10.10

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bun­desrates! Hohes Haus! Ich darf vielleicht gleich zu Beginn, wie es Herr Bundesrat Schreuder ausgedrückt hat, einen Sidestep machen und auf das Thema Ungarn eingehen. Ich kann ganz klar sagen, Herr Bundesrat Schennach: Sie können es noch so oft wiederholen, es bleibt einfach falsch und es bleibt einfach lächerlich. Die österreichische Haltung zu Ungarn ist völlig klar. Das Gesetzesvorhaben, das auf dem Tisch liegt, ist einfach perfide, und es ist völlig richtig und gut, dass die Europäische Kommission da rechtlich vorgeht. (Ruf bei der SPÖ: Das hat aber lange gedauert!)

Eine andere Sache ist auch ganz klar: Wir machen Außenpolitik nicht per Tweet, nicht auf Zuruf, sondern wir machen es so, wie es in den vergangenen Jahrzehnten gehand­habt wurde. Gerade bei einem Nachbarn ist es, glaube ich, angemessen, dass man sich zuerst die Texte anschaut und dann eine ordentliche Haltung bezieht, bevor man über Social Media kommuniziert. Ich glaube, das sollte in der Außenpolitik und in der Politik grundsätzlich gelten. (Beifall bei der ÖVP.)

Das Thema – es wurde heute schon öfter genannt – der heutigen Aktuellen Stunde spricht wirklich eine der größten Herausforderungen an, denen wir gegenüberstehen. Wir haben sehr große Fortschritte in der Bekämpfung der Pandemie gemacht, aber wir wissen alle, dass wir die Gefahr noch lange nicht als gebannt bezeichnen können. Da hat natürlich auch Bundesrat Hübner recht, das ist sozusagen etwas, was uns begleiten wird. Auch das Thema Impfung wird uns in den kommenden Monaten und Jahren natürlich noch begleiten, weil der Virus nicht einfach verschwinden wird.

Es wurde angesprochen: Wir haben in den letzten Monaten eine wirklich eigenartige Situation gehabt. Wir haben zum ersten Mal eine Krise gehabt, die globaler und zugleich auch wirklich persönlicher Natur war. Sie hat jedes Land, jeden Kontinent, jede Region betroffen – das gab es in der Vergangenheit in der Form noch nicht – und gleichzeitig in jedes unserer Leben eingegriffen, in unseren privaten, persönlichen, sozialen, familiären und beruflichen Umgang. Zum allerersten Mal – zumindest seit dem letzten Jahr­hundert – war die westliche Welt nicht einfach nur unbeteiligter Beobachter, nicht nur Zuschauer, sondern wir haben diese Krise voll zu spüren bekommen.

Die Pandemie war auch ein brutaler Weckruf; ein Weckruf, wie verletzlich unsere Gesellschaften eigentlich sind, wie wahnsinnig schnell sicher geglaubte Fortschritte, seien sie wirtschaftlicher, politischer, sozialer Natur, über Nacht infrage gestellt werden können. Am stärksten waren auch da wieder – wie leider Gottes bei solchen Krisen immer – die Entwicklungsländer betroffen, jene Staaten mit den schwächsten Institu­tio­nen, und in diesen Gesellschaften – leider Gottes auch wie immer – die gefährdetsten Gruppen, nämlich Kinder und Frauen. Es liegt jetzt, glaube ich, eine Riesenaufgabe vor uns: in den nächsten Jahren sicherzustellen, dass wir bei den nachhaltigen Entwick­lungszielen, also den sogenannten SDGs, nicht noch weiter an Boden verlieren, als wir es in den letzten zwölf Monaten getan haben.

Dazu kommt – und ich habe das, glaube ich, in diesem Haus schon öfter betont –, dass die letzten zwölf Monate bewiesen haben, dass internationale Krisen und Konflikte im Schatten der Pandemie nicht verschwunden sind. Tatsächlich hat sich Covid-19 als Brandbeschleuniger von internationalen Krisen erwiesen. Wenn man sich die Krisen­landkarte anschaut, dann sieht man, dass es eigentlich an allen Ecken und Enden um Europa herum brennt, es gibt quasi einen Feuerring um Europa, der von der Westsahara in Marokko über Libyen, den Nahen Osten bis nach Osteuropa reicht – man denke nur an die brutale Eskalation der Hamas vor Kurzem im Nahen Osten oder an das andau­ernde demokratiepolitische Drama in Belarus.

