9.50

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Ich glaube, es ist wichtig, dass ich zu Beginn meiner Rede einmal klarstelle, was Extremismus im Behördensprachgebrauch bedeutet, was als Ex­tremismus bezeichnet wird: Es ist eine Einstellung, die dem äußeren Rand des poli­tischen Spektrums jenseits der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuzuordnen ist.

Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, Antisemitismus – der politische Ex­tremismus stellt uns wahrlich vor sehr große Herausforderungen. Das ist gerade sehr aktuell; ich nehme da auf den jüngsten Waffenfund in Niederösterreich Bezug: An die­sem Beispiel sehen wir sehr gut, dass im Bereich des Rechtsextremismus sehr gute Strukturen vorhanden und auch aktiv sind. 100 000 Schuss Munition reichen tatsächlich aus, um eine kleine Armee auszustatten. In diesem Fall bestehen Verbindungen zur or­ganisierten Kriminalität, insbesondere dem Rotlichtmilieu, zum Drogen- und zum Waf­fenhandel. Es herrscht ein sehr großes Gewaltpotenzial und es gibt eine internationale Vernetzung – in diesem Fall nach Deutschland. Identitäre und ähnliche Strukturen sind in einigen Regionen nach wie vor aktiv und bedienen sich schon oft neuer Namen – zum Beispiel wurden in meinem Bezirk aus den Identitären Die Österreicher –, und das ist wirklich genau zu beobachten.

Beide genannten Kreise versuchen auch, auf aktuelle Protestbewegungen zuzugreifen. Es wurde heute auch schon einmal gesagt: Es sind insbesondere die Coronaleugner, die sich dort vor den Karren spannen lassen und bei denen mobilisiert wird. Da tut sich meiner Meinung nach ein sehr großes Problemfeld auf. Diese Bewegung, die gerade entsteht, ist sehr heterogen, und ihr Einfluss über die sozialen Medien ist sehr groß.

Extremistische Einflüsse sind aber auch in migrantischen Communitys gegeben; da ist durchaus ein Zusammengehen nationalistischer und religiöser Ideologien zu beobach­ten. Ein besorgniserregendes Beispiel sind dabei die Grauen Wölfe aus der Türkei, aber es gibt auch zunehmend Versuche ausländischer staatlicher Einflussnahme, die häufig via Botschaften, Konsulate, Medien und Geheimdienste gesteuert und unterstützt wer­den.

Worum muss es uns als Gesetzgeber nun gehen? – Wenn Extremismus zu Straftaten führt, dann ist das Strafgesetz der Rahmen dafür. Eine Abstrafung und ein Verurteilen des Straftatbestandes ist erforderlich. Es sollte uns aber auch wesentlich um Prävention mit weitreichenden Maßnahmen gehen. Nur so werden wir zukünftig in der Lage sein, dem Extremismus und seiner Ausbreitung wirkungsvoll zu begegnen. Nach einer Verur­teilung müssen also weitere Maßnahmen folgen.

Im Vordergrund sollten dabei die Reintegration und die Deradikalisierung stehen, soweit das unter Maßgabe der Umstände möglich ist. Es wird nicht möglich sein, alle Täterinnen und Täter ein Leben lang wegzusperren oder zu überwachen. Darum müssen wir weitere Angebote schaffen. Wir müssen uns auf die Präventionsarbeit konzentrieren und den Zusammenhalt der Gesellschaft, die Resilienz und Widerstandsfähigkeit gegenüber ex­tremistischem Gedankengut stärken und das Gemeinsame in den Vordergrund stellen. (Bundesrat Steiner: Das hat ja bis jetzt gut funktioniert, dass man mit Extremisten redet! – Weiterer Zwischenruf bei der FPÖ.) Es wird uns schlussendlich nur schaden, wenn wir einzelne Personengruppen wie Muslime unter Generalverdacht stellen (Bun­desrat Steiner: Weil es immer die Gleichen sind! Es sind immer die Gleichen!), obwohl der islamistische Extremismus durch aktuelle Ereignisse gerade auch wieder sehr stark – sehr stark! – präsent ist. Das doch sehr große Problem in Österreich ist aber nach wie vor der Rechtsextremismus.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es sich bei den meisten in Österreich wegen Terrordelikten Verurteilten um sogenannte homegrown terrorists handelt, nämlich um österreichische Staatsbürger, bei denen man es nicht geschafft hat, dass sie sich in dieser Gesellschaft angenommen fühlen. (Bundesrat Steiner: Ja, zu wenig Therapie­stunden!) Der Ansatz, der in Österreich zur Deradikalisierung verfolgt wird, lässt sich leider noch nicht als Programm bezeichnen. (Rufe und Gegenrufe zwischen Bundesrat Steiner und BundesrätInnen der ÖVP.) Es sind vereinzelte Maßnahmen, die unkoor­diniert und auch pointiert angewendet werden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf Präventionskonzepte in Bezug auf Extremismus eingehen, die wir entsprechend mit Ressourcen ausstatten sollten.

