12.32

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Gratuliere übrigens. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Lieber Herr Staatssekretär! Gestern hat die EU-Kommissionspräsidentin das ambitionierte Programm Fit for 55 präsentiert, einen Meilenstein in der europäischen Klima- und Energiepolitik, und mit dem EAG, das heute vorliegt, machen wir einen riesengroßen Schritt genau für diese Fitness.

Ich freue mich auch persönlich sehr darüber, dass ich heute hier stehen und das EAG vorstellen kann. Über ein Jahr haben wir nun wirklich sehr intensiv daran gearbeitet, auch kontrovers, keine Frage, aber heute ist das Ergebnis da. Wiewohl man mir das nicht ansieht, bin ich schon ein paar Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, aktiv im Klimaschutz tätig. Ich war zum Beispiel vor circa 20 Jahren als Ländervertreter bei der Entwicklung des ersten österreichischen Ökostromgesetzes mit dabei und habe in meinen Funk­tionen das Auf und Ab der vielen letzten Jahre sehr nahe miterlebt. Was wir heute mit diesem EAG beschließen, ist aber eine neue Dimension, wenn nicht eine Revolution der österreichischen Energiepolitik.

Das gab es noch nie, ganz bestimmt, nicht annähernd. Wir hatten noch nie ein so klares Ziel. Wir hatten noch nie dieses Ausmaß an Planbarkeit. Wir haben mit dem Ziel 100 Prozent Ökostrom bis 2030 nicht nur ein Gesamtziel festgelegt, sondern konkrete Ausbauziele für jede Technologie. Übrigens, Herr Kollege Bernard: Das 100-Prozent-Ziel fand sich zugegebenermaßen schon im NEKP der vorigen Regierung. Insofern finde ich es spannend, dass Sie das jetzt ablehnen.

Wir haben weiter mit jährlichen Mindestmengen verbindliche Ausbaupfade von der Fotovoltaik über die Windenergie, die Wasserkraft bis hin zu Biogas und Biomasse. In Summe sind das zusätzliche 27 Terawattstunden oder 27 Milliarden Kilowattstunden. Eine entsprechende Zunahme des Stromverbrauchs, von der wir ausgehen, ist da schon eingerechnet.

Das sind sehr abstrakte Werte. Deswegen möchte ich das ein bisschen übersetzen und ein Bild geben, damit wir ein Gefühl für die Dimension bekommen: Die gesamte Stromabgabe aus dem öffentlichen Netz an die Verbraucher in Österreich betrug 2019 66 Terawattstunden. Demgegenüber ist das jetzt ein Ökostromzubau von 40 Prozent der gesamten Netzabgabe, und das in zehn Jahren. Oder noch einmal ein anderes Bild: Mit den 27 Terawattstunden könnte man 7,5 Millionen Haushalte mit Strom versorgen, nämlich in zehn Jahren, zusätzlich.

Allein die Fotovoltaik soll im Ausmaß von 11 Terawattstunden ausgebaut werden. Das ist ungefähr das Siebenfache des gesamten Bestandes heute. Auch das ein bisschen übersetzt: Täglich müssten, um dieses Ziel zu erreichen, umgerechnet 200 Anlagen mit je 15 kW installiert werden, 365 Tage im Jahr. Das ist schon eine Herausforderung und zeigt, wie ambitioniert dieses Programm ist.

Auch die Wasserkraft wird großzügig ausgebaut, nämlich mit 5 Terawattstunden zusätz­lich. Das ist wahrscheinlich so ziemlich alles, was noch ökologisch vertretbar machbar ist in Österreich. Genau deswegen, weil wir schon einen großen Ausbaugrad haben, ist der Ausbau der Wasserkraft auch mit Kriterien der ökologischen Verträglichkeit ver­knüpft. So wird es keine Förderung für Anlagen in sehr guten Gewässern geben. Ich erinnere an die vorige Debatte zur Biodiversität. Es wird keine Förderung geben, wenn Schutzgüter der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie verschlechtert werden würden. Es wird hingegen eine ganz besonders attraktive Förderung für die Revitalisierung bestehender Anlagen geben, um den Druck der Neuanlagen etwas wegzunehmen.

