14.24

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsi­dentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist, wie so oft, schon wieder ein Konvolut an verschiedensten Materien, die zwar in die­sem Fall allesamt im Bildungsministerium angesiedelt sind – so weit, so gut –, thema­tisch aber haben sie zum überwiegenden Teil nichts oder kaum etwas miteinander zu tun. Das macht es schwierig in der Beurteilung und in der endgültigen Entscheidung, ob man zustimmen kann oder nicht. Man könnte fast meinen, da steckt ein bisschen System dahinter, aber sei es drum.

Einiges ist durchaus nachvollziehbar und zu befürworten, wie zum Beispiel der Lehrgang für Früherziehung. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt, alleine aufgrund der Tatsa­che, dass ja der Bedarf an Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige stetig zunimmt und sicher auch noch steigen wird, und daher braucht es natürlich auch speziell dafür ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen. (Beifall bei der SPÖ.)

Auch die Überführung von Schulversuchen in das Regelschulwesen in den Bereichen Leistungssport und darstellende Kunst, wie wir es gerade gehört haben, ist begrüßens­wert.

Kritisch sehen wir dagegen das Verschieben der Einführung der Nost, also der neuen Oberstufe, auf das Schuljahr 2023/24. Ich glaube, gerade die Phase des Homeschool­ings, aber auch die Phase danach, also der Schichtbetrieb, und die Ergebnisse der Ma­thematura haben uns deutlich gezeigt, dass es in der Oberstufe noch ganz, ganz viel Verbesserungsbedarf gibt.

Die Einführung der Nost wäre zumindest ein Schritt in Richtung einer modernen Bildung gewesen, nämlich vor allen Dingen durch eine wirksamere Orientierung an den Interes­sen und Stärken der Schülerinnen und Schüler. Das wieder nach hinten – und relativ lange nach hinten – zu verschieben ist aus meiner Sicht sehr kurzsichtig. Ich glaube, eine Adaptierung anhand einer Evaluierung, die jetzt erst angegangen wird, hätte in Wahrheit schon lange stattfinden können und müssen. Wieder werden drei Schuljahre unnötig verstreichen, ohne dass es in diesem Bereich wirklich zu Verbesserungen kom­men wird.

Dass es dringenden Handlungsbedarf nicht nur in der Oberstufe, sondern eigentlich im gesamten Bildungssystem gibt, wurde uns ja schon lange vor Corona bestätigt. Ich darf an dieser Stelle an den Nationalen Bildungsbericht erinnern, den wir hier 2019 bereits ausführlich diskutiert haben und der uns aufgezeigt hat, wie stark Bildung in Österreich in Wahrheit vererbt wird, immer noch und immer stärker, und dass der sozioökonomi­sche Hintergrund der Eltern viel zu oft verantwortlich für die Bildungskarriere ihrer Kinder ist. Die Covid-19-Krise hat diese Bildungskluft noch viel, viel weiter aufgemacht.

Der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde zeigt auch Interessantes auf, nämlich dass die Schließung von öffentlichen Bildungsein­richtungen die Gefahr birgt, dass sich soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Un­gleichheiten verstärken, insbesondere für Kinder aus benachteiligten Familien. (Beifall bei der SPÖ.) Er bestätigt, was wir immer wieder kritisiert haben, nämlich dass Fernun­terricht mithilfe von digitalen Technologien als Ersatz für einen herkömmlichen Unter­richt, in der Klassengemeinschaft wohlgemerkt, eben nicht in allen Familien möglich oder überhaupt umsetzbar war und ist.

Im Ministerium hat man mit der Sommerschule darauf reagiert. – Besser als gar nichts, wie man so schön sagt; das Problem, das ich dabei sehe, ist, dass die Sommerschule nur auf eine sehr kleine Zielgruppe ausgerichtet ist. Wir haben es schon gehört: Es geht da hauptsächlich um Deutschförderung.

Was aber ist mit jenen Schülerinnen und Schülern, die Probleme beispielsweise in Ma­thematik oder auch in Englisch haben? Was ist mit jenen Schülerinnen und Schülern, die schlicht und einfach Hilfe dabei brauchen, jetzt nach über einem halben Jahr ohne geregelten schulischen Tagesablauf genau diesen wieder aufzubauen? In diese Rich­tung passiert gar nichts. Ich hoffe, das ist irgendwann der Fall, denn das wäre dringend notwendig.

