15.03

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in Zeiten einer Pandemie. Eine Pandemie ist eine weltweite Viruserkrankung, es ist keine regional begrenzte Epidemie. Es gibt deswegen bisher auch nur das Epidemiegesetz, weil wir immer davon ausgegangen sind, dass es so etwas wie eine Viruserkrankung, die weltweit voranschreitet, nicht mehr gibt; es ist auch schon lange her, dass es eine derartige gab. Jetzt befinden wir uns mitten in der schwersten weltweiten Pandemie, die es seit 100 Jahren gegeben hat.

Das ist keine Kleinigkeit, und die Gegenmittel sind in allen Staaten, die betroffen sind – und das ist die ganze Welt –, im Wesentlichen dieselben, es sind seit Jahrzehnten die­selben. Seit Jahrzehnten wissen wir, wie wir zum Beispiel eine große, schwere Influenza­welle in den Griff kriegen, wie wir andere Pandemien in den Griff kriegen. Im Wesent­lichen geschieht dies durch die sogenannte räumliche Distanzierung – ich halte den Begriff soziale Distanzierung für falsch, wir brauchen ein soziales Zusammenrücken und keine Distanzierung –, es geht um den räumlichen Abstand, es geht um Hygiene­maß­nahmen, es geht darum, dass wir den Mund-Nasen-Schutz verwenden. Gleichgültig ob Sie mit mir nach Neuseeland, auf die Philippinen, nach Tokio oder nach Norwegen schauen, wir haben überall, auf der ganzen Welt dieselben Herausforderungen und es werden überall dieselben Gegenmaßnahmen getroffen. (Bundesrätin Mühlwerth: ... WHO! Daran hat sich aber nichts geändert!)

Wissen Sie, wenn Sie die Gegenmaßnahmen vergleichen, dann kommen Sie überall auch auf dieselben Gesetze. Ja, es ist leider so, dass es weltweit Lockdowns in einer akuten Notsituation gegeben hat. Glauben Sie, der sozialdemokratische Ministerprä­sident von Spanien verhängt aus Jux und Tollerei in Madrid einen Lockdown? Er tut dies, weil er keine andere Alternative als diese Notmaßnahmen mehr sieht. Glauben Sie, die Bundeskanzlerin von Deutschland macht etwas Ähnliches in Deutschland, wenn es nicht akut notwendig wäre? Das ist sozusagen der letzte Ausweg, die akute Notmaßnahme. Was wir beziehungsweise was Sie hier heute, so hoffe ich, beschließen, ist nichts anderes als eine Verbesserung dessen – aus meiner persönlichen Sicht, und ich hoffe sehr, dass wir da auf breiter Basis übereinstimmen –, was in einer sehr akuten Situation schnell im März geschlossen und gemeinsam hier verankert wurde.

Wir sehen, dass es da Schwächen gegeben hat, dass wir das optimieren müssen. Wir haben deswegen im August einen entsprechenden ersten Entwurf vorgelegt, sind end­lich wieder in eine Begutachtung gegangen, haben also versucht, die demokratie­politi­schen und parlamentarischen Mindeststandards wieder einzuhalten. Ich bin begeis­tert, froh und dankbar, dass sich zumindest 14 000 Menschen – ich habe jetzt gehört 16 000; ich weiß es nicht, meine letzte Information waren 14 000, das ist auch zweit­rangig (Zwischenruf des Bundesrates Steiner) –, also auf jeden Fall ganz, ganz viele Menschen an diesem Prozess beteiligt haben. Sie haben sich eingebracht und haben viele, viele Verbesserungsvorschläge gemacht. Wir haben den Entwurf daraufhin auf Basis der Vorschläge, die eingegangen sind, noch einmal optimiert. Dann hat es eine kurze zweite Begutachtung innerhalb von, ich glaube, fünf Tagen gegeben; diese wurde noch einmal sehr massiv genützt. Dann hat es hier eine Expertenanhörung gegeben – ich muss in der Männlichkeitsform bleiben, es waren nur Männer, die sich hier als Verfassungs­exper­ten positioniert haben –; diese Experten haben eigentlich auch mit einer einzigen Aus­nahme unisono gesagt: Ja, das ist eine große Verbesserung im Vergleich zum bis­herigen, realen Gesetz, das wir alle, das Sie alle beschlossen haben.