Ich werde gleich anschließend an diese Sitzung gemeinsam mit meinem litauischen und meinem rumänischen Kollegen im Auftrag der Europäischen Union, also im Namen des Hohen Vertreters Josep Borrell, nach Aserbaidschan, Armenien und Georgien fahren. Der Krieg in Bergkarabach war einer jener Konflikte, die in der Zeit der Pandemie plötzlich von einem schwelenden Konflikt zu einem militärischen Krieg geworden sind. Ich glaube, es ist gut und richtig, dass die internationale Diplomatie endlich wieder in Gang kommt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt in Europa ja den Impfturbo gezündet, wir machen große Fortschritte in Richtung Normalität. Das Hauptthema – höchstwahrscheinlich auch hier im Bundesrat in den Couloirgesprächen – ist, wo man die Sommerwochen verbringt. Ich glaube, das ist aber gerade eine Phase, wo wir ein bisschen innehalten, in uns gehen und vielleicht auch ein bisschen über den Tellerrand blicken sollten, denn nicht jeder auf diesem Planeten, nicht jeder in unserer Nachbar­schaft, sogar in der unmittelbarsten Nachbarschaft, ist in dieser glücklichen Lage.

Ich habe in den letzten Wochen viele Kontakte mit unseren Nachbarn gehabt – im West­balkan, in Georgien, Armenien, Nordafrika, der Ukraine, Moldau –, und da waren sehr unterschiedliche Stimmen zu hören, Stimmen, die hier in Österreich in der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar sind: fast schon Verzweiflung über nicht verfügbare Impfstoffe, Ver­zweiflung, dass sie noch mitten in der Pandemie stecken. Ich glaube und bin zutiefst davon überzeugt, dass gerade die Europäische Union gegenüber der näheren und weiteren Nachbarschaft eine besondere Verantwortung hat, und ich bin stolz darauf, dass Österreich den Anfang gemacht hat.

Es ist erstaunlich, dass das die SPÖ-Fraktion nicht genannt hat, denn es gibt nicht nur Covax – darauf komme ich nachher noch zu sprechen –, es gibt auch den EU Vaccine Sharing Mechanism, und innerhalb dieses EU Vaccine Sharing Mechanism wurde Österreich sozusagen in einem Team Europe beauftragt, als erster Staat mit der Impf­hilfe für Drittstaaten – und zwar für den Westbalkan – zu beginnen. Ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen. Wir haben immerhin 651 000 Dosen Biontech/Pfizer für den Westbalkan zusammenstellen können. Das war eine schwierige Aufgabe. Ich sage auch dazu: Das waren keine Impfdosen, die für Österreich geplant waren – oder rot-weiß-rote Impfdosen –, sondern das war ein EU-Batch, den wir mit Biontech/Pfizer koordiniert haben, für den wir zweieinhalb Monate verhandeln mussten, sehr schwer verhandeln mussten, und den wir im Mai schließlich übergeben konnten.

Das ist, das sage ich auch dazu, in engster Absprache mit der WHO erfolgt. Ich war laufend in Kontakt mit Hans Kluge, dem Regionaldirektor der WHO, der in Kopenhagen, Dänemark, sitzt und der uns ausdrücklich, auch medial, für diese Hilfe, die wir für unsere Nachbarn leisten, gedankt hat – nicht nur Österreich, sondern der Europäischen Union.

Das war natürlich nur der erste Schritt, und wir werden da als Österreich nicht halt­machen. Sobald die impfwilligen Österreicherinnen und Österreicher den Impfstoff er­halten haben und wir mehr Impfstoff haben, als wir brauchen, in dem Moment werden wir selbstverständlich Impfstoff weitergeben. Das liegt, glaube ich, in der Natur der Sache, das ist für mich einfach eine Frage der menschlichen Logik.

Natürlich werden wir in erster Linie an die unmittelbarste Nachbarschaft denken, das ist für mich in erster Linie ganz klar der Westbalkan. So hat der Herr Bundeskanzler auch letzte Woche beim Gipfeltreffen der sechs Westbalkanstaaten völlig zu Recht ange­kündigt, dass wir ab August schrittweise eine Million zusätzliche Impfdosen für diese Region anbieten werden – und nein, es gab keine Bedingungen, überhaupt keine Bedin­gungen, genauso wenig wie bei den ersten 651 000 Dosen, die wir zur Verfügung gestellt haben. Das ist einfach Hilfe gemäß dem logischen Hausverstand, die wir leisten. Ich muss ja wohl nicht daran erinnern, dass wir in diesem Land 550 000 Menschen mit familiären Wurzeln am Westbalkan haben, die dort hinfahren, dort Familie haben, die sie besuchen wollen. Es ist also logischerweise einfach Eigeninteresse, das uns leitet, abgesehen davon, dass wir mit dieser Region wirtschaftlich und politisch sehr eng verbunden sind.