Wien geht da einen ganz bedeutenden Schritt voraus, muss man sagen. (Bundesrat Schennach: Richtig!) Es zeigt mit den Summer-City-Camps, die großen Erfolg haben und sehr gut angenommen werden, eindrucksvoll vor, wie es gehen kann. Ich glaube, daran hätte man sich ein Beispiel nehmen können. Es ist großartig, was da passiert. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Ohne Zweifel – ich glaube, da sind wir uns alle einig – liegt ein sehr aufregendes Schul­jahr hinter uns, auf jeden Fall ein herausforderndes Schuljahr. Wir befinden uns mittler­weile in der ersten beziehungsweise zweiten Woche der Sommerferien. Es darf also schulisch ein bisschen durchgeatmet werden, wenn man das so sagen darf.

Ich möchte daher an dieser Stelle natürlich auch die Gelegenheit nützen, um wirklich ein großes Danke und ein Kompliment auszusprechen, ein Danke in erster Linie den Schü­lerinnen und Schülern, die die Herausforderung, dass es jetzt einfach ganz, ganz anders läuft, in Wahrheit wirklich angenommen haben, die sehr schnell und rasch gelernt haben, mit Homeschooling, mit Schichtbetrieb und vielem anderen mehr, auch mit der vielleicht nicht ganz so einfachen Situation zu Hause umzugehen, und die wirklich ganz, ganz Großartiges geleistet haben, beispielsweise auch im Bereich des digitalen Lernens. (Bei­fall bei der SPÖ.)

Danke natürlich auch den Eltern, den Müttern und Vätern, die entsprechend unterstützt haben, obwohl sie oft wirklich schwierige Situationen vorgefunden haben – ich nenne da nur die Dienstfreistellungen für die Betreuung der Kinder, die notwendig waren, und vie­les andere mehr! Da wurde auch ganz, ganz Großartiges geleistet, das ist sicher keine einfache Aufgabe gewesen.

Selbstverständlich danke ich auch den Pädagoginnen und Pädagogen, die sehr kurz­fristig, von jetzt auf gleich, wie man in Niederösterreich so schön sagt, den Unterricht umstellen mussten und dabei aber auch ganz neue, innovative Lern- und Lehrmethoden entwickelt haben. Da ist eine wahre Digitalisierungsexplosion passiert, da ist ganz, ganz Tolles entstanden. Auch dafür meine Hochachtung allen meinen Kolleginnen und Kolle­gen da draußen! Es ist wirklich ganz, ganz viel weitergegangen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben also gesehen, wo die Chancen für unser Bildungssystem liegen, und ich finde es mehr als schade – nicht nur schade, sondern eigentlich grob fahrlässig –, dass ge­rade diese Entwicklung in Wahrheit gebremst wird und die flächendeckende Ausstattung mit digitalen Endgeräten erst 2021/22 umgesetzt wird. Meines Wissens wird da auch wieder mit den Bundesschulen begonnen, die Pflichtschulen werden wieder vergessen – oder ich weiß es nicht. Wieder wird also etwas Essenzielles nach hinten verschoben, für das es aber bereits ein fertiges Konzept gab und das daher eigentlich sehr schnell hätte umgesetzt werden können. Das ist aus meiner Sicht völlig unverständlich und kurzsich­tig.

Es gibt viele vertane Chancen, anscheinend ist aber in dem Fall politisches Kalkül wich­tiger als eine bestmögliche Bildung und Ausbildung unserer Kinder und ihre Chancen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Mühlwerth: Ma, das sind die alten Stehsätze! Bundesrat Steiner: Da waren die Sozis auch nicht viel besser!) – Sie können sich gerne später zu Wort melden, jetzt aber bitte einmal zuhören, damit man auch entsprechend darauf antworten kann! Zuhören ist eine Stärke, die nicht jeder beherrscht – ich weiß. (Bundesrätin Mühlwerth: Parlamentarismus lebt auch von Zwischenrufen! – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Noch eine Schwäche unseres Schul- und Bildungssystems hat der Lockdown ans Licht gebracht beziehungsweise noch wesentlich stärker aufgezeigt: Die WHO hat ja schon vor Jahren festgestellt, dass sich jeder dritte Österreicher, jede dritte Österreicherin zu wenig bewegt, und auch den Kindern und Jugendlichen fehlt es an Bewegung. Kein Turnunterricht, keine Möglichkeit, sich im Verein sportlich zu betätigen, all das hat wäh­rend der Coronakrise noch das Seine dazu beigetragen.

