20.12

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Werte Kol­leginnen und Kollegen! Ich beziehe mich jetzt einmal im ersten Schwerpunkt meiner nicht lange dauernden Ausführungen auf das erste Thema. Das war das Hauptthema, so habe ich es wahrgenommen, und steht auch im Betreff.

Ja, leider, leider ist es so, dass neben den globalen ökologischen Bedrohungen wie der Klimakrise nach wie vor eine latente Bedrohung durch Atomwaffen real ist. Immer noch, wir haben es gehört, gibt es über 13 000 Atomsprengköpfe. Die sind in den Händen von neun sogenannten Atommächten und ein Arsenal, mit dem man die Zivilisation mehrfach auslöschen könnte. Der ganz große Teil davon ist im Besitz von Russland und den USA. Auch das ist nichts Neues. In dem Zusammenhang ist aber immerhin erfreulich, dass es jetzt mit Biden gelungen ist, den New-Start-Vertrag zu verlängern – immerhin! Das ist zwar erfreulich, allerdings natürlich völlig unzureichend, denn auch mit diesem Vertrag gibt es doch immer noch eine Anzahl von Atomsprengköpfen, die drastisch zu hoch ist. Jeder einzelne ist zu viel!

Es ist einfach unfassbar, was passieren würde, wenn ein Wahnsinniger eine mit Atom­sprengköpfen bestückte Rakete auf eine Stadt abwerfen würde, egal auf welche, wo auch immer. Jeder Abwurf wäre ein Wahnsinn verbunden mit unvorstellbaren Vernich­tungen und menschlichem Leid.

Diese Arsenale folgen ja nach wie vor der Logik des Kalten Krieges, nämlich abzuschre­cken, oder besser formuliert: Das ist eine Strategie der Angst, der Angst vor anderen, das Schüren der Angst vor anderen, eine Strategie des Teilens in Gut und Böse, was natürlich je nach Sichtweise wechselt. Genau das müssen wir endlich überwinden. Ge­nau deswegen war der letzte Freitag, der 22. Jänner, ein wichtiger Tag, wenn nicht ein historischer Tag: Der Atomwaffenverbotsvertrag trat in Kraft. Er verbietet so gut wie alles rund um Atomwaffen, die Entwicklung, den Test, den Erwerb, den Besitz, die Stationie­rung, die Aufstellung und die Lagerung von Atomwaffen. 86 Staaten haben ihn unter­zeichnet, 51 ratifiziert. Österreich ist nicht nur unter den Unterzeichnerstaaten, sondern es hat ganz maßgeblich an der Entwicklung dieses Vertrags mitgewirkt. Das darf man auch anerkennen. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

Traurig ist, dass sämtliche Atommächte und ebenso die Militärbündnisse nicht dabei sind – und ganz ehrlich: Es ist fast schon skurril, wie die Nato das begründet. Sie sagt: Solange Nuklearwaffen existieren, wird die Nato ein nukleares Bündnis bleiben.

In Excel nennt man so etwas unzulässigen Zirkelbezug. Okay, selbstverständlich ist es wichtig, das Bewusstsein über die Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen auf­rechtzuhalten, denn diese Zerstörungsmaschinen, auch wenn sie in den letzten Jahren wenig thematisiert worden sind, sind da, und die Gefahr steigt eher, als dass sie sinkt.

Ich sehe aber auch, dass das diskutierte Video nicht gerade geglückt ist, wiewohl – auch diese Kritik an den lieben Kollegen, an der SPÖ sei erlaubt – man die Aufregung über dieses Video natürlich schon auch etwas übertreiben kann. (Bundesrätin Schumann: Nicht jetzt, Kollege der Grünen!) Trotzdem, in einer Zeit wie dieser, in der sich viele Menschen um ihre Existenz sorgen, hätte man es anders aufziehen sollen und können, zum Beispiel als Vision einer atomwaffenfreien und friedlichen Welt, eine Vision, von der wir nicht abrücken dürfen. Und der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein Schritt in diese Richtung.

Ich möchte jetzt noch kurz auf ein anderes Thema eingehen, das mehrfach angespro­chen wurde und zu Recht ein sehr emotionales Thema ist. Ja, unsere Position ist da klar. Moria, Kara Tepe sind ein Skandal. Die Abschiebungen heute Nacht waren und sind ein Skandal. Sie sind unmenschlich. (Bundesrätin Schumann: Zu spät! – Bundesrat Beer: Bei der Regierung seid ihr nicht dabei?)

Sie begründen schon ein Stück weit auf der Frage der Auslegung, das ist richtig, aber zuallererst sind diese Vorgänge eine Folge der Rechtslage. Und da muss man natürlich schon auch Kritik an denen anbringen, die sich jetzt sehr empören. Ich glaube Ihnen das auch, aber das ist halt die Folge von systematischen Verschärfungen des Fremden- und Asylrechts in den letzten zehn Jahren. Da war die SPÖ bei vielen, vielen Verschärfungen dabei. (Bundesrätin Schumann: Ja, Gott sei Dank! Ja freilich!) Sie wissen das! Selbst­verständlich waren das auch die Blauen, da brauchen wir gar nicht darüber zu reden, und jeweils in Zusammenarbeit mit der ÖVP. (Bundesrat Beer: Wir haben noch keine Koalition gehabt mit den Freiheitlichen!) Das, was da passiert, in Kara Tepe, und was da heute Nacht vor allem mit diesen Kindern passiert ist, ist eine Katastrophe für sie, für die Betroffenen, und es ist politisch – das sage ich hier herinnen ganz offen – für uns un­glaublich bitter. Das ist nicht lustig.

Moria, Kara Tepe haben aber auch eine europäischen Dimension, gar keine Frage. Da­rum oder umso mehr wäre es so wichtig, ein Signal zu setzen, dass Europa in huma­nitären Notlagen hilft und zu seinen Werten steht, die Europa sonst ja auch sehr gerne verteidigt.

Niemandem bricht ein Zacken aus der Krone, wenn man da jetzt wirklich Leute, Kinder und Familien aufnimmt. Ich sage ganz offen, dass ich unseren Koalitionspartner da nicht verstehe. Ich weiß auch, dass nicht alle in der ÖVP diese Haltung teilen. Es gibt – und ich kenne sie – viele, die das nicht tun, die es sehr wohl unterstützen würden, endlich aus Kara Tepe Menschen aufzunehmen, die in Not sind, bewiesenermaßen unfassbar in Not sind, wenigstens ein Zeichen zu setzen und ein paar Hundert Leute, Familien hierherzuholen.

Es gäbe Zugänge. Viele Gemeinden haben in den letzten Monaten ihre Bereitschaft er­klärt, Menschen aus Kara Tepe aufzunehmen. Man könnte ihnen diese Möglichkeit ein­fach schaffen, oder man könnte zumindest eine kleine Abmilderung und Reparatur der jetzigen Rechtslage vornehmen. Werner Kogler hat heute vorgeschlagen, beispielswei­se so etwas wie ein Härtefallgremium für ein humanitäres Asylrecht und solche Dinge einzurichten. Das halte ich für einen sehr, sehr tollen Reparaturvorschlag, um wenigs­tens in Zukunft solche völlig unnötigen und unmenschlichen Vorgänge zu vermeiden. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

20.19

Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Wolfgang Beer. – Bitte, Herr Bundesrat.