10.56

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin! Wir haben heute für die Aktuelle Stunde ein Thema gewählt, das in der öffentlichen Debatte meiner Meinung nach etwas zu kurz kommt, weil es eigentlich für das Leben hier auf dem Planeten wirklich fundamentale Bedeutung hat.

Biodiversität ist ein etwas abstrakter Begriff, viele können damit vielleicht noch nicht wirklich etwas anfangen.

Worum geht es bei der Biodiversität? – Man könnte es kurz formulieren – das ist immer noch ziemlich abstrakt –: Es geht um den Erhalt der Vielfalt der Arten und Lebensräume unserer Natur, denn genau diese Vielfalt macht die Natur nämlich aus. (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)

Die Vielfalt schafft die Qualität der Ökosysteme. Erst die Vielfalt macht sie resilient und überlebensfähig. Diversität ist nämlich schlichtweg das Funktionsprinzip der Natur – nicht Monokultur, sondern Diversität. Auch das finde ich wichtig: Vielfalt ist auch Schön­heit. Wer mit offenen Augen durch die Natur geht, weiß das.

Biodiversität ist auch kein Nebeneinander von Arten, sondern ein lebendiges Netzwerk. Die Vielfalt der Arten und eben deren Zusammenspiel sind eine Grundlage des Lebens und daher ein Wert an sich. Das Leben der Biosphäre muss auch in dieser Vernetztheit betrachtet werden. Da dies eine solche Grundlage für das Leben ist, hat jede Art quasi ein Recht auf Lebensraum, einfach nur weil sie da ist.

Der Mensch erhebt sich meiner Meinung nach leider allzu sehr über alles andere Leben, dabei haben wir Verantwortung, die Vielfalt zu erhalten und nicht zu zerstören. Die Leistungen der Biosphäre, die wir als Menschen nutzen, sind enorm. Einen großen Teil davon kennen wir noch nicht einmal. Die Vielfalt der Natur sorgt für reines Trinkwasser, für die Bestäubung der Nutzpflanzen, für saubere Luft, für die Fruchtbarkeit der Böden. Sie ist ein unerschöpflicher Quell für medizinische Grundstoffe, und nicht zuletzt liefert sie umfänglich Materialien, die wir brauchen und die die verarbeitende Industrie benötigt.

Leider sind aber viele Entwicklungen alarmierend. Der globale Artenschwund in den letzten Jahrzehnten ist schlichtweg dramatisch. Tatsächlich – das bestätigt die Wissen­schaft – erleben wir gerade das größte Massensterben seit dem Aussterben der Dino­saurier – und das in enormer Geschwindigkeit. Die Vielfalt der Arten, die auf oder natürlich auch in der Erde sowie im Meer leben, nimmt in allen Regionen der Welt in einem nie dagewesenen Tempo ab.

Besonders dramatisch – das war auch in den Medien – ist bei uns der Rückgang der Insekten. Insekten genießen nicht wahnsinnig viel Sympathie, aber sie sind extrem wichtig. Sie sind wichtig, weil sie wiederum eine Nahrungsquelle für größere Tiere wie Vögel, Fledermäuse, Reptilien, Amphibien oder Fische sind. Und wie das Beispiel der Insekten zeigt, bringt der Verlust an Biodiversität, der Verlust einer Art eine Kaskade des Aussterbens mit sich. Der Verlust einer Art kann also fatal den Verlust vieler anderer Arten, wie man es am Beispiel der Insekten sieht, nach sich ziehen.

Die Industriestaaten sind in einem hohen Ausmaß nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für den Artenverlust in anderen Ländern. Man denke zum Beispiel nur an den Rohstoffabbau, die internationale Intensivlandwirtschaft, den Anbau beispielsweise von Soja für Tierfutter dort, wo zuvor Urwälder standen.

