19.27

Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien) (erheitert): Danke für die freundliche Begrüßung (Heiterkeit bei der FPÖ), aber Kollege Schennach wird sich wundern: Heute sind wir im Ergebnis sogar einer Meinung. Das kommt nicht oft vor, aber wir kommen im Ergebnis zum Gleichen. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Wir kommen zwar von verschiedenen Dingen, aber die Pole ziehen sich an und auf einmal treffen sie sich in der Mitte und kommen zu den gleichen Erkenntnissen (Beifall bei der FPÖ – Zwischenruf des Bundesrates Schennach) – das kommt schon noch –; aber das ist nicht der Grund meiner Wortmeldung.

Der Grund meiner Wortmeldung ist, dass ich jetzt der Debatte zugehört habe. Ich wollte mich eigentlich nicht melden, aber die Debatte ist einfach ein so perfektes Beispiel dafür, wie das Newspeak der EU die Fähigkeit zu einem rationalen, faktenbasierten Handeln und Argumentieren vernebelt. Es gibt diese wenigen Begriffe – es sind vielleicht 15, 20 –, die in der EU-Sprache seit 20 Jahren durchgewirbelt werden, die ständig wiedergekäut werden, die ständig propagandistisch – wie soll man sagen? – auf uns einrieseln. Ein­rieseln, das wäre das richtige Wort, so würde es  Hans Magnus Enzensberger in seiner EU-Schrift sagen.

Das sind Dinge wie Harmonisierung, Resilienz, Solidarität, Transparenz, Stärkung, Ge­meinschaft, Stärkung, Resilienz und so weiter; und wie in einer Kirche im Weihrauch­schwang vergessen wir (Bundesrat Schennach: Was?), einmal zu schauen, was dahin­tersteckt. Beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt haben wir über Gentechnik, über Glyphosat diskutiert, und da haben wir gesehen, welche Nachteile es für einen Ein­zelstaat oder eine einzelne Gebietskörperschaft bringt, nicht selbst entscheidungs­fähig zu sein. Man hängt zum Beispiel von einem Riesending ab, dessen Entschei­dungen man so gut wie nicht beeinflussen kann, wenn alle anderen an einem Strang ziehen, weil man dort nur 2 oder 2,8 Prozent der Stimmen hat.

Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt: Da sind vollkommen absurde Zentralisierungs­vorschriften drinnen, die im Bericht des Ministeriums nicht als solche erkannt, sondern noch gelobt werden. Da gibt es eine Suada der Einigkeit, wie toll das wäre. Gehen wir einmal zur Pandemie. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Kollege, bitte, die Kompetenz, die Sie einfordern, nämlich, dass bei sogenannten grenzüberschreitenden Gesundheitsnotständen die EU eingreifen kann, gibt es ja längst. Diese Kompetenz gibt es, es hat sich nur herausgestellt, dass ein bürokratischer Moloch wie die EU (Bundesrat Schennach: Aber geh!) diese Kompetenz aus der Ferne nicht sinnvoll wahrnehmen kann. (Beifall bei der FPÖ.)

Natürlich, denn die Entscheidung, ob der Bezirk XY oder die Stadt Ischgl abgeriegelt wird oder die Discos schließen müssen, wird sinnvollerweise nicht einmal in Wien ge­troffen, allenfalls in Innsbruck, am besten aber von den lokalen BHs, weil die vor Ort sind. Stellen Sie sich vor, die ganzen Maßnahmen wären zentral in Brüssel getroffen worden! Wahrscheinlich wären wir seit zwölf Monaten in einem Dauerlockdown und dürften im Freien nur mit Maske verkehren, weil natürlich der Duktus wäre: Leben über alles und wichtig und Solidarität – wenn die Sizilianer Masken tragen müssen, müssen das die Schweden auch tun, und wenn die Finnen nicht in die Disco gehen dürfen, dann dürfen die Kroaten auch nicht gehen und so weiter. Im Sinne der Harmonie, der Resilienz, der Solidarität müsste das natürlich einheitlich sein. (Vizepräsidentin Hahn übernimmt den Vorsitz.)

Also jeder, der die vergangenen zwölf Monate ein bisschen Revue passieren lässt, müsste sagen, dass diese Kompetenz, wie sie existiert, an sich schon ein Fehler ist. Sie wurde aber nicht exekutiert, weil sie unexekutierbar ist. Die Konsequenz, die die EU daraus zieht, die das Papier daraus zieht, das der Vorgänger des Sozialministers schrift­lich und der heutige Sozialminister hier mündlich besprochen hat, ist, dass es weiterer Kompetenzen bedarf. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Natürlich, es bedarf weiterer Kom­pe­tenzen, einer weiteren Zentralisierung und einer Ineffektivierung des Gesundheits­we­sens.

Was haben wir da im Verordnungsvorschlag? – Nationale Pläne müssen entwickelt werden; darüber müssen Audits gemacht werden; Stresstests müssen gemacht werden (Bundesrat Schennach: Wie bei den Banken!); die EU-Behörden müssen gestärkt und finanziell ausgestattet werden; es muss eine neue EU-Gesundheitstaskforce geschaffen werden; diese wird dann wahrscheinlich in Ischgl die Betreiber von Diskotheken befragen, ob man in vier Wochen schließen soll. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Es wird dem Unfug kein Ende gesetzt.