Alle bekommen jetzt fix 20 Jahre lang Unterstützung – und nicht mehr 13 Jahre oder 15 Jahre. Wir haben Regelungen für Nachfolgetarife bis zum 30. Betriebsjahr für be­stehende Anlagen – das ist ein ganz wichtiger Punkt –, um den vielen, die jetzt schon investiert haben, Sicherheit zu geben. Wir haben, apropos Sicherheit, eine gesicherte Finanzierung von 1 Milliarde Euro pro Jahr, wohlgemerkt unabhängig vom Budget, in einem eigenen Finanzierungsmechanismus.

Wir haben eine Reihe von Ansätzen für innovative Lösungen. Ich möchte nur zwei Beispiele aus dem Bereich Fotovoltaik herausgreifen: Um das Ausbauziel zu erreichen, werden wir viele Dächer brauchen, aber es wird nicht reichen, wir werden auch Frei­flächen benötigen. Was wir aber nicht wollen, ist, dass ein zu hoher Druck auf wertvolle landwirtschaftliche Flächen entsteht. Deswegen wird es eine eigene Kategorie der Fotovoltaik geben, eine sogenannte Agri-PV.

Es sind Lösungen, die landwirtschaftliche und energetische Nutzungen kombinieren. Mit minimalstem Flächenverbrauch können dabei Fotovoltaikanlagen errichtet werden und gleichzeitig die Landwirtschaft weiter betrieben werden. In vielen Fällen – das zeigen Studien von deutschen Fachhochschulen – sind damit sogar größere landwirtschaftliche Erträge verbunden. Da sehen wir ein riesiges Potenzial. Ziel ist, dass das zur Stan­dardlösung wird. Das wird auch belohnt. Diese Anlagen erhalten eine wesentlich höhere Förderung als klassische Freiflächenanlagen.

Es soll Zuschläge von bis zu 30 Prozent für besonders innovative Konzepte geben. Da denken wir zum Beispiel an die Nutzung von versiegelten Flächen wie etwa die Überspannung von Parkplätzen. Alleine das sind Hunderte von Quadratkilometern, die man doppelt nutzen könnte.

Wir schaffen wesentlich mehr Transparenz für die Anlagenerrichter. Wir haben vor allem – das ist ganz wichtig, klingt aber technisch – einen transparenten Netzzugang mit fixen Tarifen geschaffen. Es war immer wieder Grund für Streitereien und Debatten mit den Netzbetreibern, dass oft nicht transparent war, wieso es zu welchen Kosten kommt, damit man sich ans Netz anschließen kann.

Entgegen den Behauptungen des Kollegen Bernard öffnen wir die Tür sehr weit für die Erzeugung von erneuerbarem Gas, nämlich mit einem sehr, sehr ambitionierten Ziel: 5 Terawattstunden bis 2030, übrigens mit entsprechender Finanzierung dazu und Unterstützungsvolumina. Es ist eine ziemliche Challenge, das in zehn Jahren zu schaffen.

Wir nehmen sehr viel Geld in die Hand, um die Wasserstoffproduktion aus Rückstrom voranzutreiben, vor allem mit Blick auf die Industrie, um deren künftige Energie­versor­gung und damit die Arbeitsplätze zu sichern.

Ein wichtiger Punkt: Wir ermöglichen sehr großzügig erneuerbare Energiegemein­schaf­ten. Das heißt, künftig können sich BürgerInnen, kleine Betriebe, mittlere Betriebe, Ge­mein­den, Landwirte und so weiter fast beliebig zusammenschließen, um Strom, ganz egal mit welcher Technologie, selber zu produzieren und zu verbrauchen. Die Netz­betreiber sind verpflichtet, dies zu unterstützen, die Messungen durchzuführen, die Daten kostenfrei zurückzuspielen. Das hat unserer Meinung nach riesiges Potenzial, da wächst ein neuer Player am Markt mit einer vermutlich riesigen Dynamik – stellen Sie sich vor, es gibt in ein paar Jahren 100 000 Energiegemeinschaften, die die Stromver­sorgung selber in die Hand nehmen –, und das ist gleichzeitig auch eine sehr starke Demokratisierung der Stromversorgung. Es wird auch Bürgerenergiegemeinschaften geben. Sie können sich zum Beispiel zusammenschließen, völlig frei, irgendwo in Öster­reich eine gemeinsame PV-Anlage errichten und sich den Strom nach Hause schicken lassen.

