19.09

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bun­desminister! Bevor ich zur EU-Vorschau und zum EU-Vorhabensbericht komme, hätte ich doch gerne noch ein, zwei Sätze zur vorangegangenen Debatte gesagt, die ein biss­chen seltsam verlaufen ist. Da ging es um Kennzeichnung, also Kennzeichnung be­stimmter Teile von Importwaffen. Wir reden ja über Sicherheit, und ganz prinzipiell kann man natürlich sagen: Je mehr Waffen unterwegs sind, umso höher ist auch die Anzahl der Suizide und Tötungen vor allem im familiären Bereich.

Nicht zuletzt (Zwischenruf des Bundesrates Steiner) – ich höre da schon wieder eine Stimme – sollten wir uns an das Blutbad von Kitzbühel erinnern. (Bundesrätin Mühl­werth: Das ist aber bedenklich, wenn Sie schon Stimmen hören! – Heiterkeit bei der FPÖ.) – Ich höre eine Stimme mit einem gewissen Akzent, deshalb verweise ich zum Beispiel auf das schreckliche Blutbad, das ein frustrierter Mann in Kitzbühel angerichtet hat, das mit fünf Toten geendet hat.

Was sehen wir eigentlich in der Statistik, Herr Bundesminister? – Seit 1997, seit der letzten Modernisierung des Schusswaffengesetzes, ging die Zahl der Tötungen und Sui­zide zurück. Seit 2016 ist sie wieder auf 17,7 Prozent angestiegen. Das ist schon sehr hoch. Diese Tötungen werden in erster Linie von Männern ausgeübt, das sollte man auch sagen, vor allem wenn es im häuslichen Bereich geschieht.

Kommen wir zurück zum EU-Vorhabensbericht: Wir haben eine riesige Baustelle im Be­reich des Inneren und der Sicherheit der Europäischen Union. Betreffend die Reform der gemeinsamen Asylpolitik, die ja – aufpassen jetzt, das wird auch der Herr Minister be­stätigen – nach den Prinzipien der Humanität und der Wirksamkeit erfolgen soll, ist es einfach schwierig, eine Einigung der Staaten zu bekommen. Wer dann sagt, wir bekämp­fen Schlepperei und Menschenhandel – völlig ďaccord, die gehören bekämpft ‑, der muss aber auch sichere Routen anbieten, denn aufgrund einer Flucht Asyl zu suchen ist ein Menschenrecht und Grundrecht. Wenn ich das bekämpfen will, dann muss ich, das ist ein Gebot der Stunde, auch sichere Routen anbieten. In diesem Bereich gibt es na­türlich auch Abkommen mit Drittstaaten.

Die EU hat ja viele Gesichter: Sie ist eine Bildungsunion, sie ist eine Bankenunion und sie will auch eine Sicherheitsunion sein, was ja wichtig ist. Es ist aber auch wesentlich, in wichtigen und auch modernen Bereichen der Sicherheit unionsmäßig zusammenzuar­beiten – natürlich auch zur Bekämpfung des Terrorismus, wie das heute schon so oft angesprochen wurde. Nicht weniger widerwärtig oder nicht unproblematischer ist die or­ganisierte Kriminalität mit all ihren Gesichtern – ob das der illegale Frauenhandel, der Menschenhandel, der Waffenhandel, der Drogenhandel, die Geldwäsche und so weiter ist.

Es gibt aber auch neue, hybride Bedrohungen. Für die gilt es, erstens, einmal eine Ver­hütung zusammenzubringen und, zweitens, sie aufzudecken. Ganz neu, und da brau­chen wir auch ganz neue Ausbildungsgänge im Sicherheitsbereich, ist die Cybersicher­heit.

Ganz wichtig ist – das hat die Frau Kollegin vor mir schon erwähnt – die Sicherheit der strategisch notwendigen und grundlegenden Infrastruktur. In diesem Bereich hat die EU erstens einmal das Grundsatzprogramm 2006 angenommen. 2008 hat sie gesagt: Wir identifizieren in unseren Mitgliedstaaten die kritische und die gefährdete Infrastruktur. Dieser Bericht wurde 2019 veröffentlicht, ist also einsehbar. Jetzt ist die Diskussion – und wir werden die sicher auch bald im EU-Ausschuss haben –, welche gesetzlichen und weiterführenden Regelungen da notwendig sind. Ich weiß, Österreich sagt dazu Nein. Die Frage ist aber, ob es bei diesem Nein bleiben muss.

