17.31

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle­gen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Gewaltschutz für Frauen und Kinder ist wichtig, gerade jetzt, aber nicht nur jetzt, sondern immer – leider.

Ich finde es auch schade, dass nicht alle betroffenen Ministerinnen und Minister da sind. Weil unsere Justizministerin nicht da ist, möchte ich sie kurz zu Wort kommen lassen. Ich möchte ihr für ihren Einsatz für den Schutz von Frauen vor häuslicher und sexueller Gewalt danken, denn sie erweiterte – und dazu kommen wir heute noch – die Rechte der Opferschutzeinrichtungen hinsichtlich stellvertretender Einbringung von einstweili­gen Verfügungen für die von Gewalt betroffenen Frauen, sie erleichterte die Vorgehens­weise gegen Hass im Netz immens, sie fokussiert auf die Sensibilisierung und Schulung von BeamtInnen, RichterInnen, StaatsanwältInnen, die im Bereich des Sexualstrafrechts tätig sind. Das alles sind wichtige und langjährige Forderungen, die jetzt umgesetzt werden. Ich bin auch froh, dass die Kampagne für die vorhandenen Hilfsangebote zum Gewaltschutz von Frauen verstärkt wird.

Ein weiterer wichtiger Schritt, der gerade gesetzt wurde, ist die Wiedererweckung der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen. Ich finde es eigentlich recht perfide, dass jetzt von den Blauen gefordert wird, dass sie wiederkommen – Sie waren es, die sie abge­schafft haben. Dass diese Fallkonferenzen noch zusätzlich von den Opferschutz­einrichtungen einberufen werden können, ist sehr begrüßenswert. Es handelt sich bei den Fallkonferenzen um die Zusammenarbeit verschiedener bei Gewalt an Frauen invol­vierter Stellen: Polizei, Opferschutzeinrichtungen, Gewaltschutzeinrichtungen und andere. Dort werden alle gesammelten Informationen über den Fall zusammengebracht, und es wird eine realitätsnahe Risikoeinschätzung abgegeben sowie die weitere Vorgehens­weise ausgearbeitet.

In fast allen Fällen – und das ist so wichtig – handelt es sich um keinen den Behörden unbekannten Täter. Oft ist es nicht die Polizei, die zuerst oder die überhaupt angerufen wird – der Innenminister hat es gesagt; er hat noch von neun Morden gesprochen, leider sind es jetzt elf –, es ist nicht die Polizei, die vorher kontaktiert worden ist, und das liegt nicht an fehlender Kenntnis der Notrufnummer 133. Vielmehr muss die Polizei dafür bekannt werden, dass sie sich, genauso wie die Frauenschutzeinrichtungen, sensibel um die von Gewalt betroffenen Frauen kümmert. Vielleicht hat sich das noch nicht herumgesprochen.

Daher ist es wichtig, dass die Zahl der für Sexual- und Gewaltdelikte an Frauen zustän­digen Beamtinnen nun um 60 Prozent aufgestockt wird. Das ist ein guter Schritt, denn es ist essenziell, dass die Polizeibeamtinnen da sensibel vorgehen, dass die Frauen schonend vernommen werden, dass die betroffenen Opfer von Sexual­straf­taten – und das ist ein weiterer wichtiger Punkt – darüber aufgeklärt werden, eine Vertrauensperson zur Einvernahme hinzuziehen zu können, und dass ihnen schon ab der Anzeige eine kostenlose psychosoziale und juristische Beratung zur Verfügung steht.

In der Verantwortung der Polizei liegt es aber auch, ausreichend Beweise für das Straf­verfahren zu sammeln. Das ist wichtig, denn sonst steht oft die Aussage des Täters gegen die Aussage des Opfers, und das Verfahren wird mangels Beweisen eingestellt, obwohl es NachbarInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen, FreundInnen gäbe, die hätten befragt werden können.

Wieder ist eine Zusammenarbeit der Polizei mit den Opferschutzeinrichtungen wichtig, nämlich dann, wenn von der Polizei Wegweisungen, Betretungs-, Annäherungs- und Kontakt­aufnahmeverbote angeordnet werden. Dann müssen die Frauenschutz­einrich­tungen umgehend von der Polizei davon informiert werden, damit diese proaktiv auf die Betroffenen zugehen können, denn die Frauenschutzeinrichtungen können mit den Betroffenen in Ruhe und in geschütztem Rahmen überlegen, wie sie am besten weiter vorgehen. In einer solchen aufwühlenden Situation, in der die Frau aufgeregt, ge­schwächt und unsicher über Dinge sprechen muss, die extrem intim sind, werden Fehler gemacht, wird abgeschwächt, wird heruntergespielt.

Die Zeit der Wegweisung lässt durchatmen, um zu sich zu kommen, auch psychisch Abstand zu bekommen, um sich aus einer Gewaltbeziehung befreien zu können. In dieser Zeit können auch die Fallkonferenzen sowie weitere einstweilige Verfügungen eine wichtige Arbeit leisten. Die Vernetzung und die Zusammenarbeit zwischen den Opferschutzeinrichtungen und der Exekutive in den Fallkonferenzen sind unabdingbar, genauso aber zwischen den Ministerien, wo sie auch – heute hier gerade leider nicht, aber sonst – stattfinden.

