­ten Schwierigkeit und so weiter und so fort.

Menschen mit Behinderung sind nicht ausreichend beruflich integriert beziehungswei­se – man kann es so sagen – gibt es in Österreich de facto keinen inklusiven Arbeits­markt. Deshalb sind sie – diejenigen, die einen Platz bekommen – auf eine Beschäfti­gung in diesen Werkstätten angewiesen. Gleichzeitig haben sie oft auch keine Wahlmög­lichkeit zwischen verschiedenen Werkstätten. Dazu kommt dann noch die Komponente des Stadt-Land-Gefälles.

Einer der für mich schwerwiegendsten Punkte: Es kann in diesen Werkstätten kein ei­gener Sozialversicherungsanspruch erworben werden. Für ihre Arbeit erhalten sie nur Taschengeld und keinen Lohn. Aus diesem Grund sind Menschen mit Behinderung, die es betrifft, in einer Zwangssituation.

Lassen Sie sich das noch einmal durch den Kopf gehen: Im Jahr 2020 erwerben Men­schen mit Behinderung durch ihre Arbeit in Werkstätten keinen eigenen Anspruch auf Sozialversicherung.

Meine Damen und Herren, jeder kann in diese Situation kommen. Kollegin Eder hat es gesagt, sie war mit 18 Jahren eine Spitzensportlerin im alpinen Skilauf, und ein Unfall hat ihr Leben von einem Tag auf den anderen verändert. Es kann jeden von uns be­treffen: durch Krankheit, durch einen Unfall, durch einen Zeckenbiss.

Wir haben das Geld für alles und für jeden, meine Damen und Herren. Wir haben Geld für den Genderwahnsinn, damit unsere Kinder bei der Pisa-Studie noch schlechter da­stehen, als es eigentlich sein müsste, und noch mehr Analphabeten produziert werden, als es schon gibt. Wir haben Geld dafür, dass in Städten Ampelsysteme umgebaut wer­den, nicht weil sie kaputt sind, sondern damit sich niemand diskriminiert fühlt, weil kein gegendertes Pärchen bei Grün über die Straße stolziert. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Wir haben Geld dafür, dass sich irgendwelche Typen – mit Verlaub – anpinkeln lassen. Das wird mit Steuergeld gefördert! Wir haben Geld dafür, dass die heilige Mutter­gottes mit einem Kondom überzogen und als Kunst ausgestellt wird. So etwas wird mit Steuergeld gefördert! Wir haben Millionen für den Aufbau der Polizei in Afghanistan. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Ja, das wollen Sie alles nicht hören, aber das ist die Wahrheit. (Neuerliche Zwischenrufe bei der SPÖ.) Wir haben Millionen für abartige Blut­kunst. Wir haben Millionen an Steuergeldern, erst kürzlich wieder, zusätzlich zu den so­wieso fließenden Subventionen, um Medien noch in der Coronakrise zu kaufen, damit noch mehr auf die Regierung eingeschworen sind. Es ist einfach nur mehr irre. – Aber wir haben im Jahr 2020 kein Geld dafür, dass Menschen mit Behinderung durch ihre Tätigkeit in den Werkstätten einen eigenen Anspruch auf Sozialversicherung haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Noch etwas, das Sie wahrscheinlich auch wieder nicht hören wollen, aber auch dieser Vergleich muss gestattet sein: Warum erhalten Menschen in Behindertenwerkstätten nicht zumindest jenen Stundenlohn als Zuverdienst, den zum Beispiel Asylwerber für freiwillige Gemeindetätigkeiten zusätzlich zur Mindestsicherung bekommen? (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Beer: Schieß nicht so übers Ziel hinaus! – Zwischenruf der Bun­desrätin Hahn.)

Wieso sind diese Menschen mit besonderen Bedürfnissen oftmals nur mitversichert, so wie Minderjährige, während Asylanten, ohne jemals etwas bei uns eingezahlt zu haben, vom ersten Tag an automatisch kranken- und unfallversichert sind und oft auch noch ganz andere Leistungen in Anspruch nehmen? Genau das ist das, was die SPÖ hier in diesem Fall nicht hören will, aber das ist die Wahrheit. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Es geht da nicht um ein Auseinanderdividieren von Gruppen, sondern es geht darum, welchen Schwerpunkt man setzt. (Beifall bei der FPÖ.) Wir sind und ich persönlich bin immer noch der Meinung: Österreich zuerst! (Neuerlicher Beifall bei der FPÖ. – Rufe und Gegenrufe zwischen BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

