Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Minister!

1921/M-BR/2021

„Welchen Zeitplan haben Sie für die von Ihnen angekündigte große Pflegereform konkret vorgesehen?“

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Liebe Frau Bundesrätin, die Zeitpläne der Vergangenheit waren über sehr lange Zeiträume, denn wir diskutieren mittlerweile seit Jahrzehnten über Pflegereformen in Österreich. Die im Jahr 2020 implementierte Taskforce Pflege – das war de facto der Start – hat die Ausarbeitung eines konkreten strategischen Plans zum Ziel. Um jene Themenfelder zu ermitteln, die für Betroffene und deren Angehörige, Pflegepersonen, ExpertInnen und die Öffentlichkeit von prioritärer Relevanz sind, wurde ein breiter Ent­wicklungs- und Gesprächsprozess angesetzt. Dieser besteht in Wirklichkeit aus vier zen­tralen Elementen: der Dialogtour – morgen im Übrigen die letzte Etappe –, Einzelgesprä­chen mit FachexpertInnen im Ministerium selbst, dem digitalen Beteiligungsprozess, der von Mitte Juli bis Mitte August stattgefunden hat, sowie einer Fachtagung, die am 20.10. den Start der entsprechenden Arbeitsgruppen ausgelöst hat.

In der Erarbeitung eines Endberichtes, mit dessen Fertigstellung ich in den nächsten Tagen rechne, wurden darüber hinaus Positions- und Strategiepapiere sowie aktuelle Studienergebnisse integriert. Begleitet werden die Arbeiten von einer Steuerungsgrup­pe. Mit dem Endbericht – wie gesagt, in den nächsten Tagen, ich rechne nächste Woche damit – wird der Prozess der Taskforce Pflege auf der einen Seite abgeschlossen, was die inhaltliche Erarbeitung betrifft, und gleichzeitig auf Basis der Ergebnisse der Task­force Pflege die Phase der Umsetzung der wesentlichen Schwerpunkte ab 2021 ge­startet.

Da werden Etappenziele formuliert, Zeitpläne verankert, denn man muss ganz offen und ehrlich sagen, das Ausrollen wird keine Tätigkeit für ein paar wenige Monate sein, son­dern es wird ein Prozess sein, der auch dauern wird. Die Taskforce Pflege soll im Jahr 2021, in den nächsten Monaten, auf jeden Fall im ersten halben Jahr, in einer Ziel­steuerungskommission Pflege münden, besetzt durch Gemeinden, Städte, Länder und Bund, deren Aufgabe es sein wird, gemeinsam diese Inhalte umzusetzen und auszurol­len. Das ist unser zeitliches Vorhaben.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Ich frage Sie, Frau Bundesrätin: Ist eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Herr Minister, Sie haben diese Com­munitynurses angesprochen. Welche Aufgabe haben sie konkret, und welche Rolle wer­den sie spielen?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Betreffend die Communitynurses gibt es ja international im Wesentlichen zwei große Modellrichtungen: Modelle, die einerseits in den Niederlanden und Skandina­vien – wie so oft schauen wir eigentlich immer in dieselben Regionen, was innovative Projekte betrifft – und andererseits auch bereits in Deutschland ausgerollt wurden.

Unser Ziel ist es, dass wir eine Mischung zustande bringen: Einerseits geht es um die Tatsache – Sie haben sicherlich die Studie, die im Sommer vom Wirtschaftsforschungs­institut im Auftrag des Gemeindebundes vorgelegt wurde, registriert –, dass ein großer Mangelbereich in Österreich derzeit das regionale Beratungsangebot ist. – Das muss ich ein bisschen relativieren, denn mittlerweile habe ich gelernt, dass in manchen Bundes­ländern bereits eine sehr gute Pflegeberatung ausgerollt wird – Salzburg als ein Beispiel, dort funktioniert das im Übrigen hervorragend. Gleichzeitig soll diese regionale Beratung verstärkt auch zur Bedarfserarbeitung eingesetzt werden.

Das heißt, unser Ziel wird sein, dass wir mit dieser neuen Struktur und mit diesem per­sonellen Angebot erstens die Beratungstätigkeit für Menschen, die neu in die Pflegesi­tuation kommen, realisieren, dass wir zweitens auch die Bestandsaufnahme und die Be­darfsabschätzung in der Region gut akkordieren, in Kooperation mit den Sozialhilfever­bänden oder in manchen Regionen mit den Sozialabteilungen der Länder, und dass sie drittens dort auch praktische Beratungstätigkeit durchführen.

Es ist ja alles andere als einfach, wenn ein Mensch plötzlich in die Situation kommt, zum Beispiel aufgrund des Todes eines Elternteils, dass er von heute auf morgen die Pflege übernehmen muss. Da heißt es ja auch, Praxis zu erwerben und Tipps zu kriegen. Das ist also der dritte Bereich.

Der vierte Bereich, das würde mir schon vorschweben, ist, da auch einen Akzent in Rich­tung Gesundheitsvorsorge und entsprechender Beratung zu setzen.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Danke schön.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Bundesrat Ernest Schwindsackl zu Wort gemel­det. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Herr Bundesminister, was wer­den Sie unternehmen, um die Ausbildung in den Pflege-, Sozial- und Betreuungsberufen so aufeinander abzustimmen, dass ein Wechsel zwischen diesen Berufen ohne Anrech­nung von Ausbildungen erleichtert wird?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Bundesrat, bereits derzeit enthalten die ausbildungsrele­vanten Regelungen der Pflegeberufe im Gesundheits- und Krankenpflegerecht Anrech­nungsbestimmungen, die sicherstellen, dass bereits absolvierte Ausbildungsinhalte ge­genseitig angerechnet werden und angerechnet werden müssen. Dies gilt auch für die auf Sekundarstufe angesiedelten Bereiche der Pflegeassistenz- und der Pflegefachas­sistenzausbildung. Vergleichbare Regelungen gibt es ebenfalls bei den landesgesetzlich geregelten Sozialbetreuungsberufen.