Ich freue mich in diesem Zusammenhang auch, dass mit dem heutigen Tag drei Staaten des Westbalkans – Albanien, Nordmazedonien und Serbien – auf der grünen Liste sind und damit Reisen für 3G – also Genesene, Getestete und Geimpfte – völlig problemlos möglich sind. Das ist die Richtung, in die es gehen muss.

Wir wollen aber natürlich nicht nur dem Westbalkan helfen, sondern auch unseren Partnern in der östlichen Nachbarschaft, in der südlichen Nachbarschaft, aber auch unseren Partnerländern im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ich habe schon den EU Vaccine Sharing Mechanism erwähnt. Da hat die Europäische Union bereits zwei Millionen Dosen ausgegeben. Wir haben eben mit der Lieferung unserer 650 000 Do­sen begonnen, und die Europäische Union hat beim letzten EU-Gipfel im Mai zugesagt, dass sie bis zum Ende des Jahres weitere 100 Millionen Dosen als Hilfe für ärmere Länder zur Verfügung stellen wird. Ich glaube, das ist ein völlig richtiger Zugang.

Dazu kommt dann – und das hat Bundesrat Schennach vorhin erwähnt – Covax, das Instrument der WHO. Es wurde schon gesagt: Die Europäische Union ist der größte Unterstützer mit 2,5 Milliarden Euro – und nein, es ist nicht so, dass da nichts geschieht, ganz im Gegenteil: Für viele Staaten ist das die wesentliche Lebenslinie. 88 Millionen Dosen wurden bereits an 131 Staaten ausgeliefert, darunter immerhin sechs der elf Schwerpunktregionen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit: Äthiopien, Uganda, Mosambik, Moldau, Kosovo und Palästina.

Das ist also, glaube ich, eine sehr richtige Politik, die natürlich noch am Anfang steht, wo wir in den nächsten Monaten unsere Anstrengungen noch massiv verstärken müssen. Es ist ganz klar – und das ist ja der logische Titel dieser Aktuellen Stunde –: „Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind“.

Ich habe es auch vorhin angesprochen: Ich glaube, das gilt gerade für ein Land wie Österreich. Wir sind vom Export abhängig, wir brauchen den Tourismus, in unserem Land leben so viele Hunderttausende Menschen, die unser Land bereichern, die aber familiäre Wurzeln im Ausland haben und dort hinfahren wollen, vor allem nach diesen schwierigen letzten zwölf Monaten. Für uns ist es einfach in unserem schlicht wohl­verstandenen Eigeninteresse, diese europäische Solidarität auch zu leben, und zwar nicht nur am Westbalkan, sondern auch in der östlichen Partnerschaft, in der südlichen Partnerschaft; dass wir ihnen helfen, diese Krise so bald wie möglich zu überwinden.

Es gibt aber noch einen politischen Aspekt, den ich auch noch kurz erwähnen will: Während wir in Europa der Meinung sind, dass Antikörperchen keine Nationalfarben tra­gen, dass man mit Immunsystemen nicht Geopolitik betreiben sollte, sehen das andere Staaten auf dieser Welt offenbar ganz anders. Sie sind der Meinung, dass das Spielfeld der Impfdiplomatie für sie ein Mittel ist, ein potenzieller weiterer Hebel, um ihre Ein­flusssphären zu erweitern. Ich spreche natürlich von China und Russland.

Diesen Spin, der ganz bewusst gespielt wird, dass die westliche Welt, die demokratische Welt in der Pandemiebekämpfung gescheitert ist, dass wir unsere Partner im Stich lassen, können wir nicht einfach auf sich beruhen lassen. Da ist es einfach notwendig, und ich glaube, das sollte das europäische und auch das österreichische Selbstver­ständnis sein, dass wir diesem Spin ein klares europäisches Narrativ entgegensetzen, nämlich das Narrativ der Hilfe für unsere Partner, der Hilfe für unsere Nachbarschaft. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP sowie der Bundesrätin Kittl.)

10.21

Präsident Mag. Christian Buchmann: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Harald Himmer. – Bitte.