18.52

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geschätzter Herr Bundesminister! Es ist ein bisschen eine Premiere für mich: Es ist in 20 Jahren das zweite Mal, dass ich vorschlage, einen Arbeitsbericht auf Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission hier nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Grund der Nichtkenntnisnahme ist nicht das auf allen Ebenen wirklich ambitionierte Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission, der Grund ist die Minderleistung Österreichs und der österreichischen Bundesregierung in diesem Bereich.

Österreich ist sowohl im Gesundheits- als auch im Sozialbereich in Europa mäßig engagiert. Herr Bundesminister, wir kennen uns noch nicht so gut, aber: Was im Himmel hat Sie geritten, nicht zu einem der ganz, ganz seltenen Sozialausschüsse zu kommen? Die portugiesische Ratspräsidentschaft hat nach jenem in Göteborg wieder einen gemacht. Warum stolpern dort ein Herr Kocher und der Bundeskanzler herum und warum ist der Sozialminister nicht dort? (Beifall bei der SPÖ.)

In Göteborg ist ja ein Wunder geschehen: Endlich wurde diese vierte Säule der sozialen Sicherheit Realität. Jetzt heißt es eigentlich, diese Säule mit Leben zu erfüllen, damit die Europäische Union auch soziale Sicherheit gibt. Und es kommen ganz tolle Vorschläge, die wir uns so von der Kommission eigentlich noch gar nicht erwartet haben, wie zum Beispiel die Grenzgängerregelung bezüglich des Arbeitslosengeldes. Und wer blockiert? – Österreich!

Als Nächstes drängt die Bundesregierung bei den Grenzgängern um eine Indexierung der Familienleistungen. Es ist wieder dasselbe: Arbeiten schon, aber ihre Familien inter­essieren uns nicht! (Bundesrätin Schartel: Na, das stimmt nicht! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Es stimmt! Ihr könnt aber dann ja gerne auch dazu Stellung nehmen.

Jetzt komme ich zur Pandemie, Herr Bundesminister. Ich meine, es gab einen Wechsel an der Spitze des Ressorts, aber Kollege Anschober war immer der Meinung, die Pandemie lassen wir im nationalen Bereich. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.) – Ja, ja, ist schon gut. (Heiterkeit bei der ÖVP.) Die andere Frage aber ist: Gibt es denn nicht – und da sehen wir eine ganze Reihe wichtiger Audits und Stresstests, die wir hierzu machen müssen – eine Bevorratung und Entwicklung krisenrelevanter Produkte?

Wenn wieder eine Pandemie kommt – und es wird wieder eine kommen –, brauchen wir eine EU-Gesundheitstaskforce. Man hat ja der EU immer vorgeworfen, mangels Kom­petenz zu langsam gewesen zu sein, die nationalen Grenzen nicht überbrückt zu haben. Jetzt schlägt die Kommission das vor, und Österreich sagt: Na, das lassen wir lieber in der nationalen Zuständigkeit! – Das ist keine Vorbereitung auf die nächste Krise, Herr Bundesminister! Man sollte außerdem die Pläne, die Europa vorschlägt, eine Gesund­heitsunion mit einer verbesserten Koordination und einem zielgerichteten Krisenmana­ge­ment, ein bisschen aktiver und nicht so passiv angehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Jetzt kommt ein Musterstück: Die Europäische Kommission sagt – hört einmal zu (in Richtung FPÖ), man glaubt es nicht, was aus der Kommission kommt –, wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit beim digitalen und beim ökologischen Wandel. Hallo, das sagt die Kommission! Und sie verlangt ein europäisches Sozialmodell, damit wir nach diesen großen Umbrüchen nicht im Regen stehen.

Weiters – ich schaue jetzt Kollegin Gruber-Pruner an –: Die Europäische Kommission fordert eine Kindergarantie. (Beifall bei der SPÖ.) Mit dieser Kindergarantie will sie den Kindern alle Basisdienste wie Gesundheit, Bildung und angemessenes Wohnen garan­tieren. – Na, wie klingt denn das? Das ist doch eine hervorragende Sache. Und wo stehen wir? – 2017 wurde das in Österreich angedacht, seither aber ist überhaupt nichts geschehen. Was die Kinder betrifft, verlangt die Kommission mehrjährige nationale Aktions­pläne, insbesondere auch betreffend das Wohnen. Also, liebe Daniela Gruber-Pruner von den Kinderfreunden: Klopft auf diesen Punkt! Wo sind die Aktionspläne? Die müssen bis 2030 von Österreich abgeliefert werden. Ich kenne keinen.

Nächster Punkt: neue Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Das ist okay, da kann uns der Minister vielleicht noch sagen, wie man sich das im Konkreten vorstellt.

Jetzt aber kommt das, was wir immer wieder in der Cosac diskutiert haben – das hat immer Österreich eingebracht –: sozialer Wohnbau, sozialer Wohnbau, sozialer Wohn­bau! Raus damit aus den Maastrichtkriterien! Jetzt verlangt der EU-Ratsvorsitz die Eingliederung wohnungsloser Menschen in die Gesellschaft als ein wesentliches Anliegen. Ich weiß, wenn Frankreich im Europarat den Vorsitz übernimmt – das hat die Vertreterin Frankreichs schon angemerkt –, wird es als Erstes eine Initiative setzen: Raus mit der Knebelung von Gemeinden und Städten aus den Maastrichtkriterien! Lasst die Gemeinden ihre Investitionen machen, lasst die Gemeinden und nehmt sie raus, denn es sind die Gemeinden, die letztlich Nachfrage und Beschäftigung schaffen! – Das hat unsere Bundesregierung nach der zögerlichen Hilfe für die Gemeinden in der Pandemie auch noch nicht ganz verstanden.

Kommen wir noch zu etwas, das mir auch sehr wichtig ist: die Verbesserung der Ar­beitsbedingungen für Plattformbeschäftigte. Es ist ja etwas Neues, dass man auf Platt­formen beschäftigt ist. Ich finde es nicht gut, wenn manche Leute, die für eine solche Plattform arbeiten, gar nicht wissen, wie das Endprodukt ausschaut. Wie auch immer sich unser Lebens- und Arbeitsraum entwickelt, aber jetzt sagt die Kommission – und da kommt nichts von Österreich, es kommt nichts! –, wir müssen die Arbeitsbedingungen für solche Plattformbeschäftigte verbessern. Das sagt die Kommission – und Österreich sagt Njet.

Wie gesagt, das ist einer der Gründe, warum wir diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen; nicht wegen der Kommission, sondern wegen des österreichischen Anteils. Vielleicht, Herr Bundesminister, könnten Sie uns in Ihrer Stellungnahme etwas zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Plattformbeschäftigte aus Ihrer Sicht sagen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

19.01

Präsident Mag. Christian Buchmann: Zu dieser Stellungnahme hat sich Herr Bun­des­minister Dr. Wolfgang Mückstein bereits zu Wort gemeldet, und ich erteile ihm dieses. – Bitte.