18.12

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Assoziation bei Ihrer Rede, Frau Seidler-Beck, ist, dass Sie irgendwie die Arbeit der Rosamunde Pilcher machen, weil Sie alles so rosarot sehen: alles so super, alles so wunderbar einfach, in Sternchen und Blümchen. (Zwischenruf der Bundesrätin Zeidler-Beck. – Heiterkeit bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Also ich weiß nicht: Wir reden von Härte, sozialer Härte, und über 31 500 Ansuchen sind nicht behandelt. Soziale Härte heißt, es brennt hinten und vorne. Wenn man da sagt: Wow, wir haben eine super Abarbeitung!, kann ich nur sagen: 31 500 Ansuchen, an jedem hängt nicht nur ein Schicksal, sondern meistens zwei oder drei, und das in einer Situation, in der die Armutsgefährdung so stark fortschreitet. War sie schon vor der Coronapandemie, was die Kinder betrifft, enorm hoch, so ist sie jetzt noch gestiegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Beispiel haben Caritas, Volkshilfe, die Armutskonferenz und andere Organisationen Daten vorgelegt, die sagen: 1,5 Millionen unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen sind armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Das ist eine enorme Menge – 1,5 Millionen! Zweitens: Knapp 1,2 Millionen Menschen sind so armutsgefährdet, dass sie unter der Armutsschwelle sind. Und wenn wir dann noch bedenken, dass ungefähr 225 000 Men­schen erheblich materiell depriviert sind, das heißt, sie können sich zum Beispiel kein Handy leisten, sie können eine kaputte Waschmaschine nicht ersetzen oder sie können die Wohnung nicht angemessen warmhalten, dann ist das alarmierend. (Ruf: Heizkos­ten­zuschuss!)

Wenn wir dann schauen, wer denn da besonders betroffen ist, dann sehen wir, dass das zuallererst wieder die Kinder sind; es sind alleinerziehende Personen, Frauen im Alter und Langzeitarbeitslose. Und dann lassen wir uns beim Familienhärtefonds bei 31 500 Men­schen Zeit! Diese Zeit haben diese aber Menschen nicht!

Wir können es auch noch anders betrachten: Wie viele Menschen können es sich zum Beispiel nicht leisten, jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder eine vergleichbare vege­tarische Mahlzeit einzunehmen? – Das sind bereits 54 000. Wie viele können es sich nicht leisten, neue Kleidung zu kaufen, wenn die alte abgenutzt ist? – Das sind schon 70 000. Das sind doch alarmierende Zahlen! Wenn wir dann noch die Tatsache her­nehmen, dass über 60 Prozent der Studierenden in Österreich arbeiten müssen, um ihr Studium mitzufinanzieren und die Eltern zu entlasten, dann sehen wir, dass wir jetzt etwas richtig machen, indem wir die Zuverdienstgrenze erhöhen.

Anders als Frau Seidler-Beck sage ich Ihnen aber - - (Bundesrätin Zeidler-Beck: Zeidler, wenn schon!) – Zeidler; ja, Herr Steiner hat heute auch sehr viel Wert auf seinen Vornamen gelegt.

Ich sage Ihnen, im Augenblick sind die klassischen Studentenjobs aus der Gastronomie, aus dem Catering und so weiter alle weg. Da ist es natürlich schön, wenn wir die Zuverdienstgrenze erhöhen, Anfang dieser Woche aber habe ich ein paar Studierende getroffen: Die haben nichts! Die haben nichts! All diese Jobs, die sie bisher hatten, sind weg, und sie wissen im Augenblick nicht, wie sie weitermachen sollen. Da wäre es wahrscheinlich sogar gescheiter gewesen, die Studiengebühren für dieses Winter­semester komplett zu streichen. Das wäre ein Entgegenkommen gewesen, das wird allerdings leider gar nicht diskutiert, meiner Meinung nach aber könnte man über diesen Bereich große Hilfen setzen. (Zwischenruf des Bundesrates Rösch.)