Zur Intensivierung der Zusammenarbeit mit Europol: Die Kompetenzen von Europol sol­len erweitert und die operative Zusammenarbeit gestärkt werden. Gleichzeitig muss man aber bei Europol auch den Missbrauch durch Autokraten und Diktatoren beobachten. Wenn sich etwa irgendwo ein türkischer Staatsbürger oder eine Staatsbürgerin zum Bei­spiel in einem Blog oder in den Social Media kritisch zu Herrn Erdoğan äußert, dann wird sofort ein Auslieferungsantrag gestellt.

Es gibt gerade in Wien so einen Fall, dass sich eine russische Staatsbürgerin sehr kri­tisch zum Regime beziehungsweise der Regierung Putin geäußert hat und jetzt hier in Wien – Stichwort Auslieferung – per Interpol gesucht wird. Es gibt diesbezüglich eine Darstellung für die Untersuchungsrichterin, die darauf reagieren muss. Die ist ein Fake, muss ich sagen, das kann niemals stimmen. Die Summe, die diese Dame angeblich gestohlen haben soll, wurde im Wochentakt immer wieder erhöht. Interpol Moskau hat Interpol Wien gebeten, diese Frau auszuliefern, was Österreich Gott sei Dank während eines ordentlichen Verfahrens derzeit nicht macht.

Die Bedrohung gibt es aber. Ich kann mich erinnern, dass ich ein betagtes Ehepaar in Aserbaidschan aus dem Gefängnis geholt habe. Die haben in den Niederlanden Asyl bekommen und – flusch – schon war das Auslieferungsbegehren wegen irgendeinem angeblichen Delikt da, um dieses Ehepaar zurück ins Gefängnis zu bekommen. Ich habe sie damals beruhigt, sie sind hochbetagt, habe gesagt: Ihr lebt jetzt in einem Rechtsstaat, den Niederlanden, und das wird so nicht erfolgen.

Über dieses Damoklesschwert, dass man Interpol missbrauchen kann, um Menschen in eine extreme Notlage zu bringen – Edi Köck weiß das –, haben wir auch im Europarat ausführlich diskutiert, denn das hält für manche extreme Beklemmungen oder auch ex­treme Gefahren bereit. Wir erinnern uns ja, dass ein Auslieferungsbegehren von Erdo­ğan für einen deutsch-türkischen Staatsbürger nach Spanien kam. Das war Spitz auf Knopf, dass er nicht ausgeliefert worden ist. Herr Bundesminister, da brauchen wir Re­formen bei Europol.

Ich bin mit allem ďaccord, was meine Kollegin vorhin über sexuellen Missbrauch von Kindern und so weiter gesagt hat.

Beim Kapitel Katastrophenschutz als EU-Kompetenz war der Bundesrat anderer Mei­nung, denn da geht es ja um die Finanzierung.

Last, not least: Dublin III ist tot. Wer sich noch immer an Dublin und die Rückführung hält, ist am falschen Dampfer. Dublin IV zeichnet sich nicht ab. Österreich will zum Bei­spiel, dass jenes Land, in dem der Erstantrag gestellt wird, dann acht Jahre lang dafür zuständig ist. So kann das nicht funktionieren!

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist aber, Herr Bundesminister – das sehen wir wahrscheinlich diametral entgegengesetzt –, der größte oder einer der wichtigsten Schätze der Europäischen Union, nämlich die Mobilitätsfreiheit, also Schengen. Es ist sehr bedauerlich, dass Österreich da auf diese Art und Weise agiert, mit einer Verlän­gerung der Binnengrenzkontrollen und so weiter. Das ist antieuropäisch, das ist gegen Schengen gerichtet.

Eines der größten identitätsstiftenden Elemente für unsere Jugend, was Europa betrifft, ist nicht nur Erasmus, sondern die Mobilität an sich und ein Europa in Frieden und in Sicherheit, das sich auch mit offenen Grenzen und ungehinderter Mobilität präsentiert. Da muss ich sagen, die Haltung Österreichs, das Binnengrenzregime und die entspre­chenden Kontrollen zeitlich ganz lang auszudehnen, ist antieuropäisch.

Den Bericht nehmen wir aber an. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.19

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. – Bitte, Frau Bundesrätin, ich erteile es Ihnen.