Nicht zu trennen ist die Biodiversität von der Menschheitsaufgabe Klimaschutz. Viele Studien zeigen, dass durch die Erhitzung das Artensterben massiv beschleunigt wird, also ist ein intensiver Klimaschutz notwendig, um Biodiversität zu sichern. Andererseits leisten der Erhalt und die Verbesserung der Biodiversität und der Ökosysteme einen entscheidenden Beitrag dazu, der Klimakrise entgegenzuwirken. Durch die Wieder­her­stellung von Wäldern, Böden, Feuchtgebieten, Mooren zum Beispiel, auch durch die Änderung des Verhaltens und der Verbrauchermuster – ich erinnere zum Beispiel an den exzessiven Fleischkonsum – können die Belastungen der Biodiversität und damit auch die Belastungen des Klimas reduziert werden.

Wie sieht es in Österreich aus? – Wir haben in Österreich 68 000 Arten, davon rund 45 000 Tierarten. Es gibt – ich gebe zu, das habe ich vorher auch nicht gewusst – 600 Tier- und 150 Pflanzenarten in Österreich, die nur bei uns vorkommen, und das sind zum Beispiel auch Arten, für die wir ganz besondere Verantwortung haben, weil es diese sonst nirgends gibt.

Leider ist die Gefährdungssituation in Österreich auch nicht viel besser oder sehr ähnlich jener in anderen europäischen Ländern. Die Rote Liste der gefährdeten Arten ist auch bei uns lang, zum Beispiel stehen 40 Prozent der heimischen Farn- und Blütenpflanzen und 36 Prozent der Vögel auf diesen Roten Listen. Etwa die Hälfte der 488 in Österreich vorkommenden Biotoptypen ist gefährdet oder stark gefährdet.

Es ist also hoffentlich nicht nur unserer Ansicht nach Zeit, zu handeln, höchste Zeit, gegenzusteuern. Das ist auch möglich – das ist die gute Botschaft. Viele negative Entwicklungen – es sei denn, Arten sind bereits ausgestorben, da gibt es kein Zurück mehr – können umgedreht werden, Systeme können sich erholen, wenn entsprechende Maßnahmen gesetzt werden.

Gerade gestern wurde dazu der Entwurf einer österreichischen Biodiver­sitäts­strate­gie 2030, die übrigens in einem langen partizipativen Prozess erarbeitet wurde – dazu wird die Frau Ministerin sicher etwas sagen –, an die österreichische Biodiversitäts­kommission übergeben und durchläuft damit jetzt die nächsten Prozessschritte, Ver­handlungsschritte.

Wichtige Zielsetzungen in diesem Papier sind zum Beispiel: Es soll etwa ein Drittel der gefährdeten heimischen Arten und Lebensräume wieder in einen guten Zustand gebracht werden, wenigstens bis 2030. Man kann jetzt sagen, dass das noch zu wenig ambitioniert ist, aber auch schon das wird eine große Herausforderung sein.

30 Prozent der Fläche Österreichs sollen auf die eine oder andere Art unter Schutz gestellt werden. Das ist ganz wichtig, damit Lebensräume für Tiere und Pflanzen ge­sichert werden und damit eine Vernetzung zwischen den Lebensräumen stattfinden kann. Auch das ist für die Biodiversität ganz essenziell, weil natürlich viele Tiere wan­dern.

Hauptursache für den Verlust der Biodiversität ist der Flächenverbrauch, deshalb ist eine massive Reduktion desselben wichtig. Der Bodenverbrauch soll von derzeit – man glaubt es ja fast nicht – 13 Hektar pro Tag – 13 Hektar pro Tag! – bis 2030 auf 2,5 Hektar reduziert werden; das steht im Regierungsprogramm. Das ist schon sehr massiv, und das verlangt natürlich entsprechende Maßnahmen.

Offensichtlich ist, dass Biodiversität nicht allein Naturschutzaufgabe ist. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt, den wir erkennen müssen. Vielmehr müssen alle Sektoren un­serer Wirtschaft und der Gesellschaft ihre Beiträge dazu leisten und das als gemeinsame Aufgabe verstehen.

Wir setzen mit der Biodiversitätsstrategie einen wichtigen Rahmen dafür und hoffen, dass sie mit der nötigen Ambition auch zu einem breit getragenen Beschluss führt. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

11.05

Vizepräsident Günther Novak: Danke, Herr Bundesrat.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth Wolff. Ich erteile ihr dieses.