Schauen wir uns an, wie das in Deutschland gemacht wird! In Deutschland erhalten zum Beispiel Studenten Kredite, die von Mai 2020 bis Juni 2021 zinsfrei sind, und dazu gibt es auch noch Überbrückungshilfen, die nicht zurückzuzahlen sind. Vielleicht sollten wir uns auch solche Beispiele anschauen.

Wenn wir hier schon über Kinderleid und Kinderarmut diskutieren, dann erlauben Sie mir noch ein Wort über eine europäische Schande: Dass Österreich nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria kein einziges Kind aufgenommen hat, ist skandalös, das ist eigentlich unfassbar! Zehn Länder, unter anderem Deutschland, Frankreich, Kroatien, die Niederlande und Finnland, haben sich bereit erklärt, und in Österreich haben sich zum Beispiel die Stadt Innsbruck, die Stadt Wien und Dutzende andere Gemeinden und Städte bereit erklärt, Kinder aufzunehmen (Zwischenruf bei der FPÖ), die Bundes­regierung verweigert dies aber. (Bundesrat Steiner: Weil es die Griechen nicht wollen! Was soll man machen?) Der Kanzler legt dann im Fernsehen auch noch geschummelte Zahlen vor, indem er behauptet, in diesem Jahr seien bereits 3 700 Kinder aufgenom­men worden. – Das ist unrichtig, das ist mehrfach nachgewiesen unrichtig. 577 unbe­gleitete Kinder haben einen Antrag gestellt; davon sind 39 unter 14, aber die Anträge sind noch nicht bearbeitet. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.) Wo also sind die 3 700 positiven Bescheide in diesem Jahr?

Es ist bedauerlich, dass die türkis-grüne Bundesregierung eine solche Haltung in dieser Frage der Solidarität, der Menschenrechte, der Kinderhilfe einnimmt. Eigentlich können wir uns da in Europa nur schämen. Selbst der CSU-Innenminister Deutschlands sagt, er versteht nicht, was die Österreicher da tun. (Beifall bei der SPÖ.) Es ist selten, dass ich mit Herrn Innenminister Seehofer einer Meinung bin.

Nun kommen wir aber zurück zum Thema. Ich möchte betreffend Kinderarmut in Österreich einen Entschließungsantrag einbringen, der auch verteilt wurde, weil er so umfassend ist. Ich werde ihn deshalb nur in den Kernpunkten erläutern:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Stefan Schennach, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Maßnah­men gegen Kinderarmut“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, umgehend Maßnahmen gegen Kinderarmut umzusetzen“.

Dazu gehören die Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 Prozent des Nettoein­kom­mens auf 70 Prozent und die Erhöhung des Familienzuschlages zum Arbeitslosengeld auf 100 Euro pro Kind statt nur 29 Euro pro Kind. Dazu gehören weiter eine Unter­halts­garantie, denn das Ausbleiben von Unterhaltszahlungen stellt eine echte Armutsfalle dar, ebenso ausreichend Kindertherapieplätze, flächendeckender Förderunterricht und dass wir endlich von der Hausübungsschule zur Ganztagsschule übergehen. Was einst das Gratisschulbuch war, sollte heute die gratis Ausstattung mit einem digitalen End­gerät sein.

Ganz besonders wichtig: Wir brauchen mindestens 100 zusätzliche Schulpsycho­logIn­nen. Wir brauchen den Ausbau von Sozialarbeit an den Schulen, eine armutssensible Pädagogik an Kindergärten und Schulen, und wir brauchen Maßnahmen, um die Ein­zementierung von Bildungsungleichheit zu verhindern. All das sind Maßnahmen, die wir ganz, ganz dringend gegen die grassierende, wachsende Kinderarmut setzen müs­sen.

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In diesem Sinne ersuche ich Sie alle herzlichst, diesem Entschließungsantrag zuzu­stimmen. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ.)

18.22