11.10

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher zu Hause via Livestream! Herr Minister, Sie sprachen sozu­sagen in der Nachlese zu diesem Gesetzesbeschluss im Nationalrat von einem transpa­renten, lebensnahen und leistungsbezogenen Studienrecht, das Sie da auf den Weg gebracht hätten. Ich habe mir die Mühe gemacht und das einer genaueren Überprüfung unterzogen:

Transparent: Ja, im Vergleich zu vielen anderen Gesetzen ist es durchaus transparent gewesen. Immerhin hat es, wie wir schon gehört haben, eine entsprechende Begutach­tung mit sage und schreibe 588 Stellungnahmen gegeben. Ich habe nur einen Bruchteil dessen (einen Stapel Schriftstücke in die Höhe haltend), was hier an Feedback einge­langt ist, mitgebracht. Es gab sehr viel kritisches Feedback, sehr viele Forderungen nach durchaus auch massiven Änderungen, aber durchaus auch einige vernichtende Stellung­nahmen, wenn ich das so bezeichnen darf. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Leistungsbezogen: Ja, es ist auch das, wenn man dem irrtümlichen Glauben, würde ich sagen, erliegen mag, dass es sich bei Österreichs Studierenden ausschließlich um Voll­zeitstudierende handelt.

Und da sind wir schon bei Ihrer dritten Aussage, nämlich dass es lebensnah sei: Nein, das ist es nicht, denn – geschätzter Herr Minister, Sie haben aus meiner Sicht doch ein sehr individuelles Bild von der Lebenssituation von Studierenden in Österreich im Jahr 2021 – bei Weitem nicht alle Studierenden haben Eltern, die die Kosten für das Studium übernehmen können oder wollen, wie wir heute schon von einer meiner Vorred­nerinnen, Frau Bundesrätin Grossmann, gehört haben.

Viele Studierende sind gezwungen, ihr Leben finanziell schlicht und einfach selbst zu stemmen. Sie müssen Wohnungen finanzieren, auch das tägliche Leben muss bestritten werden, und dazu müssen oft Jobs, vielfach auch prekäre Jobs angenommen werden. Im letzten Jahr haben wir immer wieder gesehen, gerade diese Jobs sind weggebro­chen. Das heißt, der finanzielle Druck vieler Studierender ist immens groß. Es gibt Stu­dierende mit Kindern, deren Betreuung sie übernehmen müssen, es gibt auch alleiner­ziehende Studierende. All das steigert vielfach den Druck, wie wir bereits gehört haben, und ich möchte sagen, diese Mehrfachbelastung ist in Österreich offensichtlich nicht un­bedingt als große Leistung anerkannt oder zumindest wird dies von den Regierungspar­teien nicht als Leistung anerkannt. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben es heute schon mehrfach gehört, ab 2022 heißt es nun: Mindeststudienleis­tung erbringen. Diese 16 ECTS mögen sich auf den ersten Blick, wenn man sie in nackte Stundenzahlen umrechnet, vielleicht nicht nach viel anhören, aber unterm Strich steigert das den ohnehin schon vorhandenen Druck noch um eine weitere Stufe.

Aus Niederösterreich kenne ich aus dem Wahlkampf 2017/18 den Wahlslogan: Leistung muss sich lohnen. – Ja, eh. In Wahrheit bedeutet das aber nur, dass die tatsächlich er­brachte Leistung, nämlich diese Viel- und Mehrfachleistung, bestraft wird. Mehrfachleis­tung wird in Zukunft also strengstens sanktioniert, nämlich in Form von Exmatrikulation und Sperre für zwei Jahre, wenn diese 16 ECTS nicht vollständig erbracht werden können.

Es werden berufstätige Studierende bestraft, es werden Studierende bestraft, die Be­treuungstätigkeiten sowohl für Kinder als beispielsweise auch für zu pflegende Angehö­rige – auch das gibt es in Österreich – übernehmen müssen, und es werden Studierende bestraft, die zwei oder mehrere Studien parallel beginnen. Das entspricht für mich nicht unbedingt einem Fairness- und Leistungsbegriff.

Von den Türkisen – jetzt muss ich in eine andere Richtung schauen, da sie ja jetzt in der Mitte sitzen – ist man es ja gewohnt, ich erinnere nur an Geilomobil und Co, von Grün hätte ich mir aber schon ein klares Bekenntnis gewünscht. Das Bekenntnis, das die Grünen auch in der Opposition immer wieder so gerne proklamiert haben, scheinen sie inzwischen allerdings leider vergessen zu haben. Wir, die Sozialdemokratie, haben das ganz und gar nicht vergessen! (Beifall bei der SPÖ.)

