Bundesrätin Johanna Miesenberger (ÖVP, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister!

1915/M-BR/2021

„Welche Inhalte werden im Rahmen der Pflegereform behandelt?“

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Bundesrätin, danke wieder für die Anfrage! Das Thema ist natürlich sehr breit, ich werde mich trotzdem bemühen, bei der Beantwortung unter einer Stunde zu bleiben. (Bundesrätin Schumann – erheitert –: Bravo!) – Das ist schwie­rig, weil es natürlich ein Riesenthema ist.

Im Rahmen der Pflegereform wird in der Taskforce Pflege eine Abstimmung und Koor­dination aller Stakeholder unter anderem zur gemeinsamen Steuerung der Angebots- und Bedarfsplanung, zur Evaluierung von Best-Practice-Beispielen und zur Ergebnis­qualitätssicherung in den Bereichen häuslicher und stationärer Pflege und alternativer Wohnformen vorgenommen. Das ist sozusagen ein Schwerpunkt.

Darüber hinaus werden im Rahmen der Taskforce auch weitere Maßnahmen unter Be­rücksichtigung der aktuellen Herausforderungen erarbeitet, die im Sinne aller Betroffe­nen zu einer Stärkung und Weiterentwicklung der Qualitätssicherung beitragen. Sämtli­che Themen des Regierungsprogramms werden im Rahmen der Taskforce erörtert und präzisiert.

Dazu wurden fünf thematisch organisierte Arbeitsgruppen eingerichtet: erstens: Verläss­lichkeit in der Pflege und Sicherheit des Systems; zweitens das Ziel: Einsamkeit mindern und das Miteinander fördern; drittens: Pflegekräfte wertschätzen, auch finanziell; der vierte Bereich ist das Thema: Entlastung für pflegende Angehörige schaffen und De­menz begegnen; und der fünfte Bereich ist: vorausschauend planen und gestalten.

Begleitet wird die Taskforce Pflege von einer Steuerungsgruppe. Die Ergebnisse der Arbeiten werden in den nächsten Tagen vorliegen. Die Taskforce Pflege soll im Jahr 2021 in eine Zielsteuerungskommission münden. Diese wird zur Abstimmung und Koordination sowie zur gemeinsamen Steuerung implementiert.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Johanna Miesenberger (ÖVP, Oberösterreich): Herzlichen Dank für die kurze Zusammenfassung des wirklich umfassenden Themas!

Ich hätte eine Zusatzfrage, und zwar im Zusammenhang mit den pflegenden Angehöri­gen: Welche konkreten Maßnahmen sind geplant, um die Situation der pflegenden Ange­hörigen zu verbessern?

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Das ist einer der zentralen Themenschwerpunkte. Warum? – Unser ganzes System würde nicht funktionieren, hätten wir die pflegenden Angehörigen nicht, und sie in einer extrem kräfteraubenden Lebenssituation zu unterstützen ist ein primäres Anlie­gen aller, die im Pflegebereich tätig sind.

Einerseits geht es um den Ausbau der kostenlosen und wohnortnahen Beratung zur Pflege und Betreuung für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige sowie des Casemanagements zur Gestaltung von individuellen Pflege- und Betreuungsarrange­ments. Das ist einer der zentralen Schwerpunkte.

Der zweite ist die Einführung von einem oder mehreren pflegefreien Tagen als Unter­stützung für pflegende Angehörige und auch zur Burn-out-Prophylaxe.

Dritter Punkt ist die schrittweise Etablierung von Communitynurses als zentrale An­sprechpersonen für die zu Pflegenden und deren Angehörige sowie zum Beispiel zur Koordination von mobilen Diensten.

Vierter Punkt ist die Etablierung einer umfassenden Internetinformationsplattform für Be­troffene sowie deren An- und Zugehörige. Diese sollen über ein besseres, ausgewei­tetes, aber auch gebündeltes Informationsangebot verfügen, über regional bestehende Hilfsmöglichkeiten Bescheid wissen, wo und wie diese auch tatsächlich in Anspruch genommen werden können.

Ein weiterer Punkt ist: Im Sinne der Prävention und der Nachhaltigkeit der Maßnahme wurde eine Ausweitung des Angehörigengesprächs auf drei Gesprächseinheiten durch­geführt – kaum bekannt in Österreich, aber ein extrem wichtiges und wirksames Instru­ment.

Schließlich ist, um die Situation dieser Personengruppe zu verbessern, geplant, dem Regierungsprogramm entsprechend eine Studie „Älter werdende Eltern mit Pflegever­antwortung“ zu vergeben. Dabei sehen wir einen weiteren ziemlich großen Handlungs­bedarf.

Schlussendlich ist grundsätzlich anzumerken, dass auch im Rahmen der Taskforce Pfle­ge eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Entlastung für pflegende Angehörige und De­menz begegnen besteht. Ich habe es schon bei der Frage davor gesagt. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe werden sodann auf deren Umsetzung hin zu bewerten sein.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesrat Günther Novak hat sich zu einer Zusatzfrage zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Bundesrat.

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Bundesminister, meine Zusatzfrage wäre: Wie wollen Sie im Zuge der Pflegereform sicherstellen, dass Österreich im Bereich der 24-Stunden-Betreuung unabhängiger von ausländischen Betreuungskräften wird?

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Sehr geehrter Herr Bundesrat, das ist eine riesige Herausforderung, in vie­lerlei Hinsicht. Wir haben derzeit sehr, sehr viele 24-Stunden-Betreuerinnen und -Be­treuer – ich vermeide das Wort Pflege, weil es doch ein sehr unterschiedlicher Ansatz ist –, wir haben sehr, sehr viele Agenturen, und wir haben aus meiner persönlichen Ein­schätzung heraus sehr unterschiedliche Qualitätsstandards, die in diesem Bereich zu finden sind.

