09.54

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Liebe Kollegin­nen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin! Zentral geht es um zwei Prinzipien: erstens um Opferschutz – Opferschutz hat immer die oberste Priorität, wir haben sehr viel davon gehört –, zweitens um Prävention, denn wenn wir Frauen und Kinder vor von Männern ausgeübter Gewalt schützen wollen, müssen wir bei den Männern ansetzen, tatsächliche und potenzielle Täter stärker in den Blick nehmen; das heißt eben, Präven­tionsarbeit zu leisten und Gewalt erst gar nicht entstehen zu lassen.

Gewalt, das muss man klar sagen, ist immer das Ergebnis einer mehr oder weniger bewussten Entscheidung. Es ist immer eine Entscheidung gegen eine Handlungsalter­native, eben keine Gewalt anzuwenden. Damit ist auch klar, wer verantwortlich ist: Es ist der Täter, und da gibt es auch keine Ausrede. Gewalt im privaten, häuslichen Bereich wurzelt vielfach in patriarchalen Rollenbildern, in denen Männlichkeit mit Stärke und Do­minanz und so weiter assoziiert wird. Sie kennen das alle. Diese Verhaltensweisen und Haltungen kommen in allen Gesellschaftsschichten vor, sie sind kein fragwürdiges Privi­leg einer Gruppe. Männergewalt an Frauen steckt praktisch mitten in der Gesellschaft.

Herr Kollege Spanring, es hilft uns nicht weiter, zu suggerieren, dass Gewalt an Frauen importiert sei, dass sie bestimmten Zuwanderungsgruppen zuzuschreiben sei, und damit abzulenken. (Bundesrat Spanring: Da haben Sie nicht zugehört, Herr Kollege!) Gewalt an Frauen ist generell tabu – Punkt! –, egal von wem. Und, eines ist ganz entscheidend – ich habe es erwähnt –: Das Individuum ist verantwortlich für die Tat. So ist übrigens auch der Rechtsbegriff.

Wir haben schon viel über konkrete Maßnahmen gehört, ich greife nur noch ganz wenige Aspekte in Richtung Täter auf. Die Bubenarbeit soll massiv verstärkt werden – ganz ent­scheidend. Möglichst früh sollen sie lernen, dass Gewalt keine Lösung ist. Sie sollen lernen, mit ihren Gefühlen und Emotionen, mit ihren Ängsten konstruktiv und vor allem friedlich umzugehen. Die Männerberatungsstellen werden gestärkt und ausgebaut und vor allem bekannter gemacht. Ängste und Vorbehalte, dort anzurufen, müssen abgebaut werden. Wichtig ist es, noch mehr zu verstehen, warum Gewalt angewendet wird. Des­wegen ist eine Motivationsforschung geplant, die alle Tötungsfälle der letzten zehn Jahre analysiert, mit dem Ziel, noch genauer Präventionsmaßnahmen ableiten zu können.

Einer der Männer, die den Ursachen männlicher Gewalt umfassend nachgegangen sind, ist der Kulturwissenschafter Klaus Theweleit. Er hat bereits vor vier Jahrzehnten, seiner Zeit weit voraus, mit „Männerphantasien“ – so heißt das Buch; kann ich sehr empfeh­len – eine Art Kulturgeschichte männlicher Gewalt vorgelegt. Das Buch ist heute leider aktueller denn je, darum wurde es auch neu aufgelegt. Und da ziehen sich einige Merk­male durch: Das ist etwa eine grundsätzlich angstbesetzte Wahrnehmung des anderen Geschlechts, das Gefühl der Unterlegenheit. Das sind Folgen einer fatalen Erziehungs­haltung, die es in Ordnung fand und findet, kleine Kinder anzubrüllen, schreien zu lassen oder gar Körperkontakt zu entziehen.

Das ist leider alles nicht so lange her. Ich weiß noch selbst, dass solche Erziehungsme­thoden und Verhaltensweisen zu weit verbreiteten Tipps gehörten, wie Kinder zu erzie­hen seien, wie in der Familie miteinander umzugehen sei. Und noch immer gibt es Män­ner, die glauben, es gäbe so etwas wie eine gesunde Watschen.

Er selbst, erzählt Theweleit, war als Kind Gewalt ausgesetzt, Gewalt seines Vaters. Ihm wurde dann aber geholfen, er hat sich helfen lassen, erzählt er dann. Das ist der Grund, warum ich das jetzt erwähne: Es ist essenziell, zu erkennen, dass Gewalt Ursachen hat, wobei die Verantwortung niemals abzustreifen ist, das ist klar, aber sie hat Ursachen, oft auch außerhalb des eigenen Selbst, die prägend wirken. Das kann das eigene Umfeld sein, in dem es als akzeptiert gilt, gelegentlich durchzugreifen, oder, klarer formuliert, wo Gewalt nicht als auszuschließende Verhaltensweise gilt.

Dieses Erkennen von Gewaltursachen bedeutet nun, dass Hilfe möglich ist.

Präsident Mag. Christian Buchmann: Herr Bundesrat, ich bitte, zum Schluss zu kom­men, die Redezeit ist erschöpft!

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (fortsetzend): Liebe betroffene Männer, sein eige­nes Verhalten und dessen Bedingungen zu reflektieren, sich einzugestehen, dass man nicht alles allein lösen kann, dass man bereit ist, Hilfe anzunehmen, das ist Größe, denn es ist ein Durchbrechen gewohnter Muster. Das zu schaffen und auf Gewalt zu verzich­ten, ist Stärke. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

9.59

Präsident Mag. Christian Buchmann: Nächste Rednerin ist Doris Berger-Grabner. – Bitte, Frau Bundesrätin.