Dazu gehören Maßnahmen, Projekte und Programme zur Extremismusprävention. Die­se brauchen eine langfristige Absicherung. Das ist die Voraussetzung für eine nachhal­tige Extremismusprävention. Ein erster Schritt wurde gestern im Rahmen der Vorstellung des Antiterrorpaketes gemacht, indem ein finanzieller Basisrahmen von 8 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wird. – Danke dafür. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Extremismusprävention muss auch gegen jede Art von Extremismus vorgehen. Extre­mismusprävention heißt immer auch, Rassismen, Sexismen und Diskriminierungen ent­gegenzuwirken. Eine gute Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik ist die beste Extremismusprävention – das hat auch Kollegin Schumann gerade schon be­tont.

Extremismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es braucht einen Aus­bau von leistbaren, niederschwellig zugänglichen sozialarbeiterischen, therapeutischen, bildungspolitischen Angeboten wie Gratistherapieplätzen, Schuldenberatung, aufsu­chender Sozialarbeit, Streetwork, Ressourcen für Schulen in ökonomisch benachteilig­ten Gebieten.

Medienkompetenz und ein kritischer Umgang mit Medieninhalten müssen im Fokus ste­hen. Lebensweltorientierung heißt auch, Onlinewelten, die einen großen Teil unseres Alltags ausmachen, im Blick zu haben. Die Förderung von Medienkompetenz und einem kritischen Umgang mit Medieninhalten leistet einen wesentlichen Beitrag zur Prävention gegen die Verbreitung polarisierender, menschenverachtender und extremistischer In­halte im Internet. Wir haben heute in späterer Folge noch einen Tagesordnungspunkt betreffend Hass im Netz – das wird sicher gut dazu beitragen.

Gute Präventionsarbeit lenkt den Blick von Defiziten auf Ressourcen. Es geht darum, Menschen zu befähigen, ihr Leben selbstständig zu meistern und Selbstwirksamkeit zu erfahren. Offene Jugendarbeit, die Jugendliche in der Adoleszenz begleitet, leistet auch da einen wesentlichen Beitrag. Es bedarf einer strukturierten Vernetzung und Zusam­menarbeit aller an Extremismusprävention beteiligten AkteurInnen. Das sind einschlägi­ge Beratungs- und Betreuungseinrichtungen genauso wie Sicherheitsbehörden, die Jus­tiz, die Bewährungshilfe, Einrichtungen der offenen Jugendarbeit sowie Bildungseinrich­tungen und arbeitsmarktpolitische Projekte. Dabei muss aber immer auf die notwendige Vertraulichkeit von Beratungs- und Betreuungsangeboten Bedacht genommen werden.

Zum Schluss möchte ich noch zwei Beispiele aus anderen Ländern nennen, nämlich den Niederlanden und Dänemark. Dort gibt es tatsächlich schon gut strukturierte Program­me. Dort bearbeiten multiprofessionelle Teams, die sich aus BewährungshelferInnen, PsychologInnen, Bildungseinrichtungen, AMS, Polizei, Nachrichtendiensten zusammen­setzen, unter anderem folgende Fragestellungen: Wie und wann fand die Radikalisie­rung statt? Wie stark ist sie ausgeprägt? Wie stark muss die Betreuung und Überwa­chung sein? Kann die Familie, der Bekanntenkreis eingebunden werden? (Bundesrat Ofner: ... Islamisten! Am besten reden wir mit allen 25!) Oder: Ist dieses Umfeld radikali­siert, wie kann unterstützt werden? – So entsteht bestenfalls dann, wenn diese Person noch im Gefängnis ist, ein gesamtheitlicher Plan, um Perspektiven zu schaffen, wenn diese Person herauskommt.

Ich könnte das jetzt noch weiter ausführen (Bundesrat Ofner: Na, bitte!), aber das rote Licht leuchtet schon. Ich weiß ganz genau, das Thema ist nicht einfach zu bearbeiten und stellt uns vor sehr große Herausforderungen, aber ich denke, dass die Bundesre­gierung, dass wir als Gesellschaft in Zukunft intensiv daran arbeiten und alles daranset­zen sollten, das Thema Extremismus in Österreich gemeinsam weiter zu entschärfen. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.59

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zur Geschäftsbehandlung hat sich Kollege Steiner zu Wort gemeldet. – Bitte.

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