Weil eben die Frauenschutzeinrichtungen so eine wichtige sachverständige und fürsorg­liche Rolle spielen, brauchen sie auch ausreichend Ressourcen, ja. Dank des gemein­samen Einsatzes und des politischen Drucks aller Fraueninitiativen haben auch Sie, Herr Bundeskanzler, zugestimmt. – Er ist nicht da. Schade! „Am Geld wird es nicht scheitern“, sagte er. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Vergessen wir nicht: Das Frauenbudget wurde unter der jetzigen Regierung erstmals signifikant erhöht, und alle zuvor erwähnten Maßnahmen – und das ist ein wichtiger Punkt – kosten auch Geld. Alle Maßnahmen der verschiedensten Ministerien kosten Geld und werden finanziert, weit mehr als in den Zeiten, als die SPÖ in der Regierung war, als das Frauenbudget stagnierte und unter Schwarz-Blau sogar die Budgets gekürzt wurden.

Ja, es braucht jetzt mehr Ressourcen. Was in den letzten zehn Jahren verabsäumt wurde, kann in 16 Monaten nicht aufgeholt werden. Wir Grünen haben die Forderungen der Opferschutzeinrichtungen immer unterstützt, und wir unterstützen sie heute.

Weil wir hier eine Länderkammer sind: Auch die SPÖ-bestimmte Regierung in Wien kommt mit einem gekürzten Frauenbudget nicht so gut weg. (Zwischenruf der Bundes­rätin Schumann.) In Graz hingegen wurden die Förderverträge für die Opferschutzein­richtungen nun von jedes Jahr mühsam einzubringenden Förderansuchen durch grüne Initiative auf mehrjährige Förderungen ausgedehnt. Im oberen Tirolerland wurde auf­grund grüner Initiative endlich ein Frauenhaus gegründet.

Handeln wir alle! Wir sind jetzt alle betroffen und gefordert.

Und ja: Gewalt an Frauen hat durch die Pandemie und ihre Folgen aufgrund der angespannten häuslichen Situation in den Familien, durch die Enge der Wohnungen und die prekären Einkommensverhältnisse zugenommen. Ich glaube aber nicht, dass Gewalt an Frauen außerhalb der Pandemie grundsätzlich zugenommen hat. Sie wird aber jedenfalls öffentlicher: Es wird mehr angezeigt, es wird mehr darüber geredet, es wird gehandelt, auch von den Frauen durch Inanspruchnahme der Maßnahmen.

So wichtig und unerlässlich der Gewaltschutz ist: Er ist eine Symptombekämpfung. Die Wurzel liegt in den Gewalt befördernden Männerbildern und den unwerten Frauen­bildern. Eigentlich ist es mir ein Gräuel, immer wieder von den Opfern und über die Opfer reden zu müssen, denn eigentlich geht es um Männer, die Gewalt an Frauen ausüben, die Morde an Frauen begehen, die Frauen sexuell missbrauchen oder öffentlich sexuell anpöbeln. Es geht um die Täter, und es geht um ein toxisches Männerbild und ein Frauen betreffendes Besitzdenken sowie ein abwertendes Frauenbild.

Der Sozial- und Gesundheitsminister betonte heute die Männerarbeit. Ja, wir brauchen eine gesellschaftliche Grundhaltung, die Gewalt gegen Frauen, vor allem sexuelle Ge­walt, aber auch Hass im Netz, Obszönitäten, Stalking, sexuelle Anpöbelungen weder verharmlost noch toleriert. Es braucht endlich eine Veränderung der Rollenbilder schon in der Frühpädagogik. Es braucht aber auch das Erlernen von Zivilcourage in allen pädagogischen Einrichtungen, und es braucht Gewaltvermeidungstrainings schon ab der Elementarpädagogik in allen Schulstufen im Curriculum.

Es braucht Präventionsarbeit, um Gewalt zu vermeiden. Es braucht Täterarbeit, um wiederholte Gewalt zu vermeiden. Da ist die in den letzten Jahren immer weiter ausge­baute Arbeit von Neustart positiv hervorzuheben. Der Verein betreut derzeit mehr als 1 000 Männer. Neustart macht opferschutzorientierte Täterarbeit, bringt Täter dazu, sich mit ihrer Tat, der Gewalt und der zugrunde liegenden Haltung auseinanderzusetzen. Darum geht es, und es ist wichtig, dass der Sozialminister die bereits bestehenden Ange­bote noch weiter ausbauen wird.

Es braucht aber auch eine Aufwertung und bessere Bezahlung der typischerweise von Frauen ausgeübten Tätigkeiten. Es braucht Männer im Haushalt und in der Sorgearbeit. Es braucht Frauen in gut bezahlten Berufen und in Führungspositionen und, und, und. Wir könnten den ganzen Tag darüber reden, was es alles braucht, um die verzerrte Wertigkeit von Frauen und Männern zu entzerren.

Da anzusetzen sind alle Ministerien gefordert – von selbst tut sich da wenig –, diese Schieflage in der Wertigkeit von Frauen und Männern wird sich sonst in letzter Konsequenz immer wieder in Mord und Gewalt manifestieren. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

17.40

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky. Ich erteile ihm dieses.