Für Ausbildungen im FH-Bereich besteht bei entsprechender Vorbildung gemäß fach­hochschulrechtlichen Regelungen ebenfalls die Möglichkeit von Anrechnungen wie auch die Möglichkeit von zielgruppenspezifischen Studiengängen, bei denen im Studienpro­gramm bereits die Vorbildung berücksichtigt werden kann und, wie ich meine, auch sollte.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Thomas Dim zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Thomas Dim (FPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister, der Klubobmann der ÖVP im Nationalrat, August Wöginger, hat in einem Interview einmal gemeint, eine Lösung der Pflegeproblematik wäre auch, dass es künftig weniger pflegebedürftige Per­sonen gäbe. Das soll durch Präventionsmaßnahmen funktionieren.

Jetzt ist meine Frage: Wann werden Sie diese Idee umsetzen? (Bundesrat Schennach: Das hat er sicher nicht ernst gemeint!)

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Bundesrat, ich kenne diesen Zeitungsbericht wirklich nicht und ich weiß auch nicht, ob der geschätzte Kollege Wöginger jetzt authentisch interpretiert wurde, aber gehen wir einmal - - (Bundesrat Dim: „Presse“-Artikel, 28.9. in der „Presse“!) Ich will es gar nicht abstreiten, man kann es auch nicht kontrollieren, ich wollte nur sagen, ich kenne den Bericht nicht, und daher kann ich das nicht bewerten, aber natürlich ist es so, dass die Vorsorge und die Gesundheitserhaltung ein ganz zen­traler Bereich in unserer Gesellschaft werden müssen. Davon reden wir in Wirklichkeit seit Jahrzehnten, wir haben aber noch sehr, sehr viel zu tun.

Was ist der Hintergrund? – Sie wissen es: Aufgrund der demografischen Entwicklung werden uns zusätzliche Lebensjahre – ich sage immer so – geschenkt. Unser Ziel ist, dass wir diese Lebensjahre möglichst in Würde und Gesundheit erleben können. Je län­ger wir das tun können, desto besser ist das für jeden Einzelnen. Das heißt, Bewusstsein im Gesundheitsbereich, Information und Vorsorgemaßnahmen wollen und werden wir auch im Bereich der Pflegereform deutlich verstärken müssen.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Zu einer abschließenden Zusatzfrage hat sich Frau Mag.a Elisabeth Kittl zu Wort gemel­det. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Lieber Herr Minister, welche Ergebnisse hat der digitale Beteiligungsprozess gebracht?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Dieser hat außergewöhnlich viele und außergewöhnlich einheitliche Er­gebnisse gebracht, davon war ich eigentlich am meisten beeindruckt. Er wurde von der Gesundheit Österreich durchgeführt, und zwar in der Zeit von Mitte Juli bis Mitte August des vergangenen Jahres, im Rahmen einer Onlineumfrage, mittels Fragebogen. Abge­fragt wurden dabei Pflege- und Betreuungsangebote, die Zufriedenheit damit, weitere Kapitel und Fragestellungen waren Dienstleistungsinnovation, der Bereich des Pflege­personals, Arbeitsbedingungen und Ausbildung sowie pflegende An- und Zugehörige beziehungsweise natürlich die großen Finanzierungsfragen.

Insgesamt haben sich mehr als 3 300 Personen beteiligt, davon 36 Prozent aus Orga­nisationen und 64 Prozent Privatpersonen. Das heißt, durch die Organisationen gehen wir davon aus, dass wir mit dieser Befragung in diesem System 10 000 Betroffene er­reicht und damit einen direkten Kommunikationsprozess geschafft haben.

Mein Ziel ist ja, dass ich keine Reform vom Schreibtisch aus entwickle, sondern gemein­sam mit den Betroffenen.

Was war das größte Thema? – Überraschenderweise war bei den Rückmeldungen ganz vorrangig das Thema Personal: Sie haben zu wenig Zeit, Verbesserungen der Arbeits­bedingungen, die erforderlich sind, sowie das Themenfeld Entbürokratisierung. Das wa­ren die drei Kernbereiche zum Thema Personal, das das prioritäre Thema war.

Die Breite des Angebots in Österreich im Bereich der Pflege wird von den Rezipienten grundsätzlich sehr, sehr positiv bewertet. Auch das ist eigentlich ein guter Schritt. Das heißt, wir brauchen eine Pflegereform, obwohl wir eigentlich ein gutes System haben.

Bemängelt wurden unterschiedliche Organisation und Ausgestaltung, das heißt, sehr unterschiedliche Standards in Teilbereichen, zum Beispiel zwischen Bundesländern. Das ist ja auch die Grundkritik des österreichischen Rechnungshofes, Stichwort keine gemeinsamen Steuerungs- und Planungsgrundlagen.

Sehr oft wurde auch das Thema der Communitynurses – nach dem gerade gefragt wur­de – genannt. Im Rahmen der Taskforce Pflege soll nun das genaue Aufgabengebiet auch auf Basis dieser Vorschläge, die im Bereich des digitalen Beteiligungsprozesses vorgelegt wurden, erarbeitet werden.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nun zur 7. Anfrage, 1918/M-BR/2021.

Ich bitte die Anfragestellerin, Bundesrätin Andrea Michaela Schartel, um die Verlesung der Anfrage. – Bitte, Frau Bundesrätin.