Die Tatsache, dass die Betroffenen von den Leistungen der Sozialhilfe beziehungsweise von den Waisenpensionen abhängig sind, zeigt auf, dass sie sich nichts Eigenes schaf­fen können. Die haben gar keine Chance, die können sich nichts Eigenes schaffen. Der fehlende Sozialversicherungsanspruch und die Qualifizierung als nicht arbeitsfähig be­deuten gleichzeitig auch, dass Betroffene Maßnahmen des AMS nicht in Anspruch neh­men können und in Wahrheit auch keine Chance haben, auf dem Ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Liebe SPÖ, hören Sie lieber mehr zu und regen Sie sich weniger auf! Sie haben später die Möglichkeit, herauszukommen und selber zu reden. (Beifall bei der FPÖ.)

Es gibt, meine Damen und Herren, für diese Gruppe keinen Pensionsanspruch und da­mit auch keine Möglichkeit der Alterspension. Das wiederum hat zur Folge, dass aus vielen Wohneinrichtungen auch alte Menschen mit Behinderung tagsüber in Werkstätten gehen müssen, weil andere Betreuungseinrichtungen ganz einfach fehlen.

Wenn man das alles hört, meine Damen und Herren, dann müssen wir als angeblicher Sozialstaat uns schämen. (Zwischenruf des Bundesrates Beer.)

Bevor ich mir Notizen zu dieser Rede gemacht habe, dachte ich mir, ich rufe Freunde und Bekannte an, die selbst davon betroffen sind. Ich wollte ihnen hier und heute die Möglichkeit einer Bühne geben, einmal zu sagen und vorzubringen, was man vielleicht im System verbessern müsste. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Meine Damen und Herren, das deckt sich eins zu eins mit der Auflistung des Sonderberichts der Volksan­waltschaft. – Darum noch einmal ein herzliches Dankeschön für diesen Bericht und auch ein Dankeschön dafür, dass Sie im Gegensatz zu den Regierungsmitgliedern uns bei den Reden zuhören, aufpassen und nicht die ganze Zeit mit den Handys spielen, auch für diese Wertschätzung ein großes Dankeschön. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren! Die Tochter eines Freundes ist auch eine Betroffene. Sie hat Glück, sie ist in einer Einrichtung, und sie selbst ist dort, glaube ich, auch ganz glücklich. Ihr Vater hat mir gesagt: Auf dem Arbeitsmarkt hast du ohne einen Schieber keine Chance. Ja, du darfst hin und wieder probearbeiten gehen, aber ohne Chance, dass du wirklich einen Arbeitsplatz bekommst. Ohne Schieber geht es einfach nicht. Seine Toch­ter erhält im Monat zwischen 50 Euro und 70 Euro Taschengeld. Sie bekommen für die Tochter eine erhöhte Kinderbeihilfe. Für den Rest müssen die Eltern aufkommen. Ihr ganzes Leben lang sind die Eltern verantwortlich.

Er hat sich nicht bei mir beklagt, dass sie als Eltern ihr ganzes Leben lang für ihr Kind aufkommen müssen, aber wissen Sie, was er – und da sind mir die Tränen gekommen – am Telefon zu mir gesagt hat? – Seine einzige Sorge war: Was ist mit meinem Kind, wenn wir einmal nicht mehr sind?

Ich sage es nochmals: Im Jahr 2020 erwerben Menschen mit Behinderung durch ihre Tätigkeit in Werkstätten keinen eigenen Anspruch auf Sozialversicherung, und genau aus diesem Grund stellen wir folgenden Entschließungsantrag:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Andreas Arthur Spanring, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Lohn- und Sozialversicherungspflicht statt Taschengeld in Behindertenwerkstätten“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass

1. ein verpflichtender Mindestlohn für Beschäftigte in Behindertenwerkstätten und

2. eine verpflichtende Sozialversicherung, neben Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenver­sicherung, insbesondere auch zur Pensionsversicherung, für Beschäftigte in Behinder­tenwerkstätten schnellstmöglich eingeführt werden.“

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Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, unterstützen Sie unseren Antrag! Setzen wir alle gemeinsam die von der Volksanwaltschaft im Sonderbericht geforderten Empfehlungen um! (Beifall bei der FPÖ.)

20.08

Vizepräsident Michael Wanner: Der von den Bundesräten Andreas Spanring, Kolle­ginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Lohn- und Sozial­versicherungspflicht statt Taschengeld in Behindertenwerkstätten“ ist genügend unter­stützt und steht damit in Verhandlung.

Weiters zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Hauschildt-Buschberger. Ich erteile es ihr.