Ich bin sehr froh darüber und es ist gut, dass wir in einer derartig schwierigen Frage – denn was ist schwieriger, als die Balance zwischen Grundrechten und Gesund­heits­schutz zu finden?; das ist immer eine Abwägungsfrage und nie eine Frage, bei der man hundertprozentig sicher sein kann, dass man wirklich richtig liegt – dann auf Parteien­ebene auch noch Verhandlungen und Gespräche geführt haben. Ich bedanke mich ausdrücklich bei ÖVP und Grünen als Regierungskoalition dafür, sich da sehr intensiv eingebracht zu haben. Ich bedanke mich aber auch wirklich sehr stark bei der SPÖ, die dieses Angebot: Schauen wir, dass wir gemeinsam dieses Gesetz optimieren!, mit vielen Vorschlägen, mit konstruktiven Vorschlägen auch noch genützt hat und dieses Gesetz weitergebracht hat. So, glaube ich, haben wir gemeinsam zu einem Ergebnis beige­tragen, das sich sehen lassen kann, das auf jeden Fall eine Verbesserung der Kontroll­möglichkeiten darstellt, das auf jeden Fall deutlich verbesserte Handlungsmöglichkeiten gegen die Krise, gegen die Pandemie beinhaltet, das auf jeden Fall mehr Transparenz bringt und das auf jeden Fall auch einen besseren demokratiepolitischen Standard bringt.

Ja, aus meiner Sicht ist es notwendig, gut und richtig, dass wir jetzt bei Grundrechts­ein­griffen den Hauptausschuss befassen müssen. Jetzt können Sie sagen: Ja, okay, da gibt es auch Mehrheiten! – Die sind eben in einer Demokratie so, wie sie sind, aber alleine bei einem derartigen Schritt das Parlament befassen zu müssen halte ich für einen wichtigen Schritt, für eine wichtige Maßnahme, und es ist gut, dass das erreicht wurde (Bundesrat Steiner: Das ist für die Fisch! Das ist für die Fisch!), dass wir uns gemeinsam darauf geeinigt haben.

Das Zweite, das ich in diesem neuen COVID-19-Maßnahmengesetz für sehr wichtig erachte, ist, dass die Ampel – die Frau Kollegin hat es schon formuliert – jetzt rechtlich abgesichert ist, dass die Ampelkommission rechtlich abgesichert ist. (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Ich bin absolut davon überzeugt, dass uns diese Ampel in den nächsten Wochen und Monaten noch sehr, sehr nützen wird. (Bundesrat Steiner: Ja, für Reisewarnungen!)

Im Übrigen lesen Sie heute in internationalen Zeitungen: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Laschet, sagt, die Coronaampel sollte eine „Blaupause für ganz Deutschland“ werden.

Wir bekommen fast täglich Anfragen aus ganz Europa. Warum? – Nicht deswegen, weil wir eine große Erfindung gemacht haben, sondern weil wir etwas anders machen als andere - - (Bundesrat Rösch: Verstehen die das?) – Ich denke, besser als manch andere. Wir haben nämlich versucht - - (Bundesrat Steiner: Ach so, dann sind wir zu blöd, die Ampel zu verstehen, oder was?!) – Also Ihre Schlüsse sind Ihre Schlüsse. (Bundesrat Steiner: So wie andere ...!) – Ihre Schlüsse sind Ihre Schlüsse, und in diesen Diskurs, Herr Kollege, möchte ich gar nicht eintreten. (Bundesrat Steiner: ... 90 Prozent der Bevölkerung sind zu blöd! Gut zu wissen! Gut zu wissen!) Beruhigen Sie sich wieder! Ich will keinen Diskurs auf dieser Ebene, sondern ich möchte, dass wir uns ge­meinsam und sachlich mit diesem Gesetz, das ein Schlüsselgesetz in Österreich ist, auseinandersetzen.

Das ist die Situation: Wir haben die Risikoanalyse auf breite Beine gestellt. Wir reden nicht mehr nur von den Infektionszahlen, die ein Teil der Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit sind, sondern wir machen eine Risikobewertung, die dazu führt, dass auch die Zahl der Testungen zum Beispiel miteinbezogen wird. Es wäre ja völlig ungerecht – Wien oder Tirol zum Beispiel testen sehr, sehr viel, haben dadurch auch höhere Zahlen –, wenn die nicht mitbewertet werden würde – dann wäre das eine Verzerrung und eine Bestrafung derer, die viel testen, und das kann es ja nicht sein.

Deswegen wird als dritter Faktor auch die Clusteranalyse miteingerechnet und mit­bewertet, und so entstehen diese Risikoabbildungen, die halt durch die Ampelfarben übersetzt werden.

