12.54

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Rufe und Gegenrufe zwischen SPÖ und FPÖ.) – Ihr braucht mich offensichtlich eh nicht, weil ihr da einen sehr intensiven Diskurs miteinander pflegt. (Ruf: ... emotionalisiert!) – Ja, das wird sich wieder legen, denke ich, und das ist gut so.

In den letzten 48 Stunden hatte ich die Freude, viel im Parlament sein zu dürfen, und es war interessant, dass da das Wort Wien sehr häufig vorgekommen ist. Ich weiß ja nicht, warum das so ist, aber ich kann nur sagen: Ich habe jetzt seit 7. Jänner meinen Arbeitsplatz am Stubenring 1. Ich erlebe diese Stadt erstmals in meinem Leben intensiver und habe den Eindruck, das ist eine gute Stadt (Beifall bei Grünen und SPÖ), so wie wir in Österreich viele gute Städte (Zwischenruf des Bundesrates Saurer), viele kleine Gemeinden, die toll sind, haben. Wir sollten uns nicht gegenseitig madigmachen, weil es viel Arbeit ist, die dahintersteckt, dass wir Städte und Kommunen so entwickeln, wie das notwendig ist – und darauf sollten wir eigentlich gemeinsam stolz sein. (Beifall bei Grünen und SPÖ.)

Zweiter Punkt: Das Thema des aktuellen Tagesordnungspunkts ist ja der Sozial­be­richt 2019 der Bundesministerin für Arbeit, Soziales et cetera. Jetzt fühle ich mich nicht so ganz angesprochen, wie ihr vielleicht verstehen werdet, aber ich möchte auf jeden Fall schon ein bisschen den Blick nach vorne richten, weil wir natürlich in einer extrem problematischen Situation sind, und bei vielen Rednerinnen und Rednern ist das ja auch herausgekommen.

Was haben wir? – Wir haben auf diesem Planeten die schwerste Pandemie seit 100 Jah­ren, wir haben die schwerste Rezession seit 90 Jahren. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner. – Heiterkeit der BundesrätInnen Mühlwerth und Steiner.) Wir haben auch bei uns in Österreich den größten Beschäftigungsrückgang seit den Fünfzigerjahren. Das ist eine gigantische Herausforderung, und uns da einfach gegenseitig Vorwürfe zu machen, bringt uns nicht weiter.

Wir stehen vor einer unfassbaren Herausforderung. Meiner Einschätzung nach wird es ganz stark darum gehen, dass die Menschen vor allem wieder in Beschäftigung kom­men; deswegen ist es gut, dass unsere Frau Arbeitsministerin, mit der ich gerne und gut zusammenarbeiten darf, heute auch schon bei dieser Debatte hier ist. Wir werden da noch viel Innovation brauchen, damit wir wieder die Beschäftigungszahlen bekommen, die erforderlich sind. Ich denke, dass gerade die Umqualifizierungsmaßnahmen, die wir ja in der Bundesregierung grundsätzlich schon beschlossen haben, auch eine Chance für Berufsgruppen sind, die eine besondere Zukunft und einen besonderen Bedarf haben.

Denken Sie mit mir etwa an die Fragen der grünen Technologien, für die wir viel Geld in die Hand nehmen! Erstmals werden in dieser Republik 2 Milliarden Euro in den Klima­schutz investiert. Das ist erstens höchst notwendig, um das Klima zu schützen, und im Übrigen auch, um für die nächsten Generationen eine lebenswerte Stadt zu erhalten – denn gerade in einer Großstadt heizen sich die Temperaturen noch einmal stärker auf, als dies in ländlichen Strukturen der Fall ist. Zweitens ist es eine ganz große be­schäftigungspolitische Chance, zukünftig in diesen Bereichen auch Jobs zu schaffen. – Das ist der eine Bereich, für den ich nicht unmittelbar zuständig sein darf.

Wofür ich aber unmittelbar zuständig sein darf, ist der zweite große Chancenbereich, und das sind die Berufe im Bereich der Pflege. Wir haben einen Bedarf von zusätzlich rund 100 000 neuen Pflegerinnen und Pflegern. Ich denke, die gegenwärtige Situation wäre doch wirklich prädestiniert, dass wir in dieser Phase, in der es viele Menschen gibt, die Arbeit suchen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in einem Bereich zur Verfügung stellen, in dem der Bedarf groß ist und in dem gleichzeitig eine extrem sinnstiftende Tätigkeit realisiert werden kann – das wollen wir auch so verwirklichen. In der Krise gibt es also auch Hoffnungsschimmer, eine Perspektive und auch eine Chance.

Wir wissen, dass wir ein ganz großes gemeinsames Ziel haben – und das wird uns ja in diesem Haus alle einen –, nämlich dass wir vermeiden wollen, dass die größte Gesund­heitskrise auch zu einer schweren Sozialkrise wird. Das wollen wir mit aller Kraft ver­meiden, und dazu braucht es ein paar wesentliche Weichenstellungen.

Die erste Grundvoraussetzung ist einmal, dass wir die Gesundheitskrise in den Griff kriegen, denn je kürzer die Gesundheitskrise ist, desto größer sind die Chancen, dass wir auch wirtschaftlich wieder gut aus dieser schwierigen Situation herauskommen. Es braucht daher auch alle Kraft für die Eindämmung der Pandemie. Die aktuellen Zahlen sind bei uns in Österreich nicht erfreulich, sie sind auch in ganz Europa nicht erfreulich. Bei unseren Nachbarn in Tschechien und in der Slowakei gehen die Zahlen dramatisch nach oben, aber auch bei uns steigen sie.