Selbst in einem reinen Bundesstaat wie den USA ist es überhaupt keine Frage, dass Gesundheitskompetenzen komplett bundesstaatliche Kompetenzen sind. Deswegen haben auch die Hälfte dieser Bundesstaaten, weil sie anders sind, aufgrund von Voten ihrer Volksvertretungen entweder die Covid-Maßnahmen total aufgehoben oder es in 22 oder 23 Fällen bei relativ hohen Strafen sogar ausdrücklich verboten, Impfpässe auszustellen, Impfpässe anzunehmen, Impfpässe zu verlangen. Deswegen haben diese Staaten – kommen wir noch einmal zu Ungarn zurück – selbstverständlich volle Auto­nomie im Strafrecht. Manche Staaten haben die Todesstrafe, andere Staaten haben kumulierte Strafen, die bis zu 1 000 Jahren ausmachen können. In machen Staaten kann man bis zu 20 Jahre für Ehebruch kriegen, in anderen Staaten ist eine sexuelle Handlung mit einem unter 19-Jährigen, dabei natürlich auch mit LBGT-Aktivisten, mit hohen Strafen bedroht. So funktioniert dieser Bundesstaat.

Kommen wir zur nächsten Geschichte, zur sozialen Säule. Wir haben soziale Defizite: Wir haben Kinderdefizite, wir haben Altendefizite, wir haben Betreuungsdefizite und so weiter. Die normale Reaktion in einem funktionierenden und nicht benebelten Staat ist: Gehen wir es an, schauen wir, wo wir etwas verbessern können! – Die heutige Diskussion ist: Wir müssen die soziale Säule der EU stärken, wir brauchen da EU-Direktiven. Wir müssen hoffen, dass die EU - -, wir freuen uns, dass wir in Lissabon beschlossen haben - - und so weiter. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Was steckt denn da dahinter? Was soll denn die soziale Säule der EU werden? – Es gibt zwei Möglichkeiten: Das wesentliche Soziale sind natürlich die unterschiedlichen Löhne, die existieren, das riesige Lohngefälle (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann), die Probleme im Pensionssystem, die Probleme bei der Kinderbeihilfe und, und, und. Diese kann man lösen, indem man einen europäischen Mindestlohn und eine europäische Min­destpension festsetzt. Da bei uns ja keiner unter 1 000 Euro verdient, müsste der euro­päische Mindestlohn, wenn wir auch Österreich stärken wollen, wahrscheinlich ungefähr bei 1 000 Euro liegen, was zum unverzüglichen Staatsbankrott zumindest von Bulgarien und Rumänien, aber auch von einigen anderen Staaten führen würde. Ge­nauso ist in manchen Mitgliedsländern eine Mindestpension von 190, 200 Euro natürlich standard­mäßig undiskutabel. Eine Erhöhung auf den österreichischen Mindeststandard von 900 Euro Ausgleichszulagengrenze würde dort aber zum Staatsbankrott und zum Bank­rott der Systeme führen. Das wäre ein Unfug, das wird daher auch nicht gemacht.

Die Alternative ist natürlich – das ist auch schon angedeutet –, wie es die EU bei den Kindern immer macht. Kinder, das ist etwas, wo keiner Nein sagen kann. (Bundesrätin Schartel: Außer wir in Österreich!) Da heißt es schon, da müsste es finanzielle Unter­stützungen der EU geben. Die Folge der sozialen Säule wäre also, ein Umverteilungs­system zu machen. Man könnte diese Mindestlöhne, Mindestpensionen, Mindestkinder­standards, Mindestschulstandards und alles, was da an Mindeststandards gefordert wird und was so wichtig ist, auf das man sich geeinigt hat, zentral finanzieren. Das wäre dann genauso sinnvoll wie der sogenannte Wiederaufbaufonds, der eingerichtet worden ist. (Bundesrätin Schumann: Bei aller ...!) Das wäre genauso sinnvoll, dass man das Geld von den Mitgliedsländern absammelt und es dann zentral mit einem bürokratischen Riesenaufwand möglichst fern von den Orten, an denen es ausgegeben wird, verwaltet und entscheidet.

Ein Riesengeschäft für Österreich: Wir sind mit ungefähr 15 Milliarden Euro an der Auf­bringung der Mittel beteiligt und kriegen heiße 3,5 Milliarden Euro. Jeder würde sich an den Kopf greifen, aber hier wird das ausnahmslos bejubelt – also da (in Richtung SPÖ) bejubelt, da (in Richtung ÖVP) hat man schon Bauchweh, der Finanzminister war auch nicht ganz glücklich –, es wird einfach hingenommen. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Schennach und Schumann.)

Es wird nicht gesagt: Wir haben da 10 Milliarden Euro für Europa gespendet! Wir sind eh so reich, wir haben keine Probleme bei uns, macht nichts, dafür sind wir solidarisch, wir sind harmonisch, wir sind resilient und was weiß ich, was sie sagen. (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.) Das wird aber nicht gesagt. Gesagt wird: Wir haben für Österreich 3,5 Milliarden Euro geholt. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach. – Heiterkeit bei der SPÖ.)

Also lieber Kollege (in Richtung Bundesrat Schennach), ich komme jetzt wieder zurück: Aller Anfang ist ein Ende und jedes Ende kehrt zum Anfang zurück; nicht nur im Leben. Sie können sich daher vorstellen, dass wir mit Ihnen übereinstimmen, dass dieser Be­richt, der all das, was ich ein bisschen skizziert habe, nicht einmal in Ansätzen angeht, sondern kritiklos das EU-Newspeak bejubelt, von uns, da wir ihn aus Geschäfts­ord­nungsgründen nicht ablehnen können, nicht zur Kenntnis genommen wird, obwohl wir ihn natürlich genau kennen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

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