Was ist das Ziel davon? Das Ziel ist, dass man auf den ersten Blick erkennen kann, wie es in der eigenen Wohnregion ausschaut, welche Risikosituation gegeben ist, und dass wir auf dieser Basis dann zusätzliche, auch regional differenzierte Maßnahmen – je nach Ausbruchsgeschehen verankern können. – Und das ist das dritte sehr Inno­vative, denke ich, an diesem COVID-19-Maßnahmengesetz: dass wir erstmals die soge­nannte Kaskade verankert haben. Das bedeutet, dass wir zusätzlich zu allen Bundes­maßnahmen, die wir zum Schutz der Bevölkerung vor Corona setzen, in den Risiko­gebieten, in den gelben und orangen Regionen, durch das Land beziehungsweise durch die Bezirksbehörde die entsprechenden Bundesmaßnahmen verschärfen können, aus­weiten können. Das heißt, dass es eine zweite, regionale Schiene gibt.

Ich habe heute in der Früh mit den Bezirkshauptleuten aus den betroffenen Regionen eine Stunde gearbeitet, und die wollen etwas zustande bringen. Sie haben ein viel de­taillierteres Wissen über die ganz spezifischen Ausbruchssituationen in ihrem Bezirk als wir in der Zentrale, und deren Wissen, deren Know-how in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen zu ermöglichen, regionale Maßnahmen zu setzen, das halte ich – und ich glaube, das ist gerade auch für den Bundesrat ein gutes Thema – für einen guten, wichtigen und richtigen Schritt, der ab dem Wochenende, falls Sie heute die Zustimmung geben, rechtlich möglich und machbar sein wird. Das ist ein guter Schritt, und ich bedanke mich dafür, dass das möglich ist.

Das Zweite: Wir haben die weltweit größte Pandemie – wir sind keine Insel der Seligen, und es ist keine österreichische, sondern eben eine weltweite Pandemie –, und ich könnte Ihnen jetzt seitenweise Zahlen vortragen, und wenn Sie Interesse daran haben, tue ich das sehr, sehr gerne.

Wir sind mittlerweile bei 32 Millionen bestätigten Fällen. 32 Millionen Menschen auf diesem Planeten, die eine Positivtestung gehabt haben! – Stellen Sie sich einmal vor, was das bedeutet! In den letzten 24 Stunden plus 361 000 Fälle – also das ist ein Tempo, das mir schon Sorgen macht und das vielen Sorgen macht. Wir sind mittlerweile bei 981 000 Todesfällen. Und wenn man die Liste durchgeht, was in den letzten 24 Stunden passiert ist, sieht man: 10 000 Neuinfizierte in Spanien, 27 000 alleine in den letzten 24 Stunden in Frankreich.

Ich kenne mittlerweile den französischen Gesundheitsminister sehr, sehr gut. Er enga­giert sich mit aller Kraft, gemeinsam mit vielen, vielen anderen – MedizinerInnen, Fach­experten, auch Politikerinnen und Politikern –, und sie stehen vor einem Rätsel, so wie in vielen anderen Staaten auch, wie sie das in den Griff kriegen können.

Israel hatte in den letzten 24 Stunden 7 500 Fälle von Neuinfektionen. Das ist eine sehr, sehr heftige Situation.

Tschechien, unsere Nachbarn, die ja alle von uns gut kennen, das sind echte Freunde und Freundinnen – in Prag habe ich etliche, und Ihnen geht es wahrscheinlich genauso –, und wer trinkt nicht einmal gern ein Glas tschechisches Bier – das beste Bier der Welt aus meiner Sicht, außer dem österreichischen natürlich –: Tschechien hatte 3 000 Fälle von Neuinfektionen in den letzten 24 Stunden.

Wir müssen in der jetzigen Situation wirklich sehr aufpassen, sehr sorgsam sein, weil der Herbst einfach dazu führt, da es kälter wird, dass wir hauptsächlich wieder indoor sind. Wir haben eine Phase gehabt, in der manche es – unter uns, ganz offen ge­sprochen – ja auch ein bissel lockerer genommen haben – was ich ja auch verstehe, denn wer hält das schon aus, über Monate hindurch so diszipliniert leben zu müssen, wie das halt bei uns überall der Fall war. In Österreich ist die Zahl der Neuinfektionen in den letzten 24 Stunden wieder etwas geringer, sie liegt bei 684 Neuinfektionen. Das ist gut so.