Österreich braucht keinen verschärften Studien- und Hochschulzugang und Österreich braucht keinen elitären Studien- und Hochschulzugang, der noch mehr Druck erzeugt, sondern Österreich braucht einen wirklich fairen und freien Hochschulzugang für alle jungen Menschen in diesem Land, die das möchten. Es soll das nicht nur für die, die es vielleicht leichter als andere haben, geben. Das heißt: Ja, Leistung muss sich lohnen, aber diese Mehrfachleistung muss auch entsprechend anerkannt werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Ein zweiter für mich unverständlicher Punkt ist: Gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir eigentlich händeringend Nachwuchsärztinnen und -ärzte suchen und dringend brauchen und die Digitalisierung allein im letzten Jahr einen unfassbaren Bedeutungssprung ge­macht hat, beharrt man in Wahrheit auf den Zugangsregeln für eben diesbezüglich wichtige Studienrichtungen wie Medizin, Informatik und andere mehr.

Wir wissen jetzt – das haben wir auch im Ausschuss gehört und erfragt –, die Evaluie­rung ist zwar bereits – bereits ist gut –, ist endlich fertig, aber sie wird erst jetzt dem Wissenschaftsausschuss des Nationalrates zugewiesen und erst dort diskutiert. Aus meiner Sicht ist das angesichts der prekären Situation, in der sich Österreich gerade befindet – gerade was das medizinische Personal betrifft –, viel zu spät und viel zu kurz­sichtig. Da hätte man mehr Weitsicht walten lassen können.

Ich komme auch zum vielbesprochenen § 109, zu den Kettenverträgen: Ja, es ist ganz klar, da hat es einer Änderung bedurft, zumal sich in den letzten Jahren aufgrund solcher befristeter Kettenverträge durchaus eine Praxis auch prekärer aneinandergereihter Be­schäftigungsverhältnisse im Bereich wissenschaftlicher und künstlerischer MitarbeiterIn­nen etabliert hat. Ich darf an dieser Stelle an den EuGH-Entscheid von 2019 erinnern, in dem festgestellt wurde, dass womöglich eine Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Frauen vorliegt.

Das heißt, die Novelle war dringend notwendig, gar keine Frage, aber – da muss ich schon meine Kritik anbringen – beispielsweise die Gewerkschaft öffentlicher Dienst gibt bekannt, dass sie in diesen Reformprozess nicht oder viel zu wenig eingebunden war, und sie kritisiert, dass wieder einmal in Wahrheit nur die Arbeitgeberseite Berücksichti­gung gefunden hat. Sie befürchtet sogar, dass die Neuregelung letzten Endes de facto zu einem Beschäftigungsverbot führen könnte, wenn keine Möglichkeit mehr besteht, Forschungs- und Lehrtätigkeit am bisherigen Arbeitsplatz fortzusetzen.

Summa summarum lässt sich aus meiner Sicht diese gesamte Novelle so zusammen­fassen, wie das der Verband des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an den österreichischen Universitäten in seiner Stellungnahme formuliert hat. Ich darf das zitieren, da das, wie ich meine, schon sehr aussagekräftig ist: „Gepaart mit einem Regel­werk für Studierende, die nach Überwindung von Zugangshürden signalisiert bekom­men, die Universitäten möglichst rasch und effizient [...] wieder zu verlassen, schafft die­ses fehlgeleitete Sonderarbeitsrecht an Universitäten einen Nährboden, der keine Spit­zenleistungen, sondern Repression befeuern wird.“ – So viel zur Aussage des ULV.

TOP 2 und 3 können wir selbstverständlich unsere Zustimmung erteilen, denn das ist durchaus etwas – gar keine Frage –, bei dem wir mitgehen können, etwas Erfreuliches. Die Reform des Universitätsgesetzes, TOP 2, wie sie in dieser Form vorliegt, ist für uns aber nicht gangbar. Ich würde mir wünschen, dass auch ganz speziell die Grünen viel­leicht noch einmal in sich gehen und sich an ihre Oppositionsrolle, die sie noch vor etwas über einem Jahr innehatten, erinnern. (Bundesrat Schennach: Das ist vorbei!) – Das mag vielleicht vorbei sein, aber ich bin ein grundoptimistischer Mensch: Vielleicht kommt die Erinnerung wieder.

Ich möchte mit einem Zitat enden: Der Mensch sollte sich nie schämen, zuzugeben, dass er unrecht hatte. Damit drückt er – in anderen Worten – nur aus, dass er heute klüger ist als gestern. – Vielleicht kommt die Erinnerung zurück. – Ich danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.19

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Abschließend zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundes­minister Dr. Heinz Faßmann. Ich erteile es ihm. – Bitte.