9.22

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherin­nen und Zuseher! Ja, in Österreich ist der gefährlichste Ort für Frauen das eigene Zuhau­se, die gefährlichsten Menschen sind die eigenen Lebenspartner und die gefährlichste Zeit ist die der Trennung. Österreich hat auch ein tragisches Alleinstellungsmerkmal: Von den 43 Mordopfern im Jahr 2020 in Österreich waren 31 weiblich, und man traut sich gar nicht mehr die tagesaktuelle Zahl zu nennen, weil man nicht weiß, ob nicht in der Zwischenzeit wieder eine Frau dazugekommen ist.

Man kann gar nicht anders, als jetzt wirksame Taten gegen Gewalt an Frauen und Kin­dern zu setzen, auf allen Ebenen, in allen Ressorts. Und ganz besonders muss hier der vielzitierte Grundsatz gelten: „Koste es, was es wolle“. Gerade da, denn es geht um Menschenleben, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie der BundesrätInnen Steiner-Wieser und Arlamovsky.)

Es sind neben dem Justizministerium viele, eigentlich alle Ressorts gefordert, wenn es darum geht, patriarchale Rollenmuster aufzubrechen, die ja – verbunden mit materieller Abhängigkeit – so gut wie immer der Nährboden für Gewalt sind. Meine Vorrednerinnen sind ja auch schon auf die Thematik eingegangen – insbesondere Sie, Frau Kollegin Miesenberger, haben über die Sensibilisierung von Frauen gesprochen –: Wir müssen vor allem die Burschen und Männer sensibilisieren, damit diese Rollenbilder aufgebro­chen werden (Bundesrätin Miesenberger nickt), denn es ist vielerorts ein Männerpro­blem! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Macht und Besitzansprüche gegenüber Frauen, das Nicht-Verkraften-Können, dass eine Frau eigene Lebensentscheidungen trifft, sich aus einer Beziehung lösen will, sich tren­nen will und selbstbewusst auftritt, sind die häufigsten Tatmotive, das wissen wir mitt­lerweile. In den allermeisten Fällen haben die Taten Vorgeschichten. Es gab Anzeigen, es gab Wegweisungen, es gab Hinweise, die vielerorts nicht wahrgenommen wurden, teilweise auch falsch gedeutet wurden, nicht ernst genommen wurden, wie auch immer, es ist nichts geschehen, und da muss man schon ganz klar und deutlich sagen: Wenn es Indizien gibt, dann braucht es – und das ist besonders wichtig und zu betonen – treffsichere Gefährlichkeitsprognosen. Die sind, wie man sich vorstellen kann, sehr, sehr schwer zu erstellen und können nicht so einfach aus dem Ärmel geschüttelt werden, sondern erfordern jahrelange Erfahrung, Know-how und wirklich ein reibungsloses Zu­sammenspiel aller befassten Stellen, von Polizei, Justiz, Bezirksverwaltungsbehörden bis hin zu den Gewaltschutzeinrichtungen, deren Expertise besonders hilfreich ist und sich in der Vergangenheit auch immer besonders bewährt hat.

Da hat es vor Jahren schon eine sehr gut strukturierte Zusammenarbeit gegeben, die aber unter Schwarz-Blau niedergefahren wurde – nicht überall, manche haben sie auf informelle Weise, wie in sehr vielen Regionen in der Steiermark, weiter gepflegt –, das muss alles wieder aufgebaut werden. Da gilt es die Maßnahmen, die hier aufgezählt wurden und die durchaus zu begrüßen sind – und das ist großteils Wiederaufbauarbeit ‑, umzusetzen, wiederum an bewährte Kooperationen anzuschließen, um im Ernstfall treff­sicher reagieren zu können. Wobei ich schon betonen muss, dass sich in den letzten Jahren, Jahrzehnten, muss man eigentlich sagen, die Sensibilität und das Bewusstsein in der Arbeit mit Gewaltopfern gerade bei Beschäftigten im Polizei- und Justizapparat stark verbessert hat. Das möchte ich schon betonen. (Beifall bei der SPÖ.)

In meinen Berufsanfängen in der Frauen- und Familienberatung, als die ersten Gewalt­schutzgesetze implementiert wurden, haben wir uns, also die Tätigen in den Organisa­tionen, teilweise fast – wie soll ich sagen? wie störende Fremdkörper gefühlt; also das hat einfach nicht ins System gepasst. Das hat sich wirklich sehr, sehr zum Positiven verändert, und die Zusammenarbeit wird auch wechselseitig sehr geschätzt. Es besteht auf beiden Seiten ein großer Wille zur Zusammenarbeit, das muss man wirklich sagen, und da möchte ich auch allen bei Polizei und Justiz Tätigen ein großes Dankeschön aussprechen, weil da wirklich ein Geist des Miteinanders herrscht, auch wenn es, wie wir leider oft erfahren müssen, natürlich auch Probleme gibt.

