10.23

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin, auch ich darf Ihnen meinen herzlichen Glückwunsch zur Vorsitzübernahme übermitteln.

Sehr geehrter Herr Außenminister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Eine weltweite Pandemie, wie wir sie in den letzten Monaten erleben mussten, hat natürlich wirt­schaftliche, soziale, politische und geopolitische Auswirkungen auch auf die EU-Außen­politik. Die EU muss in besonderer Weise handlungsfähig bleiben, vor allem in den Beziehungen zu den USA, zu China und Russland – zu den großen Playern.

Was bedeutet das aber für die EU und auch für Österreich? – Das bedeutet enorme Anstrengungen im Bereich der humanitären Hilfe und – was Österreich betrifft – die Zusammenarbeit mit den Schwerpunktländern der Entwicklungszusammenarbeit. Eine weltweite Pandemie verstärkt das und fordert insbesondere die Hilfe für jene Staaten ein – ich fokussiere da auf Afrika –, die das nicht aus eigener Kraft schaffen und auch keine Zahlen liefern können. Außenpolitisch bedeutet das aber auch die Bekämpfung von Desinformation – es gibt derzeit im Internet so grauenhafte Geschichten – und von Cyberangriffsversuchen; das sind Dinge, die wir zu bekämpfen haben.

Das Wichtigste nach einer langsam zu Ende gehenden, aber doch immer wieder aufflackernden Pandemie ist aber die Zukunft des Multilateralismus. Wir sind keine Insel, Österreich ist keine Insel, Europa ist keine Insel – Europa ist ein Kontinent. Wir brauchen den Kontakt zueinander und miteinander in jeder Hinsicht. Wir brauchen, was die Europäische Union betrifft, das Programm Next Generation EU; ich halte das für außer­ordentlich wichtig. Für sehr beschämend halte ich aber die Haltung der österreichischen Bundesregierung, sich mit den geizigen vier in den Winkel zu stellen, anstatt zu erkennen, dass es jetzt große Schritte und große Anstrengungen braucht, um all die Dinge zu erreichen, die zu erreichen notwendig sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Gestern hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet: Er fordert eine globale Waffenruhe. Bedenken wir das in Anbetracht dessen, was derzeit in Syrien oder im Jemen los ist, und dass Israel seit gestern versucht, weitere Teile Palästinas unter seine Kontrolle zu bringen und sich anzueignen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist aber nicht seit gestern bekannt!) Bitte? (Bundesrätin Mühlwerth: Ist aber nicht seit gestern bekannt!) Nein, aber gestern begann die Maßnahme, liebe Frau Mühlwerth. – Das alles, und dann eine Pandemie in einem eigentlich spannenden Fest­jahr: 75 Jahre vereinigte Staaten Europas, 75 Jahre UNO.

Bedauerlich ist nur, wenn man diese UN-Resolution von gestern liest, dass man feststellt, dass es da kein klares Bekenntnis gibt und dass eine Teilorganisation oder eine Nebenorganisation der UNO namentlich fehlt, das ist die WHO. Man schreibt zwar, dass alle wesentlichen Teile der UNO wichtig sind, aber in einer Krise, ausgelöst durch einen Präsidenten, der nicht mehr wirklich alles richtig unter Kontrolle hat bezie­hungsweise ein gefährliches, unkontrolliertes Missile ist, wäre es wichtig gewesen, auch die WHO namentlich zu nennen. Wichtig ist, dass wir unsererseits, auch als Österreich, klare Zeichen der Wertschätzung in Richtung WHO setzen. Ich glaube, das ist unum­gänglich und das ist wichtig.