Das heißt, unser zentraler Zugang ist, Qualitätssicherung voranzutreiben. Sie wissen, wir haben ein eigenes Zertifikat zur Qualitätssicherung dieser Agenturen geschaffen. Es ist mein erklärtes Ziel, das sehr, sehr rasch voranzutreiben. Es ist allerdings bei – wenn ich es richtig in Erinnerung habe – über 800 Agenturen kein ganz einfaches Unterfangen. Das ist ein zentraler Hebel für diese Qualitätssicherung.

Ein zweiter Hebel ist, dass wir auch das Modell von Betreuung in Österreich selbst aus­bauen wollen. Ich habe gerade gestern eine Gruppe aus Linz bei mir gehabt, die diese Tätigkeit, diese Arbeit bereits schrittweise in Oberösterreich unabhängig ausrollt. Da wird es um die Frage der Förderung, der Unterstützung, der Absicherung, aber auch um Qua­litätsstandards gehen.

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Thomas Schererbauer zu Wort gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Thomas Schererbauer (FPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister, ich habe noch eine Frage zu den pflegenden Angehörigen. Derzeit pflegen circa 59 000 Per­sonen ihre Angehörigen. 73 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Um das bewältigen zu können, stecken sie privat, aber auch beruflich zurück. Wie wollen Sie dieser Entwicklung entgegenwirken?

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Bundesrat, diese Zahlen sind absolut korrekt. Ja, das ist sehr, sehr „frauenlastig“ – unter Anführungszeichen –, eigentlich kein Zufall in unserer Gesellschaft. Das ist die reale Lebenssituation, und wir müssen uns ganz einfach über­legen, wie wir Absicherungswege, Unterstützungswege in diesem Bereich besser ver­wirklichen können. Das ist ein spezifischer, eigener Teil der Erarbeitung im Bereich der Pflegereform, und dazu kommen natürlich die genannten Beratungs-, Unterstützungs- und Entlastungsoptionen, die ich bereits vorhin genannt habe.

Sie haben völlig recht, das ist eine extreme Anforderung. Ich kann mich erinnern, ich habe vor Kurzem eine pflegende Angehörige vor mir stehen gehabt, die mir gesagt hat: Es ist eigentlich eine Arbeit 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und es gibt kaum eine Möglichkeit des Durchschnaufens. Du hast immer ein schlechtes Gewissen, wenn du 3 Stunden wegmusst, zum Arzt fährst, weil du nicht weißt, wie dann die Situa­tion ist.

Das heißt, diese Schritte hin in Richtung Pausen, hin in Richtung Urlaubsmöglichkeiten zu schaffen ist aus meiner Sicht einmal das erste, ganz primäre Ziel.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl (den Vorsitz übernehmend): Zu einer weiteren Zusatz­frage hat sich Frau Mag.a Elisabeth Kittl zu Wort gemeldet. – Bitte.

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Herr Bundesminister, welche Maßnahmen sind geplant, um die belastende Situation von Young Carers, das sind Zig­tausende Kinder und Jugendliche, die ihre Eltern, Geschwister oder andere Familienan­gehörige pflegen, zu verbessern?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Bundesrätin, das ist ein großes Thema, das weitgehend unbekannt und undiskutiert ist. Als Young Carers werden eben Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren bezeichnet, die regelmäßig und über einen längeren Zeitraum die Be­treuung eines chronisch kranken Familienmitglieds übernehmen. Das ist die Realität in vielen, vielen Lebenssituationen in Österreich: Neben Haushaltstätigkeiten und der Ob­sorge für gesunde Geschwister sind sie oftmals auch in klassische Pflegeaktivitäten involviert, die normalerweise von Erwachsenen erledigt werden. Young Carers überneh­men somit in unserer Gesellschaft nahezu unbemerkt überdurchschnittliche pflegerische Verantwortung.

Wir haben zum Thema Einsicht in die Situation pflegender Kinder und Jugendlicher in Österreich bereits vor Jahren Studien machen lassen beziehungsweise in Auftrag ge­geben. Diese belegen bundesweit einen Anteil von 3,5 Prozent beziehungsweise rund 42 000 pflegende Kinder und Jugendliche im Alter von fünf – das muss man sich vor­stellen! – bis 18 Jahre.

Die Betreuungstätigkeiten erfolgen natürlich in unterschiedlicher Intensität und Dauer, das ist auch abhängig von der Alterssituation. Das durchschnittliche Alter beträgt 12,5 Jahre. 70 Prozent der im Familienverband pflegenden Kinder und Jugendlichen sind weiblich. – Auch da haben wir wieder dieselbe Situation.

Zur Forcierung der Sensibilisierung, insbesondere für betroffene Kinder und Jugendliche selbst, andererseits aber auch für involvierte Berufsgruppen und für die Öffentlichkeit, erfolgten bereits verschiedene breit angelegte Kampagnen. Young Carers bedürfen einer erhöhten Aufmerksamkeit sowie zielgruppenspezifischer und innovativer Unter­stützungsangebote.

Die Informationen für diese Zielgruppe müssen in Sprache und Design so aufbereitet sein, dass sie den Kommunikationsformen von jungen Menschen entsprechen, das heißt, die zweitausendste Broschüre bringt in diesem Zusammenhang relativ wenig. Deswegen arbeiten wir derzeit an der Entwicklung einer App für Young Carers, und diese soll auch eine Informationsmöglichkeit für Eltern, Lehrpersonen und sonstige Interes­sierte in diesem Gesamtbereich darstellen.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nun zur 6. Anfrage, 1921/M-BR/2021.

Ich bitte die Anfragestellerin, Bundesrätin Eva Prischl, um die Verlesung der Anfrage. – Bitte.