Wenn sich die derzeitige Bundesregierung, wie so oft, selbst mit Superlativen lobt, in diesem Fall mit dem größten Gewaltschutzpaket aller Zeiten, so rufe ich schon in Erin­nerung, wer überhaupt die Basis für Gewaltschutz und Frauenpolitik in Österreich gelegt hat: Ich darf da an die sozialdemokratischen Ministerinnen, beginnend mit Dohnal, Kon­rad, Prammer, Oberhauser und so weiter erinnern. Da wurde sehr vieles aufgebaut, das aber leider bei zweimal Schwarz-Blau, das kann ich nur wiederholen, schrittweise de­montiert wurde. (Ruf bei der FPÖ: Das ist ein Blödsinn!) Das heißt, da ist Wiederaufbau­arbeit zu leisten (Bundesrätin Steiner-Wieser: Das stimmt ja gar nicht ... so viel ge­tan ...!), und dass sie geleistet wird, ist positiv. – Ich weiß, das hören Sie nicht gerne, Frau Kollegin, denn da war Ihre Fraktion auch in der Regierung, aber es ist so, das ist die Tatsache. (Neuerlicher Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.)

Die Serie an Morden zwingt die Regierung dazu, wirksame Taten zu setzen, und bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen sind wir selbstverständlich auch sehr gerne dabei und behilflich. Ich möchte da auch auf einige Best-Practice-Modelle verweisen: In Graz beispielsweise gibt es eine gerichtsmedizinische Gewaltschutzambulanz, auch zur Beweissicherung und Dokumentation von Verletzungen. So etwas braucht man in ganz Österreich, und zwar rund um die Uhr erreichbar und am besten auch mobil einsetzbar, denn es ist von Frau Kollegin Kittl schon angesprochen worden: Die Beweisführung ist ein großes Problem (Bundesrätin Kittl nickt), und da könnten solche mobilen Ambulan­zen sehr, sehr hilfreich sein.

Wenn hier weitergearbeitet oder wenn das sozusagen ausgerollt wird, dann ist das wirk­lich sehr, sehr zu begrüßen, denn es kommt tatsächlich sehr oft zu Freisprüchen im Zweifel, zu sehr zweifelhaften Freisprüchen. Da gilt es natürlich näher hinzuschauen.

Die Ausbildung von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsan­wälten im Hinblick auf häusliche Gewalt ist essenziell, und wir wundern uns nur allzu oft, warum in manchen Fällen keine Haft ausgesprochen wird und sozusagen Wegweisun­gen und Annäherungsverbote als gelinderes Mittel eingesetzt werden, wozu sie eigent­lich nicht gedacht waren – oftmals auch ohne Begleitmaßnahmen.

Täterarbeit, Antigewalttrainings müssen obligatorisch sein. Im Anlassfall bedürfen das Opfer und in den meisten Fällen natürlich auch die dazugehörigen Kinder eines beson­deren Schutzes. Opferschutz muss überhaupt die höchste, die allerhöchste Priorität ha­ben, und wenn ein Haftgrund gegeben ist, muss auch eine Haft ausgesprochen werden – eine Selbstverständlichkeit, die oft nicht so selbstverständlich ist. Dazu muss man eben die Lage richtig einschätzen können, und dazu müssen die entscheidenden Personen entsprechendes Praxiswissen haben.

Auch da war man schon weiter: In der Vergangenheit war es sehr wohl üblich und sehr oft der Fall, dass wir Praktikantinnen und Praktikanten aus dem Justiz- und Polizeiwesen in den Gewaltschutzeinrichtungen und Familienberatungsstellen hatten. Das gehört wie­der aufgenommen. Das sollte selbstverständlicher Ausbildungsbestandteil sein, damit einfach das Umfeld und die Situation besser eingeschätzt werden können.

In der Steiermark – das möchte ich auch noch als Best-Practice-Beispiel erwähnen – gibt es einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für Gewaltopfer. Dazu gibt es, wenn es notwendig ist, selbstverständlich auch einen Platz in einem Frauenhaus oder, noch besser, in einer regionalen Notwohnung, um nicht das Opfer und vielfach auch die Kinder aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herauszureißen – wobei selbstverständlich der Grundsatz gelten muss, dass der Täter das Umfeld verlassen muss, nicht das Opfer.

Es braucht da eben ein umfassendes Bündel an Maßnahmen, und es ist wie gesagt zu begrüßen, wenn nun das Ruder wieder in Richtung wirksamen Gewaltschutz herumge­rissen wird, aber das kommt für viele, allzu viele zu spät und auch vielerorts zu wenig konsequent, meine sehr geehrten Damen und Herren. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Danke, Frau Minister. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätinnen Hauschildt-Busch­berger und Kittl.)

9.32

Präsident Mag. Christian Buchmann: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Andreas Ar­thur Spanring. – Bitte, Herr Bundesrat.