18.53

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eingangs mein Bedauern darüber aussprechen, dass ich ein bisschen zu spät gekommen bin. Das tut mir leid. Es ist kein Signal der Respektlosigkeit, ganz im Gegen­teil, ich möchte mich dafür entschuldigen. Das passt einfach nicht, ist nicht in Ordnung gewesen. (Bundesrätin Mühlwerth: ... Radfahren ...! – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) – Dass man in Wien und in vielen anderen Bereichen mit dem Fahrrad schneller ist als mit dem Auto, ist durchaus nachvollziehbar, da kann ich nicht widerspre­chen. (Ruf: Man muss es auch nutzen!) – Man muss es auch nutzen, ja, deswegen bin ich gerade noch mit der U-Bahn gefahren, lieber Kollege. (Allgemeine Heiterkeit.) Ich weiß nicht, wann das bei dir das letzte Mal der Fall gewesen ist.

Gut, aber kommen wir zum Ernst, denn das, was wir hier diskutieren und beschließen, ist ein sehr ernstes Thema. Ich bin selbst vor längerer Zeit auf dem Land aufgewachsen. Meine Eltern haben in einem kleinen Sacherl gelebt – so hat man bei uns in Oberöster­reich gesagt. Wir haben einen Eber gehabt. Das war mein erster Freund, bei ihm habe ich gehen gelernt, an seinen Ohrwascheln quasi. Die Stube bei uns war vis-à-vis vom Stall, dazwischen hat es den Vorhauseingang gegeben. Dazu hat es ein paar Schweine gegeben, ein paar Hendln, und das war’s in Wirklichkeit.

Die Lebenssituation meiner Eltern, und ich will mich überhaupt nicht beschweren, war Folgende: Mein Vater hat dann das Glück gehabt, dass er Lehrer werden konnte. Er ist mit dem Fahrrad (erheitert) in die nächste Stadt in die Schule gefahren, hat dort unter­richtet, und dann waren meine Leute halt irgendwie halbwegs heraußen.

Die Anfangssituation für sie aber war Armut, und diese Armutssituation – ich glaube, da sind wir uns ja einig – gibt es auch heute noch, in unterschiedlichen Lebensbereichen, in unterschiedlichen Berufsgruppen, bei unterschiedlichen Geschlechtern, bei manchen mehr, bei Frauen nämlich, in manchen Bereichen weniger. Mir als Sozialminister muss es völlig gleichgültig sein, wo Armut zu Hause ist, wer von Armut betroffen ist. Wir müs­sen dagegenhalten, das ist unsere Aufgabe. Wir müssen schauen, dass wir diese Si­tuationen einfach Schritt für Schritt korrigieren. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Liebe KollegInnen, über das Faktum, dass derartige Pensionshöhen, von denen wir jetzt gehört haben, einfach nicht okay sind und in unserer Gesellschaft eigentlich nichts ver­loren haben, dass wir sie verbessern müssen, dass ein Ausgedinge mit den Realitäten der Istzeit, der Gegenwart nichts mehr zu tun hat (Bundesrat Steiner: Abschaffen, das Ausgedinge!), sind wir uns ja grundsätzlich einig, und ich höre auch von der Sozialdemo­kratie keinen Widerspruch.

Ich denke, wir haben da zwei Denkschulen in der Herangehensweise. Die eine Denk­schule heißt: Wir haben ähnliche Situationen auch in anderen Bereichen, also gehen wir es gemeinsam an und versuchen, es gemeinsam zu lösen! Ihr habt gesagt, das ist Ge­rechtigkeit.

Nun kann man auch absolut – und ich stehe zu dem, was da heute beschlossen wird – die andere Denkschule vertreten und sagen: Beginnen wir einmal irgendwo, und Schritt für Schritt versuchen wir ja in der Bundesregierung – das ist ja keine Einmalbeschluss­lage –, das auch für andere Bürgerinnen und Bürger zu realisieren. (Bundesrat Schen­nach: Dann bleibt man beim Einzelschritt stehen!) – Nein, Kollege Schennach, da müs­sen wir uns aber schon die Realitäten ansehen.

Ja, wir befinden uns in einer extrem schwierigen Situation. Du weißt genauso gut wie ich – der IWF hat es vor Kurzem formuliert –: Das ist nicht nur die schwerste Pandemie seit 100 Jahren, sondern es wird weltweit auch die schwerste Rezession seit 90 Jahren sein. Man muss sich vorstellen, was das bedeutet! Das heißt, wir sind wirklich in einer riskanten Situation, in eine schwere soziale Krise hineinzukommen.