Bisweilen hat es an den Schulen wirklich kreative und individuelle Lösungen gegeben, Turnstunden per Videokonferenz zum Beispiel, regelmäßig ganze Sportkurse per Lern­video und vieles mehr. Unsere Pädagoginnen und Pädagogen wissen sehr wohl um die Bedeutung der Bewegung im Schulbereich und haben sehr einfallsreich versucht, den durch Schließung der Schulen und Schichtbetrieb sowie durch das quasi Sperren der Sportvereine naturgemäß entstandenen Bewegungsmangel auszugleichen.

Es braucht aber auch, ganz besonders in Zukunft, einen fest in den Stundentafeln der Schulen verankerten regelmäßigen Sport und solche Bewegungseinheiten, und das im besten Falle täglich, denn wir wissen: Regelmäßige Bewegung trägt ganz wesentlich zur Vorsorge, zur Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten, von Erkrankungen des Bewe­gungsapparates und auch zur Unfallverhütung bei, und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass damit so nebenbei die Konzentrationsfähigkeit steigt und bessere schulische Leis­tungen ermöglicht werden.

Wir kennen alle den Spruch mens sana in corpore sano, ich glaube, ich muss es nicht übersetzen. 2018 wurde die flächendeckende Umsetzung der täglichen Turnstunde ab 2020 vom damaligen Sportminister Strache noch groß angekündigt, umgesetzt worden ist sie in dieser Form aber leider nicht, ganz im Gegenteil. (Bundesrat Rösch: Dem ist was dazwischengekommen! – Bundesrat Steiner: Ibiza ist dazwischengekommen!)

In diesem Sinne darf ich heute den folgenden Antrag einbringen – begründet habe ich das, glaube ich, entsprechend ausführlich; der Antrag liegt Ihnen ja auch vor, daher kom­me ich gleich zum Antragstext –:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Doris Hahn, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit bedeutet bessere Gesundheit und Fitness unse­rer Kinder“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, der Bundesminister für Kunst, Kultur, Öffentlicher Dienst und Sport und der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz werden er­sucht, gemeinsam mit den Bundesländern und dem organisierten Sport Bewegungsini­tiativen in den Kindergärten und Schulen weiterhin zu fördern und die flächendeckende Umsetzung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit in allen Kindergärten und Schul­typen voran zu treiben.

Die Umsetzung einer Gesamtstrategie für eine tägliche Bewegungs- und Sporteinheit in allen Kindergärten und Schultypen ist auch ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung un­serer Gesellschaft und wird positive Folgewirkungen vor allem für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie die Motivierung von Kindern und Jugendlichen für den Leistungs- und Spitzensport haben.

Die Bundesregierung wird aufgefordert eine Gesamtstrategie auszuarbeiten, die auch die Öffnung von Freizeitanlagen und von der öffentlichen Hand errichtete und geführte (Schul)-Sportanlagen beinhaltet, damit diese vor allem Kindern und Jugendlichen ganz­jährig zur Verfügung stehen. Zwischen Kindergarten, Schule und dem organisierten Sport mit seinen Verbänden und Vereinen ist eine aktive, wertschätzende Partnerschaft weiter auszubauen. Für die Durchführung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheiten sollten der Zugang für ÜbungsleiterInnen, TrainerInnen bzw. Bewegungscoaches an Kindergärten und schulischen Einrichtungen erleichtert und bürokratische Hürden abge­baut werden.“

*****

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates, eine tägliche Bewegungs- und Sporteinheit würde uns auf längere Sicht jährlich sage und schreibe 530 Millionen Euro an Folgekosten im Gesundheitssystem ersparen.

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Bitte die Redezeit beachten!

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): Ich komme schon zum Schlusssatz.

Nachdem uns die versprochene Patientenmilliarde irgendwo in irgendwelchen Regie­rungsabkommen und -programmen abhandengekommen ist, müsste uns diese tägliche Bewegungseinheit das allemal wert sein. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre Zustimmung und danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

14.35

Vizepräsidentin Mag. Elisabeth Grossmann: Der von den BundesrätInnen Doris Hahn, Kolleginnen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Umset­zung der täglichen Bewegungs- und Sporteinheit bedeutet bessere Gesundheit und Fit­ness unserer Kinder“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Kollegin.