Ich zeige Ihnen die Entwicklung. Da die Kollegen auch so schöne Bilder mitgebracht haben, habe ich auch eines für Sie mitgenommen; es sind nicht die zwei Herren drauf, die Sie (auf die bereits beschriebene Tafel des Bundesrates Steiner Bezug nehmend) dort abgebildet hatten, sondern nur Zahlen (eine Grafik in die Höhe haltend, auf der links eine hohe Kurve, dann ein flacher Verlauf und auf diesen folgend rechts wieder eine hohe Kurve abgebildet sind):

Das war die Phase im März mit dem Peak (die Erklärung auf der Grafik mit dem Finger nachvollziehend); dann sind wir schön runtergekommen, sehr gut runtergekommen, haben uns über Wochen und Monate sehr gut bewegt, mit einem sehr, sehr geringen Infektionsaufkommen; das da sind die aktuellen Fälle, also schon jeweils die neu Genesenen abgezogen (Zwischenruf des Bundesrates Rösch– und dann, Herr Kollege, ist es so ab dem 7. September wieder zu einem deutlichen Anwachsen gekom­men. (Bundesrat Spanring: ... weil Sommerpause war!) Es ist so, dass wir zwar eine fast vergleichbare Steigerungssituation wie im Frühling hatten, man darf es aber nicht vergleichen und es ist auch nicht zu vergleichen, da wir derzeit ein Vielfaches mehr an Tests durchführen, und deswegen sind auch die Zahlen nicht hundertprozentig miteinan­der vergleichbar. Und das, was Sie da oben sehen, ist der Erfolg der letzten Woche.

Wir haben, zugegeben auf sehr hohem Niveau, jetzt aber den Plafond erreicht, das heißt, es bleibt seit einer Woche stabil. Das Ziel muss sein, es gemeinsam zu schaffen, dass es jetzt mit den Zahlen wieder bergab geht; denn es ist ein sehr, sehr hohes Niveau, und von dem müssen wir wieder runterkommen.

Die weltweit schwerste Pandemie seit 100 Jahren hat dazu geführt, dass es weltweit die schwerste Rezession seit 90 Jahren gibt, und das ist – mehrere Vorrednerinnen und Vorredner haben es auch in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gerückt – ja das zweite Dramatische an dieser Situation. Darum wollen wir jetzt schwerere Maßnahmen setzen, damit wir die ganz große, schwere Maßnahme, nämlich einen zweiten Lockdown, nicht brauchen. Den müssen wir mit aller Kraft verhindern, denn das würde bedeuten, dass es uns wirtschaftlich ganz dramatisch erwischen würde, das würde bedeuten, dass es uns in der Folge sozialpolitisch ganz dramatisch erwischen würde, und genau das müssen wir vermeiden, und zwar wirklich mit aller Kraft! Deswegen bin ich so froh, wenn es breite Allianzen für das Notwendige gibt, für das, was wir jetzt tun müssen, denn alles andere wäre ganz, ganz schwierig.

Ich möchte mich zum Schluss einfach noch einmal bei Ihnen bedanken. Ich bedanke mich dafür, dass das auch so rasch möglich gewesen ist, denn das ist auch nicht selbst­verständlich und hilft uns sehr, da die Bekämpfung der Pandemie halt auch ein Wettlauf mit der Zeit ist. Das heißt, die Bundesländer, die Bezirke können ab dem Wochenende, ab der Rechtskraft – falls Sie alle zustimmen – handeln, und das ist gut, das ist wichtig und das ist richtig, und ich bedanke mich dafür! Ich hoffe darauf, dass wir, wenn wir diese Maßnahmen gemeinsam setzen, auch durch diesen zweiten Teil der Krise so gut durchkommen wie durch den ersten.

Warum? – Der erste Teil der Krise war wirklich so, dass Sie wahrscheinlich wenige andere Industriestaaten auf der Welt finden, die vergleichsweise so wenige Todesfälle wie wir hatten. Man darf das nicht relativieren, aus meiner Sicht, und man kann das nicht vergleichen. Seien wir doch stolz darauf, dass es bei uns bisher wenig Todesfälle gegeben hat! Das ist die entscheidende Latte für die Bewertung der Arbeit, aus meiner Sicht, dass wir Todesfälle möglichst vermeiden müssen, schwere Erkrankungen mög­lichst vermeiden müssen, und wenn wir das gemeinsam schaffen, dann haben wir ein sehr, sehr schwieriges Kapitel in unserer Geschichte bewältigt.

Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

15.18

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Martin Preineder. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.