10.44

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident, vielen Dank für Ihre Präsidentschaft und alles Gute für Sie auch in Salzburg! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Mühlwerth (Bun­desrätin Mühlwerth: Ja!), als gebürtiger Ausländer, wenn ich das so sagen darf, ich bin ja in den Niederlanden geboren (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, das wissen wir eh! – Bundesrat Steiner: Ja, das trägst du ja vor dir her!) – ich bin es mittlerweile gewöhnt, dass man, wenn man hier zu reden anfängt, gleich einmal aus der ersten Reihe beflegelt wird (Bundesrat Steiner: Ich beflegel dich nicht!) –, als gebürtiger Niederländer darf ich sagen, es gehört immer auch dazu, sich in Österreich zu Hause zu fühlen. Wenn ich nach Österreich komme, komme ich nach Hause.

Ich bin in Bad Ischl aufgewachsen, ich bin also in Bad Ischl zu Hause. Ich lebe seit langer Zeit in Wien, im 15. Bezirk, und ich bin im 15. Bezirk zu Hause, und wenn ich nach Putten fahre, meinem Geburtsort in den Niederlanden, dann komme ich auch nach Hause. (Bundesrätin Mühlwerth: Das mag schon sein! Aber du sagst nicht: Ich bin Ausländer!) Es ist nicht so, dass es ein Entweder-oder ist (Bundesrätin Mühlwerth: Hab ich auch nicht gesagt!), es ist immer auch ein Teil der Biografie, dass man das alles einfach in sich trägt. Wir können Biografien nicht abschaffen und das ist ein ganz wichtiger Bestandteil davon. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrätin Mühlwerth: Aber die Zuge­hörigkeit muss schon klar sein!)

Ich hätte ja ein Ticket für das Euro-Fußballspiel Niederlande gegen Österreich in Amsterdam gehabt – leider hat es wegen Corona nicht stattgefunden –, und ich muss gestehen, ich habe schon überlegt, welches T-Shirt ich anziehe. Es hätte schon orange sein können, einfach weil ich im Fußball ein riesiger Oranje-Fan bin. Das wurde mir von meiner Familie einfach mitgegeben, und würde ich ein österreichisches T-Shirt anziehen, so hätte ich das Gefühl – ich gebe es zu –, ich verrate alles, wofür mein Großvater stand (erheitert), der selber ein Fußballer war, und das kann man nicht wegnehmen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das ist aber was anderes, beim Fußball!)

Eines möchte ich aber schon auch sagen, bevor wir da zu einer Wiener integrations­politischen Diskussion kommen, obwohl wir eigentlich über Außenpolitik sprechen wollen: Der Grund, warum so mancher junge Mensch aus der Türkei – und ich halte es auch für problematisch, dass wir eine Stimmung in diesem Land haben, die das bewirkt –, warum sogar hier geborene Menschen sich einer faschistischen Organisation der Türkei zugehörig fühlen – und das ist ein Problem, das auch deshalb entsteht –, ist, weil es hier Kräfte gibt, die immer wieder sagen: Du bist Türke, du bist Ausländer, wir wollen dich hier nicht, wir integrieren dich nicht! (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.)

Wir wissen, welche Kraft das ist: Das ist Rassismus, der auch politisch vertreten ist, und das ist das Problem, das wir in diesem Land haben. (Beifall bei den Grünen.) Zur Integration gehört nämlich nicht nur, dass die sich bemühen, sondern auch, dass man sagt: Komm zu uns, wir arbeiten zusammen und wir tun gemeinsam etwas! – Integration ist immer beidseitig, zwei Wege, nicht eine Einseitigkeit. (Bundesrätin Mühlwerth: Ja, aber schon stärker ...!)

Reden wir aber über Außenpolitik! Wir haben vorhin über Salzburg gesprochen; der Salzburger Landeshauptmann war ja hier und hat das Thema Stabilität und Zusam­menhalt als Motto für das halbe Jahr der Salzburger Präsidentschaft ausgegeben. Diese zwei Worte beschreiben auch die außenpolitischen Herausforderungen, die jetzt nicht nach der Coronakrise, sondern, müsste man eigentlich sagen, jetzt mitten in der Corona­krise, zu bewältigen sind.

Es war ja ganz interessant, was Ralf Beste, der Botschafter Deutschlands in Österreich und damit sozusagen der Botschafter des neuen Ratspräsidenten, gestern im EU-Ausschuss gesagt hat, als wir eine Aussprache mit ihm hatten; wer von Ihnen gestern dabei war, hat es gehört. Er hat einen ganz interessanten Satz gesagt. Er hat nicht das Wort Entschuldigung in den Mund genommen, hat aber etwas festgestellt, was sofort, als die Coronakrise ausbrach, zwischen den Ländern s passiert ist, nämlich etwas, das auch die Menschen selbst gemacht haben: Man hat angefangen zu hamstern. So wie Menschen gesagt haben: Ich will das Klopapier haben, damit mein Nachbar es nicht hat!, haben auch Länder gesagt: Wir wollen die Schutzausrüstungen haben, damit der Nachbar sie nicht hat!