Vor allem kommen wir jetzt in weitere Krisen hinein. Seit gestern gilt ja ein neues chinesisches Gesetz in Hongkong, und allein gestern wurden 300 Menschen verhaftet – 300 Menschen, denen aufgrund des neuen chinesischen Gesetzes horrende Strafen drohen. Da muss die Weltgemeinschaft – der Sicherheitsrat –, aber auch die Euro­päische Union mit einer klaren Sprache sprechen. Auch das seltsame Referendum in Russland mit dieser beängstigenden Mehrheit gehört aus europäischer Sicht hinterfragt. Dem weltweiten, speziell in den Vereinigten Staaten stattfindenden Aufschrei der Bür­ger­bewegung Black Lives Matter – die ja auch in Österreich eine wirklich imposante Demonstration hervorgebracht hat – gehört aller Respekt. Auch im Rahmen der öster­reichischen Außenpolitik, Herr Außenminister, braucht es mehr als nur Worte wie: Ich glaube an die innere Kraft des Rechtsystems der Vereinigten Staaten. Ich glaube das nicht und viele andere glauben das auch nicht. (Vizepräsident Wanner übernimmt den Vorsitz.)

Kommen wir nun zu der Frage zurück, was wir in Europa brauchen – oder anders: Am letzten Wochenende hatte ich vier Tage lang zum ersten Mal wieder face to face die Leitung der Wahlbeobachtungsmission des Europarates in Polen inne. Was mir dabei aufgefallen ist: eine Präsidentschaftswahl unter den Voraussetzungen und unter dem Eindruck der Pandemie funktioniert; vor allem aber – ich hatte ungefähr 40 Interviews mit Wählern und Wählerinnen gemacht – dieser immense Hunger nach Demokratie und Wahlen. Man muss sich vorstellen, vor manchen Wahllokalen standen die Leute 3 Stun­den – 3 Stunden! –, weil sie wussten: Wir wollen trotz Pandemie heute unsere Stimme für einen Wechsel in Polen abgeben!

Gratulation den Menschen in Polen, dass sie es geschafft haben, zumindest einen zweiten Wahlgang, der in zehn Tagen stattfindet, zu erreichen. Ich nehme an, dass die Wahlbeteiligung, die diesmal schon einen Höhepunkt erreicht hat, einen weiteren Höhepunkt erreichen wird.

Was die Pandemie aber auch zeigt – das betrifft nicht nur Österreich, es betrifft Europa und die ganze Welt –, ist, dass es ohne faire Löhne, weltweit, nicht geht (Beifall bei der SPÖ), dass es ohne menschliche Arbeitsbedingungen nicht geht! Wir mussten mit Er­schrecken zum Beispiel Details zu den Arbeitsverhältnissen in deutschen Schlacht­betrieben erfahren oder sklavenähnliche Arbeitsbedingungen in der österreichischen Landwirtschaft feststellen. Das geht nicht! Wir müssen unsere Kraft dafür aufwenden, das zu verändern, und das ist eine der ganz großen Lehren dieser Pandemie.

Es gehört aber auch dazu, dass das Recovering, also der Wiederaufbau Europas, Österreichs, nur gelingt, wenn wir drei Dinge miteinander verbinden: die Wiederbelebung der Wirtschaft, alle nur möglichen Maßnahmen zu unternehmen, um Arbeitsplätze zu schaffen, und gleichzeitig die beiden anderen Herausforderungen unbedingt miteinander zu verknüpfen, nämlich den ökologischen und den digitalen Wandel. Das ist eine Einheit, denn so oft wird Europa nicht 750 Milliarden Euro in die Hand nehmen können, um Investitionen zu tätigen und Maßnahmen zu setzen.

In diesem Sinne hoffen wir natürlich, dass Österreich in der Außenpolitik aktiv weiter­macht, dass Österreich seine Verpflichtungen im Bereich der humanitären Hilfe, speziell gegenüber den Schwerpunktländern der Entwicklungszusammenarbeit, wahrnimmt, verstärkt und intensiviert, denn das ist auch eine Lehre, die wir aus dieser Pandemie ziehen: Wenn wir alleine die Zahlen anschauen – Indien 605 000 Infizierte, Russland 650 000 Infizierte, in den USA täglich 52 900 Infizierte; von Brasilien und der Unfähigkeit eines Präsidenten möchte ich hier gar nicht sprechen –, dann muss man sagen, das bedeutet, diese weltweite Pandemie ist da, ist existent.

In diesem Sinne, Herr Außenminister: Klare Worte! Klare Worte zu Konfliktherden, klare Worte, wo es notwendig ist, und klare Initiativen, wo Österreich initiativ sein muss! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

10.34

Vizepräsident Michael Wanner: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile es ihr.