Ich glaube, da muss man einfach zusammenarbeiten und kooperieren, und das ist ein­fach mein Appell! Ich weiß, es ist legitim, dass man unterschiedliche Positionen hat und dass man mit Herz und Emotion vertritt und herausarbeitet, was die eigenen Anliegen sind; in Wirklichkeit aber werden wir im sozialpolitischen Bereich viel, viel, viel tun müs­sen, um zu verhindern, was da jetzt droht, nämlich dass Menschen, die überhaupt nichts dafür können, überhaupt nichts, in eine schwere soziale Krise, in eine Lebenskrise ge­raten. Das zu unterbinden muss unser gemeinsames Tun sein.

Nun kann man darüber diskutieren: Ist eine Einmalzahlung etwas, das jemanden weiter­bringt? – Ich sage: Ja, 450 Euro sind für mich persönlich besser als null Euro. Nun kann man aber umgekehrt auch das Argument vorbringen – und das respektiere ich –, dass man die Aufstockung des Arbeitslosengeldes haben will. Wir haben als Bundesregierung so begonnen, dass wir gesagt haben: Jenen, die in der schwierigsten Situation sind, wollen wir als Ersten helfen. Das ist die nicht kleine Gruppe der BezieherInnen von Notstandshilfe – diese haben wir jetzt einmal auf das Niveau des Arbeitslosengeldes aufgestockt. Ich halte das im Übrigen für extrem wichtig und ich gönne es jedem, der aus diesem Grund jetzt ein bisschen mehr Luft zum Atmen hat.

Wir haben geschaut, dass wir den Familienlastenausgleichsfonds nützen, und, ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen, ich stehe dazu: Ich bin froh darüber, dass jetzt auch Bezieherinnen und -bezieher der Mindestsicherung den Zugang zu diesen 450 Euro haben, denn mir ist es gleich, wie Elend entsteht, wo die Herkunft von Elend ist, wo jemand geboren ist, welches Geschlecht das Elend hat. Handeln müssen wir, und da haben wir noch einen großen, breiten Weg vor uns! (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Das, was wir heute tun, soll ein Schritt in diese Richtung sein. Ihr könnt mir glauben, ich bin wirklich dabei, dass wir kämpfen, dass wir weitermachen und dass das nicht der letzte Schritt bleiben wird. Da bin ich mir ganz, ganz sicher. Das, was aus meiner Sicht das Nächstwichtige ist – und das ist eine Riesenherausforderung –, werden große Kon­junkturpakete sein müssen, denn wir müssen mit Investitionen schauen, dass wir aus dieser Situation der Arbeitslosigkeit schnellstmöglich wieder herauskommen.

Wir haben ein paar große Dinge beschlossen, gerade wenn es um die Investitionen in die Energieeffizienz, in die Energiewende, also in diesen großen Green New Deal geht. Das schafft Beschäftigung, das kommt uns allen in dieser Situation zugute. Es sind aber nur erste Schritte. Da muss noch viel kommen, und da werden wir noch viel an Gehirn­schmalz und auch an Solidarität brauchen – miteinander, füreinander und zueinander.

Ich bin froh darüber, dass die Zeiten, als manche Politiker und Politikerinnen der Bevöl­kerung gesagt haben, es gehe ihr dann besser, wenn es dem anderen schlechter geht, in Österreich vorbei sind. In diesem Sinne sollten wir auch gemeinsam arbeiten. Darum ist es besser, jetzt einen Schritt zu setzen, der einer Gruppe, die wirklich akut betroffen ist, hilft und nützt.

Aus meiner persönlichen Sicht werden wir da im Übrigen über viele Dinge reden müssen. Ich halte zum Beispiel die Form der jetzigen Agrarförderung seitens der Europäischen Union für zutiefst unökologisch und unsozial. Auch da müssen wir etwas tun! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Wir werden aus meiner persönlichen Sicht auch in anderen Bereichen handeln müssen, nämlich im Zusammenhang mit Preissituationen. Es kann ja nicht sein, dass ein Land­wirt, eine Landwirtin, die ehrliche Arbeit leisten, für das Produkt, das dann verkauft wird, de facto weniger kriegen als vor 15, 20 oder 25 Jahren. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.) Einen gerechten Preis brauchen wir, und vieles mehr, und das ist ja nicht das Ende von dem, was wir tun.

Wir müssen mit der Bekämpfung der Armut in Österreich Ernst machen! Das, was heute passiert, ist ein Schritt für eine Gruppe, aber mit Sicherheit nicht der letzte Schritt. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Schachner.)

19.01