Es geht also um dieses grundmenschliche Prinzip, dass man sich selbst am nächsten ist, um ein offensichtlich zutiefst in der menschlichen Natur steckendes Bedürfnis, zuerst einmal auf sich selbst zu schauen. Erst später, erst danach kommt man drauf, dass Teilen, dass Solidarität, dass die schönen Worte Stabilität und Zusammenhalt, wenn ich sie noch einmal wiederholen darf, eigentlich viel mehr dazu beitragen, dass wir in einer guten Gesellschaft leben; dass es einem selbst auch besser geht, wenn man in der Coronazeit für eine Nachbarin, die nicht in der Lage ist, einzukaufen, weil sie zur Risikogruppe gehört, einkauft, dass es hilft, ihr zu helfen. Das ist eigentlich auch die große außenpolitische Herausforderung, vor der wir stehen.

Solidarität und Zusammenhalt sind sicher die großen Themen in einer durchaus sehr schwierigen Zeit, denn wenn wir einen globalen Rundblick machen – Kollege Schennach hat das schon in einer sehr eindrücklichen und guten Art und Weise gemacht –, sehen wir, dass die Herausforderungen, die wir in Europa haben, tatsächlich sehr große sind. Ich schließe mich Ihrer Meinung an, Herr Kollege Schennach: Die Antworten müssen auch europäisch sein. Auch wir pochen ganz stark auf die europäische Solidarität, ich halte sie für ganz entscheidend.

Wir haben gerade in Russland ein Referendum gehabt. Das kann man als Europäer natürlich nur zur Kenntnis nehmen, die Frage aber ist: Was bedeutet das für Europa, wenn eine Macht einzementiert wird? Die Frage ist auch, ob das noch Demokratie genannt werden kann oder nicht. Betreffend die Einflussnahmen, die schon genannt worden sind: Wir wissen von Russland, dass es da sogar Agenturen gibt, die dazu beitragen, Fehlinformationen zu lancieren, und dass die Spaltung Europas ja geradezu ein dezidiertes Ziel ist.

Da liegen vielleicht auch die Schwierigkeit und die Herausforderung für ein demo­kra­tisches Land wie Österreich, aber auch für demokratische Institutionen wie Europa, denn wir streiten ja – das gehört zur Demokratie ja dazu –, und Streit hat natürlich auch zur Folge, dass man leichter gespaltet werden kann, weil man die unterschiedlichen Positio­nen offen austrägt. Inwieweit wir unsere Positionen offen austragen, streiten und inwie­weit wir auch sagen: Stopp, das ist Demokratie, wir wollen das so!, ist eine große Herausforderung in der Außenpolitik, weil die Kräfte, die keine Demokratie wollen, derzeit auf dem Vormarsch sind; das muss man so sagen.

Dazu zählt beispielsweise auch China. (Bundesrat Rösch: Also wenn man damit meint, die eigene ...! Ja, das ist ja wirklich ...! Das ... Stoff ...!) – Sie können sich gerne zu Wort melden! Es war gestern im EU-Ausschuss von einem Ziel der deutschen Rats­prä­sidentschaft die Rede, das da lautet, dass wir uns eine kohärente China-Politik wünschen. Ich habe dann nachgefragt: Was bedeutet eigentlich eine kohärente China-Politik? – Das bedeutet ja, dass wir bisher keine hatten, und das ist eine sehr inter­essante Frage. (Bundesrat Rösch: Seine Meinung ist jetzt demokratisch! So was Selbst­gerechtes!)

Gerade in China, mit dem wir wirtschaftspolitisch und wirtschaftlich sehr stark zusam­menhängen und verknüpft sind, werden gleichzeitig die Menschenrechte in immer brutalerem Ausmaß mit Füßen getreten. Denken wir an die sogenannten Erziehungs­institutionen, wie sie sie nennen, in denen viele Muslime und Musliminnen der Uiguren und Kasachen, aber zum Beispiel auch Christen inhaftiert sind. Gerade erst vor einigen Tagen ist das Buch einer Kasachin erschienen – ich habe ihren Namen nicht notiert –, in dem sie genau schildert, wie brutal es in diesen Lagern zugeht. Da kann man auf Dauer nicht wirklich zuschauen, und eine kohärente europäische Politik gegenüber China ist da sicher spannend. (Bundesrätin Mühlwerth: Komisch, dass euch das jetzt auffällt! ... seit Jahren!)

Sehr spannend wird natürlich auch das Verhältnis zu den USA sein. Wir alle wissen nicht, wie es im November ausgeht; wahrscheinlich haben wir alle recht ähnliche Wün­sche, wie es ausgehen soll, wir wissen es aber natürlich nicht. Eines ist aber betreffend die USA sehr spürbar: dass dieses Land so gespalten ist wie noch nie (Bundesrat Steiner: Der USA-Profi! – Bundesrätin Mühlwerth: Da bin ich mir nicht so sicher!) und dass die Frage, wie wir zusammenhalten, angesichts all dieses Streits, den es gibt, eine weltweit zu beantwortende demokratische Frage ist. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

10.53

Vizepräsident Michael Wanner: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Bun­desrat Schennach zu Wort gemeldet.