Wir sind heute bei rund 1 200 neu infizierten Personen bei rund 21 000 Testungen. Diese Zahlen sind nicht hundertprozentig mit den Zahlen des Frühlings vergleichbar, weil wir ein Vielfaches mehr an Testungen haben – aber dennoch steigen sie an. Das ist die negative Nachricht, die wir haben, und auch aus sozialpolitischer und wirtschafts­politi­scher Sicht müssen wir da mit aller Kraft dagegenhalten und die Pandemie eingrenzen.

Zweiter Punkt: Was die sozialen Auswirkungen betrifft, haben wir als Sozialministerium vor einigen Wochen eine große Studie über die soziale Lage in Österreich nach Beginn der Pandemie in Auftrag gegeben. Die ersten Ergebnisse liegen nun vor, sie sind, denke ich, doch sehr spannend, und sie zeigen, wie groß die Herausforderungen sind. Sie zeigen aber auch, dass es uns ganz gut gelungen ist, am Start dieser Krise und mitten in der Krise selbst die Auswirkungen im Sozialbereich zumindest massiv abzudämpfen und stark dagegenzuhalten. Wir haben den ersten Teil dieser großen Studie über die soziale Situation in Österreich in der vergangenen Woche, am vergangenen Donnerstag präsentiert, und da war die Grundaussage von renommierten Instituten wie dem Wifo und dem IHS, dass die Coronakrise massiv war und ist, dass sie aber durch die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung bisher ganz wesentlich abgefedert werden konnte. Durch Staatshilfen sei es gelungen, die Einkommensverluste in Grenzen zu halten. Das heißt, der erste Anspruch, das erste Ziel ist einmal ganz gut im Gelingen, aber wir sind bei Weitem noch nicht durch, da gebe ich allen Kritikerinnen und Kritikern, Warnerinnen und Warnern absolut recht.

Was bedeutet das, wenn es derzeit Beschäftigungsverluste gibt? Was bedeutet das alles für Menschen, die schon früher armutsgefährdet gewesen sind, etwa weil sie Alleinerzie­herInnen sind, weil sie anderswo geboren sind – auch das ist ein wissenschaftlich belegter Faktor für Armutsgefährdung – oder, drittens, weil sie langzeitarbeitslos sind? In all diesen Gruppen, die armutsgefährdet sind, verstärken sich natürlich in der jetzigen Situation das Risiko und der Druck. Genau deswegen haben wir die Studie in Auftrag gegeben, um spezifische Detailmaßnahmen für das Gegensteuern zu erarbeiten. Wir werden in der Bundesregierung ja einen nationalen Aktionsplan gegen Armut erar­bei­ten – und das sehe ich als den Kern meines Jobs als Sozialminister –, damit wir gerade für diese Gruppen aktiv gegensteuern können. Das ist, glaube ich, eine absolute Not­wendigkeit.

Wir haben heute den zweiten Teil der Studie vorgelegt, der Armutsgefährdung in dieser schwierigen Phase betrifft. Die Autoren waren unter anderem die Kollegen von der Armutskonferenz, die für uns in dieser Frage ein guter Partner mit enormem Know-how sind. Punkt eins: Auch da wurde davor gewarnt, dass es, aus dieser schwierigen Wirt­schaftslage herauskommend, gerade auch mittel- und langfristige Folgen geben kann, nämlich in zwei, drei Jahren. Punkt zwei: Genau da brauchen wir die Maßnahmen gegen zusätzliche Armutsgefährdung und gegen neue Armut. Zudem werden wir die Haupt­auswirkungen in zwei, drei Jahren gerade in den Bereichen der AlleinerzieherInnen und der Langzeitarbeitslosen sehen, wenn wir nicht rasch zusätzlich und spezifisch für diese drei genannten Gruppen noch einmal akuter gegensteuern.

Das ist eine Herausforderung, aber wir sind, glaube ich, auf einem guten Weg. Wir haben einen guten Start gehabt; wir haben sehr, sehr viel Geld in die Hand genommen, das muss man auch sagen. Ich glaube, dass es absolut richtig war und richtig ist, derzeit Geld in die Hand zu nehmen, um die Krise abzudämpfen und um zu vermeiden, dass daraus eine wirklich schwere soziale Krise entsteht.

Das ist im Wesentlichen das, was ich Ihnen im Moment an Informationen über die Studie und die aktuelle soziale Lage kommunizieren kann. Ich denke, wir werden die Studie nächste Woche dann final präsentieren und sie dann auch gerne jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten, jedem und jeder BundesrätIn zur Verfügung stellen.

Es sollte einfach ein gemeinsamer Grundkonsens sein, auf Basis der Aussagen der führenden WirtschaftswissenschaftlerInnen und SozialwissenschaftlerInnen gemeinsam diese Gegenmaßnahmen zu setzen, die es in Österreich noch braucht, damit wir auch durch diese schwerste Rezession seit 90 Jahren halbwegs gut durchkommen. Das muss, denke ich, der Grundkonsens in dieser Republik sein. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

13.04

Vizepräsident Mag. Christian Buchmann: Zu Wort gemeldet hat sich auch Frau Bundesministerin Mag.a Christine Aschbacher. – Bitte, Frau Bundesministerin.