Ein wichtiger Eckpfeiler in diesem Paket ist die soziale Gerechtigkeit. So gibt es umfangreiche Befreiungen von den Ökostromförderbeiträgen für einkommensschwache Haushalte. All jene, die GIS-befreiungsberechtigt sind – sie müssen das gar nicht ge­macht haben, es reicht, wenn sie berechtigt sind –, können sich komplett befreien lassen. Das betrifft 300 000 Haushalte. Für weitere 200 000 Haushalte wurde eine jähr­liche Beitragsgrenze von 75 Euro eingezogen – pro Haushalt, nicht pro Person. Das sind dann noch gerade einmal 20 Cent pro Tag und Haushalt.

Das wird alles Wirkung zeigen. Alleine mit diesem Ökostromprogramm lösen wir Inves­titionen von 30 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren aus. Damit können, wie Wirtschaftswissenschafter vorrechnen, 100 000 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Das ist eine nie dagewesene Jobmaschine.

Und quasi fast schon zum Drüberstreuen wird mit der Umweltförderungs­gesetzes­novelle, die heute auch zur Beschlussfassung vorliegt, der Ausbau der Fernwärme, der wichtigen Fernwärme, massiv vorangetrieben: 100 Millionen Euro – einmalig – für den Abbau der in den letzten Jahren unter anderen Regierungen gebildeten Warteschlange und dann garantiert noch einmal 30 Millionen Euro pro Jahr für den laufenden Ausbau; also in Summe 400 Millionen Euro für die Fernwärme.

Ich könnte noch weitere Details aus dem auch textlich sehr umfangreichen Paket er­zählen, möchte aber schon noch eine Anmerkung zur Energieversorgungssicherheit machen: Also ich weiß nicht, haben Sie es nicht gelesen, Herr Kollege? – In dieser Ge­setzesvorlage ist verankert, dass eben genau solch eine Energieversorgungsstrategie zu erstellen ist. Im Übrigen ist es so, dass der Ausbau erneuerbarer Energieträger die Versorgungssicherheit verbessert und stärkt, anstatt das Setzen auf Importe oder sehr, sehr große einzelne Anlagen. Also auch das ist quasi ganz automatisch Strategie für die Sicherheit und die Leistbarkeit selbstverständlich.

Wir haben mit dem EAG einen Rahmen geschaffen, um in nicht mehr als knapp zehn Jahren die Stromversorgung vollständig auf Erneuerbare umzustellen, ohne Klimagifte in die Luft zu blasen sauberen und leistbaren Strom für alle anzubieten. Jetzt sind vor allem die Länder und Gemeinden gefordert – ja, das ist so – und natürlich viele, viele BürgerInnen und Investoren, die jetzt auch etwas dazu beitragen sollen. Den Ländern und Gemeinden wird es vor allem obliegen, die Genehmigungsverfahren entsprechend abzuwickeln, Widmungen für Fotovoltaik, für Wind und so weiter herbeizuführen. Da ist viel zu tun, keine Frage, aber denken Sie daran, unser Job hier war es, einmal den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen.

Ich möchte mich noch bei allen, die mitgewirkt haben, bedanken. Das sind sehr viele Beamtinnen, Beamte, Leute im Kabinett und so weiter, in der Koalition, und ich möchte mich auch bei der SPÖ bedanken, dass sie die nötige Zweidrittelmehrheit ermöglicht und sich in die Verhandlungen sehr aktiv eingebracht hat, wodurch, das gebe ich auch gerne zu, tatsächlich noch eine Reihe von Verbesserungen entstanden ist. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

12.44

Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ing. Isabella Kaltenegger. Ich erteile ihr dieses.